Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes ans Rußland silbernen oder goldnen Teller, auf dem sie "Salz und Brot" überreichten, der Aber nicht nur freiwillig haben die Nüssen ihrer loyalen Gesinnung opfer¬ Eine solche Vergeudung von Nationalvermögen durch deu Staat ist und Erlebtes und Beobachtetes ans Rußland silbernen oder goldnen Teller, auf dem sie „Salz und Brot" überreichten, der Aber nicht nur freiwillig haben die Nüssen ihrer loyalen Gesinnung opfer¬ Eine solche Vergeudung von Nationalvermögen durch deu Staat ist und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223622"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes ans Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_94" prev="#ID_93"> silbernen oder goldnen Teller, auf dem sie „Salz und Brot" überreichten, der<lb/> alten Sitte der Begrüßung gemäß. In allen Juwelierläden Petersburgs und<lb/> Moskaus sah man vor der Krönung solche Teller ausgestellt, gewöhnlich drei¬<lb/> viertel Meter im Durchmesser, in alleu Formen und Stilarten, vielfach wunder¬<lb/> bar künstlerisch ausgeführt, manche in massivem Gold mit entzückender Email-<lb/> malerei.</p><lb/> <p xml:id="ID_95"> Aber nicht nur freiwillig haben die Nüssen ihrer loyalen Gesinnung opfer¬<lb/> freudig Ausdruck gegeben. Gewisse Opfer wurden von der Regierung dem<lb/> Volke als etwas selbstverständliches einfach auferlegt. Ich führe nur ein<lb/> Beispiel an. In der Zeit vom 20. April bis zu Anfang Juni wurde auf der<lb/> Nikolai-Bahn, der Bahn zwischen Moskau und Petersburg, der Güterverkehr<lb/> aufgehoben. Die Bahn hatte mit dem Transport von all den unzähligen<lb/> Dingen, die der Krönung wegen aus Petersburg nach Moskau geschafft werden<lb/> mußten, genug zu thun: man muß sich mir vergegenwärtigen, welche Unzahl<lb/> von Wagen und Pferden allein der kaiserliche Marstall zu befördern hatte.<lb/> Fast jeden Tag wurden auch Extrazüge eingeschoben für die Hofbediensteten<lb/> aller Art, die in der Vorbereitungszeit hin- und herfuhren. Welch ein Apparat<lb/> wurde in Bewegung gesetzt bei der Überführung der Kroninsiguien nach der<lb/> Krönungsstadt! Und dann mußte ja ein großer Teil des Gardekvrps aus<lb/> Petersburg mich Moskau geschafft worden. Wenn also nicht alles drunter<lb/> und drüber gehen sollte, mußte der gewöhnliche Verkehr einigermaßen ein¬<lb/> geschränkt werden. Aber ungeheuerlich bleibt doch die Thatsache, daß für<lb/> anderthalb Monate die wichtigste Bahn des Landes, die Verbindung des<lb/> Innern mit der Ostsee, keine Waren beförderte. Was das für den Handel be¬<lb/> deutet, sieht jedes Kind. Es klingt unsern Ohren wie ein Märchen, und der¬<lb/> gleichen ist auch nur in einem so märchenhaft organisirten Staat möglich. In<lb/> solchen Maßregeln zeigt das russische Reich, wie nahe sein politisches System noch<lb/> dem asiatischen Despotismus steht. Ein Protest — und es hätte ja nur ein ganz<lb/> schüchterner sein können — war einfach aussichtslos. So viel ich weiß, ist zuletzt<lb/> nur bei Waren, die für die „allrussische Ausstellung" in Nishnij bestimmt waren,<lb/> eine Ausnahme gemacht worden, ans sehr naheliegenden Gründen, da sonst<lb/> dieses nationale Unternehmen ernstlichen Gefahren ausgesetzt gewesen wäre.<lb/> Mehrfach hörte ich in Moskau die Befürchtung aussprechen, daß diese Ma߬<lb/> regel gewiß eine Schädigung einzelner Geschäftszweige mit sich führen müsse,<lb/> man sprach sogar von unvermeidlichen Bankrotten. Ob diese Befürchtungen<lb/> eingetroffen sind, habe ich nicht erfahren. Daß einzelne Firmen enormen<lb/> Schaden gehabt haben müssen, liegt auf der Hand. Gewisse Waren ließen sich<lb/> nicht vor der Sperre auf Vorrat schicken, und uach Wiederherstellung der<lb/> Verbindung kamen sie zu spät, so z. V. Naphtha zu Heizzwecken in Fabriken.</p><lb/> <p xml:id="ID_96" next="#ID_97"> Eine solche Vergeudung von Nationalvermögen durch deu Staat ist und<lb/> bleibt unerhört. Im kleinen brachten die Vorbereitungen zur Krönung dem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
Erlebtes und Beobachtetes ans Rußland
silbernen oder goldnen Teller, auf dem sie „Salz und Brot" überreichten, der
alten Sitte der Begrüßung gemäß. In allen Juwelierläden Petersburgs und
Moskaus sah man vor der Krönung solche Teller ausgestellt, gewöhnlich drei¬
viertel Meter im Durchmesser, in alleu Formen und Stilarten, vielfach wunder¬
bar künstlerisch ausgeführt, manche in massivem Gold mit entzückender Email-
malerei.
Aber nicht nur freiwillig haben die Nüssen ihrer loyalen Gesinnung opfer¬
freudig Ausdruck gegeben. Gewisse Opfer wurden von der Regierung dem
Volke als etwas selbstverständliches einfach auferlegt. Ich führe nur ein
Beispiel an. In der Zeit vom 20. April bis zu Anfang Juni wurde auf der
Nikolai-Bahn, der Bahn zwischen Moskau und Petersburg, der Güterverkehr
aufgehoben. Die Bahn hatte mit dem Transport von all den unzähligen
Dingen, die der Krönung wegen aus Petersburg nach Moskau geschafft werden
mußten, genug zu thun: man muß sich mir vergegenwärtigen, welche Unzahl
von Wagen und Pferden allein der kaiserliche Marstall zu befördern hatte.
Fast jeden Tag wurden auch Extrazüge eingeschoben für die Hofbediensteten
aller Art, die in der Vorbereitungszeit hin- und herfuhren. Welch ein Apparat
wurde in Bewegung gesetzt bei der Überführung der Kroninsiguien nach der
Krönungsstadt! Und dann mußte ja ein großer Teil des Gardekvrps aus
Petersburg mich Moskau geschafft worden. Wenn also nicht alles drunter
und drüber gehen sollte, mußte der gewöhnliche Verkehr einigermaßen ein¬
geschränkt werden. Aber ungeheuerlich bleibt doch die Thatsache, daß für
anderthalb Monate die wichtigste Bahn des Landes, die Verbindung des
Innern mit der Ostsee, keine Waren beförderte. Was das für den Handel be¬
deutet, sieht jedes Kind. Es klingt unsern Ohren wie ein Märchen, und der¬
gleichen ist auch nur in einem so märchenhaft organisirten Staat möglich. In
solchen Maßregeln zeigt das russische Reich, wie nahe sein politisches System noch
dem asiatischen Despotismus steht. Ein Protest — und es hätte ja nur ein ganz
schüchterner sein können — war einfach aussichtslos. So viel ich weiß, ist zuletzt
nur bei Waren, die für die „allrussische Ausstellung" in Nishnij bestimmt waren,
eine Ausnahme gemacht worden, ans sehr naheliegenden Gründen, da sonst
dieses nationale Unternehmen ernstlichen Gefahren ausgesetzt gewesen wäre.
Mehrfach hörte ich in Moskau die Befürchtung aussprechen, daß diese Ma߬
regel gewiß eine Schädigung einzelner Geschäftszweige mit sich führen müsse,
man sprach sogar von unvermeidlichen Bankrotten. Ob diese Befürchtungen
eingetroffen sind, habe ich nicht erfahren. Daß einzelne Firmen enormen
Schaden gehabt haben müssen, liegt auf der Hand. Gewisse Waren ließen sich
nicht vor der Sperre auf Vorrat schicken, und uach Wiederherstellung der
Verbindung kamen sie zu spät, so z. V. Naphtha zu Heizzwecken in Fabriken.
Eine solche Vergeudung von Nationalvermögen durch deu Staat ist und
bleibt unerhört. Im kleinen brachten die Vorbereitungen zur Krönung dem
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