Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand es ihm darnach für die "Gegenwart" als eine der wichtigsten Aufgaben er¬ Schon vor länger als dreißig Jahren ist Herr von drr Goltz für die Auf dem Gebiete des Kreditwesens weist Herr von der Goltz dem Staate Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand es ihm darnach für die „Gegenwart" als eine der wichtigsten Aufgaben er¬ Schon vor länger als dreißig Jahren ist Herr von drr Goltz für die Auf dem Gebiete des Kreditwesens weist Herr von der Goltz dem Staate <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223895"/> <fw type="header" place="top"> Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand</fw><lb/> <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> es ihm darnach für die „Gegenwart" als eine der wichtigsten Aufgaben er¬<lb/> scheint, „der starken Fortwanderung der ländlichen Arbeiter nach den Städten<lb/> und den Industriebezirken sowohl wie uach dem Auslande einen Damm ent¬<lb/> gegenzusetzen." Die Lösung dieser Aufgabe falle zum großen Teile den Arbeit¬<lb/> gebern selbst zu. Das Fortziehen von ländlichen Arbeitern sei aber in dem<lb/> ostelbischen Deutschland schon seit einer langen Reihe von Jahren so groß,<lb/> daß auch die allgemeinen Staatsinteressen dadurch empfindlich berührt würden.<lb/> Die Arbeiterbevölkerung nehme hier in vielen Bezirken nicht nur nicht zu, wie<lb/> es ein gesteigerter Betrieb erfordere, sondern geradezu ab. Außerdem würde»<lb/> die deutschen Arbeiter durch massenhafte Heranziehung von polnischen Arbeitern<lb/> verdrängt, und die Gefahr der allmählichen Polonifirung ganzer Landstriche<lb/> sei sehr nahe gerückt. Hier müsse der Staat in seinem eignen Interesse helfend<lb/> eingreifen. Vor allem müsse er dafür sorgen, daß den jetzt landlosen Arbeitern<lb/> die Möglichkeit eröffnet werde, sich mit der Zeit und dnrch Hilfe ihrer Er¬<lb/> sparnisse Grundbesitz und damit eine feste Heimat zu erwerben; ferner müsse<lb/> er den Zuzug von polnischen Einwanderern möglichst eindämmen und ver¬<lb/> hindern, daß sich diese in deutscheu Gebieten dauernd niederlasse«.</p><lb/> <p xml:id="ID_958"> Schon vor länger als dreißig Jahren ist Herr von drr Goltz für die<lb/> Besserung der Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter im Osten Deutschlands<lb/> mit Nachdruck eingetreten, und unermüdlich hat er seitdem immer und immer<lb/> wieder deu Staat und die Gutsbesitzer der Ostproviuzcn an ihre Pflicht er¬<lb/> innert. Was das ostelbische Agrariertum auf diesem Gebiete mit offnen Augen<lb/> gesündigt hat — dem? auf seinen Widerstand ist auch die Unthätigkeit des<lb/> Staats fast ganz zurückzuführen — springt gerade diesen redlichen Bemühungen<lb/> eines so hervorragenden, berufnen Lehrers der Landwirtschaft und der Land¬<lb/> wirte gegenüber in die Augen. Möchte es ihm vergönnt sein, wenigstens noch<lb/> den Anfang eines wirklichen Erfolgs seiner Lehren zu erleben!</p><lb/> <p xml:id="ID_959" next="#ID_960"> Auf dem Gebiete des Kreditwesens weist Herr von der Goltz dem Staate<lb/> die wichtige Aufgabe zu, „nach seinen Kräften dafür zu sorgen, daß sich in<lb/> seinem Gebiete oder in den einzelnen Teilen seines Gebietes landschaftliche,<lb/> auf Gegenseitigkeit beruhende Hhpothenkreditinstitute und ebenso für den Per-<lb/> fonalkredit auf Solidarhaft beruhende örtliche Genossenschaften bilden, und<lb/> daß beide Arten von Instituten so eingerichtet und verwaltet werden, daß sie<lb/> für die größere Mehrzahl der Fälle dem normalen Kreditbedürfnis der Land¬<lb/> wirte genügen." Schon deshalb sei diese Aufgabe von großer Wichtigkeit,<lb/> weil auch ein etwa wieder eintretendes Steigen der Getreidepreise der Land¬<lb/> wirtschaft auf die Dauer uicht helfen könne, wenn in gleichem Maße die Ver¬<lb/> schuldung wachse. Aber er fügt ausdrücklich hinzu: „Eine staatliche Begrenzung<lb/> der Verschuldungsfreiheit ist unzulässig und undurchführbar." Sie würde es<lb/> nach seiner Überzeugung gerade besonders begabten, strebsamen und sparsamen,<lb/> aber mit geringen Geldmitteln ausgerüsteten Landwirten unmöglich machen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand
es ihm darnach für die „Gegenwart" als eine der wichtigsten Aufgaben er¬
scheint, „der starken Fortwanderung der ländlichen Arbeiter nach den Städten
und den Industriebezirken sowohl wie uach dem Auslande einen Damm ent¬
gegenzusetzen." Die Lösung dieser Aufgabe falle zum großen Teile den Arbeit¬
gebern selbst zu. Das Fortziehen von ländlichen Arbeitern sei aber in dem
ostelbischen Deutschland schon seit einer langen Reihe von Jahren so groß,
daß auch die allgemeinen Staatsinteressen dadurch empfindlich berührt würden.
Die Arbeiterbevölkerung nehme hier in vielen Bezirken nicht nur nicht zu, wie
es ein gesteigerter Betrieb erfordere, sondern geradezu ab. Außerdem würde»
die deutschen Arbeiter durch massenhafte Heranziehung von polnischen Arbeitern
verdrängt, und die Gefahr der allmählichen Polonifirung ganzer Landstriche
sei sehr nahe gerückt. Hier müsse der Staat in seinem eignen Interesse helfend
eingreifen. Vor allem müsse er dafür sorgen, daß den jetzt landlosen Arbeitern
die Möglichkeit eröffnet werde, sich mit der Zeit und dnrch Hilfe ihrer Er¬
sparnisse Grundbesitz und damit eine feste Heimat zu erwerben; ferner müsse
er den Zuzug von polnischen Einwanderern möglichst eindämmen und ver¬
hindern, daß sich diese in deutscheu Gebieten dauernd niederlasse«.
Schon vor länger als dreißig Jahren ist Herr von drr Goltz für die
Besserung der Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter im Osten Deutschlands
mit Nachdruck eingetreten, und unermüdlich hat er seitdem immer und immer
wieder deu Staat und die Gutsbesitzer der Ostproviuzcn an ihre Pflicht er¬
innert. Was das ostelbische Agrariertum auf diesem Gebiete mit offnen Augen
gesündigt hat — dem? auf seinen Widerstand ist auch die Unthätigkeit des
Staats fast ganz zurückzuführen — springt gerade diesen redlichen Bemühungen
eines so hervorragenden, berufnen Lehrers der Landwirtschaft und der Land¬
wirte gegenüber in die Augen. Möchte es ihm vergönnt sein, wenigstens noch
den Anfang eines wirklichen Erfolgs seiner Lehren zu erleben!
Auf dem Gebiete des Kreditwesens weist Herr von der Goltz dem Staate
die wichtige Aufgabe zu, „nach seinen Kräften dafür zu sorgen, daß sich in
seinem Gebiete oder in den einzelnen Teilen seines Gebietes landschaftliche,
auf Gegenseitigkeit beruhende Hhpothenkreditinstitute und ebenso für den Per-
fonalkredit auf Solidarhaft beruhende örtliche Genossenschaften bilden, und
daß beide Arten von Instituten so eingerichtet und verwaltet werden, daß sie
für die größere Mehrzahl der Fälle dem normalen Kreditbedürfnis der Land¬
wirte genügen." Schon deshalb sei diese Aufgabe von großer Wichtigkeit,
weil auch ein etwa wieder eintretendes Steigen der Getreidepreise der Land¬
wirtschaft auf die Dauer uicht helfen könne, wenn in gleichem Maße die Ver¬
schuldung wachse. Aber er fügt ausdrücklich hinzu: „Eine staatliche Begrenzung
der Verschuldungsfreiheit ist unzulässig und undurchführbar." Sie würde es
nach seiner Überzeugung gerade besonders begabten, strebsamen und sparsamen,
aber mit geringen Geldmitteln ausgerüsteten Landwirten unmöglich machen,
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