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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand

besonders große Tüchtigkeit und praktisches Geschick den Mangel an Kapital
oder an Kenntnissen auszugleichen imstande siud."

Daß also der einzelne besser wirtschaften lernt, das ist die Hauptsache
für die Beseitigung des herrschenden Notstands; freilich eine so natürliche, auf
der Hand liegende Selbstverständlichkeit, daß man sich nicht darüber wundern
kaun, wenn nicht nur das praktische Agrariertum, sondern auch die ganze
"moderne" volkswirtschaftliche Gelehrsamkeit keine Ahnung davon hat. Denn
wie kann man diesen Herren wohl noch zumute", darnach zu fragen, was der
einzelne zu thun und zu lassen habe?

Darüber aber, was der Staat thun oder nicht thun kann, um zu helfen,
darf die Ansicht des Herrn von der Goltz gewiß ebenso wenig auf das
Verständnis oder gar auf die Zustimmung der preußischen Agrarier und der
bekannten akademischen Bauernretter rechnen. Schon dadurch dürfte er sich
in scharfen Gegensatz zu diesen Herren, vielleicht auch zu Herrn Miquel gesetzt
haben, daß er überhaupt eine Entschuldigung dafür hat, daß der Staat jahr¬
zehntelang der Landwirtschaft die Sorgfalt nicht zugewendet habe, die sie "in
Anbetracht ihrer Bedeutung für das wirtschaftliche Leben des Volkes fordern"
dürfe. Diese Entschuldigung findet Herr von der Goltz darin, "daß die mächtig
sich entwickelnde Industrie und der ebenso aufblühende Handel, die aber beide
einen schweren Konkurrenzkampf mit dem schon weiter vorgeschrittnen England
zu bestehen habe", die persönlichen Kräfte und die sachlichen Hilfsmittel des
Staates vollauf in Anspruch nehmen; dann aber auch darin, daß es der Land¬
wirtschaft und den einzelnen Landwirten lange Zeit hindurch sehr gut ging,
auch ohne daß sich der Staat viel um sie kümmerte." Das habe sich aber
seit fünfzehn bis zwanzig Jahren geändert, und die Staaten hätten wohl auch
begriffen, daß es jetzt eine ihrer wichtigsten Aufgaben bilde, "der bedrängten
Landwirtschaft zu Hilfe zu kommen." Herr von der Goltz Hütte hier nicht
unterlassen sollen, daran zu erinnern, daß gerade in Deutschland und vollends
in Preußen der Staat in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren den ländlichen
Grundbesitzern dnrch Schutzzölle, Steuererlasse, Verkehrsanlagen usw. schou
Hunderte von Millionen zugewendet hat, die ihm das Aufblühen von Gewerbe
und Handel zur Verfügung stellte. Jedenfalls hätte er im Unterschiede zu den
agrarischen Schlagworten gut gethan, den trotz der angeführten Entschuldigung
immerhin dem Staat gemachten schweren Vorwurf einer Vernachlässigung der
Landwirtschaft etwas eingehender zu begründen.

Nach seiner Meinung -- die Frage der Aufbesserung der Getreidepreise
überläßt er seinein Kollegen Conrad -- muß der Staat seine ganz besondre
Aufmerksamkeit den "Kredit- und Arbeiterverhältnissen" zuwenden. Was die
Nrbeiterverhältnisse anlangt, so verweist er auf seine meist schon in den frühern
Ausgaben des Schvnbergschen Handbuchs und in zahlreichen andern Schriften
befindlichen Ausführungen. Wir begnügen uns hier damit, hervorzuheben, daß


Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand

besonders große Tüchtigkeit und praktisches Geschick den Mangel an Kapital
oder an Kenntnissen auszugleichen imstande siud."

Daß also der einzelne besser wirtschaften lernt, das ist die Hauptsache
für die Beseitigung des herrschenden Notstands; freilich eine so natürliche, auf
der Hand liegende Selbstverständlichkeit, daß man sich nicht darüber wundern
kaun, wenn nicht nur das praktische Agrariertum, sondern auch die ganze
„moderne" volkswirtschaftliche Gelehrsamkeit keine Ahnung davon hat. Denn
wie kann man diesen Herren wohl noch zumute», darnach zu fragen, was der
einzelne zu thun und zu lassen habe?

Darüber aber, was der Staat thun oder nicht thun kann, um zu helfen,
darf die Ansicht des Herrn von der Goltz gewiß ebenso wenig auf das
Verständnis oder gar auf die Zustimmung der preußischen Agrarier und der
bekannten akademischen Bauernretter rechnen. Schon dadurch dürfte er sich
in scharfen Gegensatz zu diesen Herren, vielleicht auch zu Herrn Miquel gesetzt
haben, daß er überhaupt eine Entschuldigung dafür hat, daß der Staat jahr¬
zehntelang der Landwirtschaft die Sorgfalt nicht zugewendet habe, die sie „in
Anbetracht ihrer Bedeutung für das wirtschaftliche Leben des Volkes fordern"
dürfe. Diese Entschuldigung findet Herr von der Goltz darin, „daß die mächtig
sich entwickelnde Industrie und der ebenso aufblühende Handel, die aber beide
einen schweren Konkurrenzkampf mit dem schon weiter vorgeschrittnen England
zu bestehen habe», die persönlichen Kräfte und die sachlichen Hilfsmittel des
Staates vollauf in Anspruch nehmen; dann aber auch darin, daß es der Land¬
wirtschaft und den einzelnen Landwirten lange Zeit hindurch sehr gut ging,
auch ohne daß sich der Staat viel um sie kümmerte." Das habe sich aber
seit fünfzehn bis zwanzig Jahren geändert, und die Staaten hätten wohl auch
begriffen, daß es jetzt eine ihrer wichtigsten Aufgaben bilde, „der bedrängten
Landwirtschaft zu Hilfe zu kommen." Herr von der Goltz Hütte hier nicht
unterlassen sollen, daran zu erinnern, daß gerade in Deutschland und vollends
in Preußen der Staat in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren den ländlichen
Grundbesitzern dnrch Schutzzölle, Steuererlasse, Verkehrsanlagen usw. schou
Hunderte von Millionen zugewendet hat, die ihm das Aufblühen von Gewerbe
und Handel zur Verfügung stellte. Jedenfalls hätte er im Unterschiede zu den
agrarischen Schlagworten gut gethan, den trotz der angeführten Entschuldigung
immerhin dem Staat gemachten schweren Vorwurf einer Vernachlässigung der
Landwirtschaft etwas eingehender zu begründen.

Nach seiner Meinung — die Frage der Aufbesserung der Getreidepreise
überläßt er seinein Kollegen Conrad — muß der Staat seine ganz besondre
Aufmerksamkeit den „Kredit- und Arbeiterverhältnissen" zuwenden. Was die
Nrbeiterverhältnisse anlangt, so verweist er auf seine meist schon in den frühern
Ausgaben des Schvnbergschen Handbuchs und in zahlreichen andern Schriften
befindlichen Ausführungen. Wir begnügen uns hier damit, hervorzuheben, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/310>, abgerufen am 08.01.2025.