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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

ihre Fähigkeit zu stände; denn wie soll eine glückliche Ehe entstehen, wenn die
junge Frau gar keine oder nur die oberflächlichste Kenntnis von der Füh¬
rung eines Hauswesens hat, wenn ihr jede Vorstellung davon abgeht, was
das häusliche Leben anziehend und gemütlich macht? Verlangt doch die
Führung jeder Hauswirtschaft bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten, und diese
sind dem Weibe nicht von der Natur als Geschenk in die Wiege gelegt worden,
sondern sie müssen wie alle andern erworben werden. Kommen dann noch
Kinder- und Nahrungssorgen hinzu, während die Frau weder Sparen noch
Einteilen gelernt hat, so ist es unausbleiblich, daß der Mann voll Mißmut
auswärts den Ersatz für das ihm verleidete Haus sucht, und das Elend ist
fertig. Der Geist der Unzufriedenheit mit seinen Übeln Folgen wird erst dann
weichen, wenn der Arbeiter eine behagliche Häuslichkeit und ein angenehmes
Familienleben findet. Das trifft nicht bloß die großen, sondern auch die
kleine" Städte, sowie das platte Land, auch nicht bloß die jungen unerfahrnen
Fabrikmädchen, sondern ebenso Ladenmädchen, Näherinnen und viele andre.
Frcmcnarbeits- und Haushaltungsschulen, Nah- und Kvchschulen können nicht
genug errichtet werden. Sie sind ein wahrer Segen sür das Volk. Wenn in
Braunschweig junge Mädchen in Volksküchen ausgebildet werden, wenn man
in Baden und Württemberg durch Haudarbeitsschulen und theoretischen Unter¬
richt zu helfen sucht, wenn in Hannover die Fabrikherren Kochschulen für die
Fabrikmädchen gründen, in Halle in einem einfachen Heim Mädchen wohnen und
andre unter der Leitung einer Diakonissin sich in häusliche" Arbeiten fortbilden,
so sind das Einrichtungen, die sich zwar schon einem großen Netze gleich über
ganz Deutschland, von Königsberg bis München, von Straßburg bis Breslau
hinziehen, aber noch in viel größerer Menge geschaffen werden müssen.

Wir sind nun einmal in Verhältnisse hineingestellt, wo das Wort Arbeit
und abermals Arbeit als gebieterische Losung an tausende herantritt, deren
Geschick sich früher rosiger gestaltete. Das ist ja zweifellos: der Boden, auf
deu Natur, Bestimmung und Anlagen das Weib hinweisen, ist das Haus, die
Familie. Die Welt der Frau soll vor allem das Haus sein. Aber was soll
geschehen, wenn die Möglichkeit, ein Haus zu gründen, fehlt? Die Anschauung
P. I. Stahls: "Als Gott das Weib schuf, scheint er nur an die Gattin und
Mutter gedacht zu haben. Was über diese Begriffe hinausliegt, ist Unvoll-
kommenheit und Entartung," -- mag auch frühere Zeiten gepaßt haben, heute
ist sie veraltet. Mit Theorie wird kein hungerndes Geschöpf gespeist. Es
finden sich aber hungernde Wesen nicht bloß in den niedern Ständen, sondern
auch in den höhern. Auch diese nehmen an dem allgemeinen Elend teil. Die
Möglichkeit, sich zu verheiraten, ist gerade hier viel geringer als in Arbeiter¬
oder auch bürgerliche" Kreisen. Die Zahl der Verheiratungen im gebildeten
Mittelstand hat in den letzten zehn Jahren ungeheuer abgenommen. Es giebt
in Deutschland etwa eine Million mehr Frauen als Männer. Im Jahre 1885


Zur Frauenfrage

ihre Fähigkeit zu stände; denn wie soll eine glückliche Ehe entstehen, wenn die
junge Frau gar keine oder nur die oberflächlichste Kenntnis von der Füh¬
rung eines Hauswesens hat, wenn ihr jede Vorstellung davon abgeht, was
das häusliche Leben anziehend und gemütlich macht? Verlangt doch die
Führung jeder Hauswirtschaft bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten, und diese
sind dem Weibe nicht von der Natur als Geschenk in die Wiege gelegt worden,
sondern sie müssen wie alle andern erworben werden. Kommen dann noch
Kinder- und Nahrungssorgen hinzu, während die Frau weder Sparen noch
Einteilen gelernt hat, so ist es unausbleiblich, daß der Mann voll Mißmut
auswärts den Ersatz für das ihm verleidete Haus sucht, und das Elend ist
fertig. Der Geist der Unzufriedenheit mit seinen Übeln Folgen wird erst dann
weichen, wenn der Arbeiter eine behagliche Häuslichkeit und ein angenehmes
Familienleben findet. Das trifft nicht bloß die großen, sondern auch die
kleine» Städte, sowie das platte Land, auch nicht bloß die jungen unerfahrnen
Fabrikmädchen, sondern ebenso Ladenmädchen, Näherinnen und viele andre.
Frcmcnarbeits- und Haushaltungsschulen, Nah- und Kvchschulen können nicht
genug errichtet werden. Sie sind ein wahrer Segen sür das Volk. Wenn in
Braunschweig junge Mädchen in Volksküchen ausgebildet werden, wenn man
in Baden und Württemberg durch Haudarbeitsschulen und theoretischen Unter¬
richt zu helfen sucht, wenn in Hannover die Fabrikherren Kochschulen für die
Fabrikmädchen gründen, in Halle in einem einfachen Heim Mädchen wohnen und
andre unter der Leitung einer Diakonissin sich in häusliche» Arbeiten fortbilden,
so sind das Einrichtungen, die sich zwar schon einem großen Netze gleich über
ganz Deutschland, von Königsberg bis München, von Straßburg bis Breslau
hinziehen, aber noch in viel größerer Menge geschaffen werden müssen.

Wir sind nun einmal in Verhältnisse hineingestellt, wo das Wort Arbeit
und abermals Arbeit als gebieterische Losung an tausende herantritt, deren
Geschick sich früher rosiger gestaltete. Das ist ja zweifellos: der Boden, auf
deu Natur, Bestimmung und Anlagen das Weib hinweisen, ist das Haus, die
Familie. Die Welt der Frau soll vor allem das Haus sein. Aber was soll
geschehen, wenn die Möglichkeit, ein Haus zu gründen, fehlt? Die Anschauung
P. I. Stahls: „Als Gott das Weib schuf, scheint er nur an die Gattin und
Mutter gedacht zu haben. Was über diese Begriffe hinausliegt, ist Unvoll-
kommenheit und Entartung," — mag auch frühere Zeiten gepaßt haben, heute
ist sie veraltet. Mit Theorie wird kein hungerndes Geschöpf gespeist. Es
finden sich aber hungernde Wesen nicht bloß in den niedern Ständen, sondern
auch in den höhern. Auch diese nehmen an dem allgemeinen Elend teil. Die
Möglichkeit, sich zu verheiraten, ist gerade hier viel geringer als in Arbeiter¬
oder auch bürgerliche» Kreisen. Die Zahl der Verheiratungen im gebildeten
Mittelstand hat in den letzten zehn Jahren ungeheuer abgenommen. Es giebt
in Deutschland etwa eine Million mehr Frauen als Männer. Im Jahre 1885


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[0378] Zur Frauenfrage ihre Fähigkeit zu stände; denn wie soll eine glückliche Ehe entstehen, wenn die junge Frau gar keine oder nur die oberflächlichste Kenntnis von der Füh¬ rung eines Hauswesens hat, wenn ihr jede Vorstellung davon abgeht, was das häusliche Leben anziehend und gemütlich macht? Verlangt doch die Führung jeder Hauswirtschaft bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten, und diese sind dem Weibe nicht von der Natur als Geschenk in die Wiege gelegt worden, sondern sie müssen wie alle andern erworben werden. Kommen dann noch Kinder- und Nahrungssorgen hinzu, während die Frau weder Sparen noch Einteilen gelernt hat, so ist es unausbleiblich, daß der Mann voll Mißmut auswärts den Ersatz für das ihm verleidete Haus sucht, und das Elend ist fertig. Der Geist der Unzufriedenheit mit seinen Übeln Folgen wird erst dann weichen, wenn der Arbeiter eine behagliche Häuslichkeit und ein angenehmes Familienleben findet. Das trifft nicht bloß die großen, sondern auch die kleine» Städte, sowie das platte Land, auch nicht bloß die jungen unerfahrnen Fabrikmädchen, sondern ebenso Ladenmädchen, Näherinnen und viele andre. Frcmcnarbeits- und Haushaltungsschulen, Nah- und Kvchschulen können nicht genug errichtet werden. Sie sind ein wahrer Segen sür das Volk. Wenn in Braunschweig junge Mädchen in Volksküchen ausgebildet werden, wenn man in Baden und Württemberg durch Haudarbeitsschulen und theoretischen Unter¬ richt zu helfen sucht, wenn in Hannover die Fabrikherren Kochschulen für die Fabrikmädchen gründen, in Halle in einem einfachen Heim Mädchen wohnen und andre unter der Leitung einer Diakonissin sich in häusliche» Arbeiten fortbilden, so sind das Einrichtungen, die sich zwar schon einem großen Netze gleich über ganz Deutschland, von Königsberg bis München, von Straßburg bis Breslau hinziehen, aber noch in viel größerer Menge geschaffen werden müssen. Wir sind nun einmal in Verhältnisse hineingestellt, wo das Wort Arbeit und abermals Arbeit als gebieterische Losung an tausende herantritt, deren Geschick sich früher rosiger gestaltete. Das ist ja zweifellos: der Boden, auf deu Natur, Bestimmung und Anlagen das Weib hinweisen, ist das Haus, die Familie. Die Welt der Frau soll vor allem das Haus sein. Aber was soll geschehen, wenn die Möglichkeit, ein Haus zu gründen, fehlt? Die Anschauung P. I. Stahls: „Als Gott das Weib schuf, scheint er nur an die Gattin und Mutter gedacht zu haben. Was über diese Begriffe hinausliegt, ist Unvoll- kommenheit und Entartung," — mag auch frühere Zeiten gepaßt haben, heute ist sie veraltet. Mit Theorie wird kein hungerndes Geschöpf gespeist. Es finden sich aber hungernde Wesen nicht bloß in den niedern Ständen, sondern auch in den höhern. Auch diese nehmen an dem allgemeinen Elend teil. Die Möglichkeit, sich zu verheiraten, ist gerade hier viel geringer als in Arbeiter¬ oder auch bürgerliche» Kreisen. Die Zahl der Verheiratungen im gebildeten Mittelstand hat in den letzten zehn Jahren ungeheuer abgenommen. Es giebt in Deutschland etwa eine Million mehr Frauen als Männer. Im Jahre 1885

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/378>, abgerufen am 08.01.2025.