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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Dynastie der Saids in Sansibar

nicht mehr erlebt. Als er 1870 starb, ließ man nach arabischer Sitte seine
Bauten versallen. Aber den Gedanken der Saids, ein festländisches Reich zu
begründen, nahm sein Bruder und Nachfolger, Said Bargasch, wieder auf,
und alle Anzeichen sprachen dafür, daß dieser Plan die günstigsten Aussichten
hatte, verwirklicht zu werden. Der Handel Sansibars blühte empor, durch
Eröffnung des Suezkanals war eine unmittelbare Verbindung mit Europa
geschaffen, sodaß sich Sansibar von der Vermittlung Bombays freimachen konnte,
die Bedeutung des Hinterlandes wuchs von Jahr zu Jahr, die Souveränität
des Herrschers gegenüber den Großen war im Erstarken, eine kleine Flotte und
ein stehendes Heer unter dem Engländer Matthews konnten im Notfalle mit
bewaffneter Hand den Befehlen des Sultans Nachdruck verschaffen. Kurz, es
hatte den Anschein, als ob das ausgedehnte buntscheckige Sultanat emporstrebe
und festgefügte Form gewinne, aber die offne Lage der Residenz, die jedem
von der See herkommenden Feinde preisgegeben ist, war die Achillesverse dieses
Körpers, der eben anfing zu erstarken.

Said Bargasch war ein Feind der Europäer, besonders der Engländer,
die ihm bei dem 1869 versuchten Staatsstreich mit bewaffneter Hand entgegen¬
getreten waren und fortwährend Ungelegenheiten bereiteten. Auf dem Wege
der Diplomatie erreichten sie bei ihm nichts, erst die Kanonen der Kriegsschiffe,
die stets vor seinem Palaste vor Anker lagen, haben ihn zur Nachgiebigkeit
gezwungen. So war es auch, als die englische Gesandtschaft unter Sir Bartle
Frere 1873 die völlige Aufhebung des Sklavenhandels und des Sklavenmarktes
in Sansibar durchsetzte. Der Ruin der arabischen Plantagenwirtschaft war
damit besiegelt, aber die Folge war, daß das Ansehen des Sultans unter seinen
Unterthanen wuchs. Für seine erschütterte Souveränität den Fremden gegen¬
über gewann er um so größere Selbständigkeit auf dem Festlande. Sein Macht¬
bereich dehnte sich schon in den siebziger Jahren bis über die Seen hinaus
aus. Seine Gouverneure (Malis) saßen an allen bedeutendern Plätzen und
gehorchten blindlings seinen Befehlen, seine Großen fühlten in ihm einen zähen
Vertreter ihrer Rechte. Zwar gab er mit größter Liebenswürdigkeit den euro¬
päischen Forschungsreisenden offene Empfehlungsbriefe an seine Gouverneure
und, aber im geheimen gab er diesen wohl andre Instruktionen, denn sie haben
meist alles gethan, den Expeditionen Schwierigkeiten in den Weg zu legen.
Von seinem Standpunkte aus hatte ja auch der Sultan alle Ursache, den
Europäern den Aufenthalt in seinem Lande zu verleiden. Denn die Fremden
mischten sich ohne rechtlichen Grund in die Angelegenheiten seines Staates,
wollten seinem Volke ihre Kulturansichten aufdrängen, ohne Rücksicht auf die
seit Jahrhunderten bestehenden, durch den mohammedanischen Glauben gehei¬
ligten Verhältnisse, und waren im Begriff, neben dem wirtschaftlichen Ruin
^und noch die politische Unmündigkeit der Araber durchzusetzen. Des Sultans
Kräfte waren zu schwach, als daß er mit der Waffe den Kampf um sein gutes


Die Dynastie der Saids in Sansibar

nicht mehr erlebt. Als er 1870 starb, ließ man nach arabischer Sitte seine
Bauten versallen. Aber den Gedanken der Saids, ein festländisches Reich zu
begründen, nahm sein Bruder und Nachfolger, Said Bargasch, wieder auf,
und alle Anzeichen sprachen dafür, daß dieser Plan die günstigsten Aussichten
hatte, verwirklicht zu werden. Der Handel Sansibars blühte empor, durch
Eröffnung des Suezkanals war eine unmittelbare Verbindung mit Europa
geschaffen, sodaß sich Sansibar von der Vermittlung Bombays freimachen konnte,
die Bedeutung des Hinterlandes wuchs von Jahr zu Jahr, die Souveränität
des Herrschers gegenüber den Großen war im Erstarken, eine kleine Flotte und
ein stehendes Heer unter dem Engländer Matthews konnten im Notfalle mit
bewaffneter Hand den Befehlen des Sultans Nachdruck verschaffen. Kurz, es
hatte den Anschein, als ob das ausgedehnte buntscheckige Sultanat emporstrebe
und festgefügte Form gewinne, aber die offne Lage der Residenz, die jedem
von der See herkommenden Feinde preisgegeben ist, war die Achillesverse dieses
Körpers, der eben anfing zu erstarken.

Said Bargasch war ein Feind der Europäer, besonders der Engländer,
die ihm bei dem 1869 versuchten Staatsstreich mit bewaffneter Hand entgegen¬
getreten waren und fortwährend Ungelegenheiten bereiteten. Auf dem Wege
der Diplomatie erreichten sie bei ihm nichts, erst die Kanonen der Kriegsschiffe,
die stets vor seinem Palaste vor Anker lagen, haben ihn zur Nachgiebigkeit
gezwungen. So war es auch, als die englische Gesandtschaft unter Sir Bartle
Frere 1873 die völlige Aufhebung des Sklavenhandels und des Sklavenmarktes
in Sansibar durchsetzte. Der Ruin der arabischen Plantagenwirtschaft war
damit besiegelt, aber die Folge war, daß das Ansehen des Sultans unter seinen
Unterthanen wuchs. Für seine erschütterte Souveränität den Fremden gegen¬
über gewann er um so größere Selbständigkeit auf dem Festlande. Sein Macht¬
bereich dehnte sich schon in den siebziger Jahren bis über die Seen hinaus
aus. Seine Gouverneure (Malis) saßen an allen bedeutendern Plätzen und
gehorchten blindlings seinen Befehlen, seine Großen fühlten in ihm einen zähen
Vertreter ihrer Rechte. Zwar gab er mit größter Liebenswürdigkeit den euro¬
päischen Forschungsreisenden offene Empfehlungsbriefe an seine Gouverneure
und, aber im geheimen gab er diesen wohl andre Instruktionen, denn sie haben
meist alles gethan, den Expeditionen Schwierigkeiten in den Weg zu legen.
Von seinem Standpunkte aus hatte ja auch der Sultan alle Ursache, den
Europäern den Aufenthalt in seinem Lande zu verleiden. Denn die Fremden
mischten sich ohne rechtlichen Grund in die Angelegenheiten seines Staates,
wollten seinem Volke ihre Kulturansichten aufdrängen, ohne Rücksicht auf die
seit Jahrhunderten bestehenden, durch den mohammedanischen Glauben gehei¬
ligten Verhältnisse, und waren im Begriff, neben dem wirtschaftlichen Ruin
^und noch die politische Unmündigkeit der Araber durchzusetzen. Des Sultans
Kräfte waren zu schwach, als daß er mit der Waffe den Kampf um sein gutes


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[0371] Die Dynastie der Saids in Sansibar nicht mehr erlebt. Als er 1870 starb, ließ man nach arabischer Sitte seine Bauten versallen. Aber den Gedanken der Saids, ein festländisches Reich zu begründen, nahm sein Bruder und Nachfolger, Said Bargasch, wieder auf, und alle Anzeichen sprachen dafür, daß dieser Plan die günstigsten Aussichten hatte, verwirklicht zu werden. Der Handel Sansibars blühte empor, durch Eröffnung des Suezkanals war eine unmittelbare Verbindung mit Europa geschaffen, sodaß sich Sansibar von der Vermittlung Bombays freimachen konnte, die Bedeutung des Hinterlandes wuchs von Jahr zu Jahr, die Souveränität des Herrschers gegenüber den Großen war im Erstarken, eine kleine Flotte und ein stehendes Heer unter dem Engländer Matthews konnten im Notfalle mit bewaffneter Hand den Befehlen des Sultans Nachdruck verschaffen. Kurz, es hatte den Anschein, als ob das ausgedehnte buntscheckige Sultanat emporstrebe und festgefügte Form gewinne, aber die offne Lage der Residenz, die jedem von der See herkommenden Feinde preisgegeben ist, war die Achillesverse dieses Körpers, der eben anfing zu erstarken. Said Bargasch war ein Feind der Europäer, besonders der Engländer, die ihm bei dem 1869 versuchten Staatsstreich mit bewaffneter Hand entgegen¬ getreten waren und fortwährend Ungelegenheiten bereiteten. Auf dem Wege der Diplomatie erreichten sie bei ihm nichts, erst die Kanonen der Kriegsschiffe, die stets vor seinem Palaste vor Anker lagen, haben ihn zur Nachgiebigkeit gezwungen. So war es auch, als die englische Gesandtschaft unter Sir Bartle Frere 1873 die völlige Aufhebung des Sklavenhandels und des Sklavenmarktes in Sansibar durchsetzte. Der Ruin der arabischen Plantagenwirtschaft war damit besiegelt, aber die Folge war, daß das Ansehen des Sultans unter seinen Unterthanen wuchs. Für seine erschütterte Souveränität den Fremden gegen¬ über gewann er um so größere Selbständigkeit auf dem Festlande. Sein Macht¬ bereich dehnte sich schon in den siebziger Jahren bis über die Seen hinaus aus. Seine Gouverneure (Malis) saßen an allen bedeutendern Plätzen und gehorchten blindlings seinen Befehlen, seine Großen fühlten in ihm einen zähen Vertreter ihrer Rechte. Zwar gab er mit größter Liebenswürdigkeit den euro¬ päischen Forschungsreisenden offene Empfehlungsbriefe an seine Gouverneure und, aber im geheimen gab er diesen wohl andre Instruktionen, denn sie haben meist alles gethan, den Expeditionen Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Von seinem Standpunkte aus hatte ja auch der Sultan alle Ursache, den Europäern den Aufenthalt in seinem Lande zu verleiden. Denn die Fremden mischten sich ohne rechtlichen Grund in die Angelegenheiten seines Staates, wollten seinem Volke ihre Kulturansichten aufdrängen, ohne Rücksicht auf die seit Jahrhunderten bestehenden, durch den mohammedanischen Glauben gehei¬ ligten Verhältnisse, und waren im Begriff, neben dem wirtschaftlichen Ruin ^und noch die politische Unmündigkeit der Araber durchzusetzen. Des Sultans Kräfte waren zu schwach, als daß er mit der Waffe den Kampf um sein gutes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/371>, abgerufen am 08.01.2025.