Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand sich einen ihren geistigen und sittlichen Kräften angemessenen Grundbesitz zu Wenden wir uns nun zu dem, was Professor I. Conrad in Rücksicht Das sind natürlich ideale Zustünde uach dem Sinn recht vieler neu- Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand sich einen ihren geistigen und sittlichen Kräften angemessenen Grundbesitz zu Wenden wir uns nun zu dem, was Professor I. Conrad in Rücksicht Das sind natürlich ideale Zustünde uach dem Sinn recht vieler neu- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223896"/> <fw type="header" place="top"> Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand</fw><lb/> <p xml:id="ID_960" prev="#ID_959"> sich einen ihren geistigen und sittlichen Kräften angemessenen Grundbesitz zu<lb/> erwerben. Sie würde ferner große Willkürlichkeiten und Ungerechtigkeiten zur<lb/> Folge habe«, vielleicht überhaupt nur ein Scheindasein führen, da die Be¬<lb/> messung des Ertragswerts der Güter, von der doch die Höhe der Verschuldung<lb/> abhängig gemacht werden müsse, ungemein schwierig sei, und nur von besonders<lb/> sach- und ortskundigen und ebenso gewissenhaften Personen mit der erforder¬<lb/> lichen Zuverlässigkeit vorgenommen werden könne. Eine sehr hoch festgesetzte<lb/> Verschuldnugsgrenze würde überhaupt keine Bedeutung haben, eine sehr niedrige<lb/> könnte viele tüchtige Landwirte schwer schädigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_961"> Wenden wir uns nun zu dem, was Professor I. Conrad in Rücksicht<lb/> auf die neuern Erscheinungen in der agrarischen Bewegung seinen ältern Aus¬<lb/> führungen über Eingriffe des Staats in die Getreidepreisbildung hinzuzufügen<lb/> für nötig gehalten hat. Von besonderen Interesse ist zunächst ein Hinweis<lb/> auf die Versuche, die man in Portugal gemacht hat. Nach einem Gesetz vom<lb/> 15. Juli 1889 durfte dort nur Weizen einführen, wer doppelt soviel ein¬<lb/> heimischen Weizen gekauft oder vermahlen hatte, und nnr, wenn die Preise<lb/> des einheimischen Weizens durchschnittlich sechzig Reis für das Kilo überstiegen<lb/> oder sobald die Direktion des „Zentralmarktes für landwirtschaftliche Produkte"<lb/> erklärte, daß kein Angebot von einheimischen Weizen auf dem Markte mehr<lb/> vorliege. Ähnlich wurde die Einfuhr von Mehl, Roggen und Mais ein¬<lb/> geschränkt. Nach einem weitern Gesetz vom 31. August 1891 wurde eine<lb/> jährliche, von der Behörde festzusetzende Kontingentirnng der Einfuhr hinzu¬<lb/> gefügt und bestimmt, daß gleichzeitig der Zoll so bemessen werden solle, daß<lb/> ein Normalbrotpreis von achtzig Reis für ein Kilo erreicht würde. „Das<lb/> Ergebnis dieser Maßregel — sagt Conrad — war allerdings eine bedeutende<lb/> Erhöhung der Preise der betreffenden Erzeugnisse zu Gunsten der Großgrund¬<lb/> besitzer, wahrend die große Masse der kleinen Zeitpächter infolge der erhöhten<lb/> Pacht keinen Vorteil davon hatte, und daher auch uicht der landwirtschaftliche<lb/> Betrieb. Eine weitere Folge war eine außerordentliche Konzentrirung des<lb/> Getreidehandels und des Mllhlengewerbes, sowie ein heftiger Kampf zwischen<lb/> Müllern, Bäckern usw. und den Vertretern der Konsumenten einerseits, den<lb/> Großgrundbesitzern andrerseits, dann ein allmählich immer tieferes Eingreifen<lb/> der Staatsgewalt in die Einzelheiten des Mehlhandels, der Mutterei und<lb/> Bäckerei unter Begünstigung der Übernahme dieser Gewerbe durch die<lb/> Kommunen."</p><lb/> <p xml:id="ID_962" next="#ID_963"> Das sind natürlich ideale Zustünde uach dem Sinn recht vieler neu-<lb/> modischen Wirtschaftsreformatoren, durchaus uicht nur des Grafen Kanitz.<lb/> Professor Conrad ist aber, Gott sei Dank, unmodern genug, sich uicht für<lb/> dergleichen Experimente zu erwärmen. Der dem Antrag Kanitz entsprechende<lb/> Versuch, „durch ein Getreideimpvrtmonopol dem Grundbesitzer die frühern<lb/> Preise zu verbürgen und für den Verkehr die Preisschwankungen zu beseitigen,"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0312]
Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand
sich einen ihren geistigen und sittlichen Kräften angemessenen Grundbesitz zu
erwerben. Sie würde ferner große Willkürlichkeiten und Ungerechtigkeiten zur
Folge habe«, vielleicht überhaupt nur ein Scheindasein führen, da die Be¬
messung des Ertragswerts der Güter, von der doch die Höhe der Verschuldung
abhängig gemacht werden müsse, ungemein schwierig sei, und nur von besonders
sach- und ortskundigen und ebenso gewissenhaften Personen mit der erforder¬
lichen Zuverlässigkeit vorgenommen werden könne. Eine sehr hoch festgesetzte
Verschuldnugsgrenze würde überhaupt keine Bedeutung haben, eine sehr niedrige
könnte viele tüchtige Landwirte schwer schädigen.
Wenden wir uns nun zu dem, was Professor I. Conrad in Rücksicht
auf die neuern Erscheinungen in der agrarischen Bewegung seinen ältern Aus¬
führungen über Eingriffe des Staats in die Getreidepreisbildung hinzuzufügen
für nötig gehalten hat. Von besonderen Interesse ist zunächst ein Hinweis
auf die Versuche, die man in Portugal gemacht hat. Nach einem Gesetz vom
15. Juli 1889 durfte dort nur Weizen einführen, wer doppelt soviel ein¬
heimischen Weizen gekauft oder vermahlen hatte, und nnr, wenn die Preise
des einheimischen Weizens durchschnittlich sechzig Reis für das Kilo überstiegen
oder sobald die Direktion des „Zentralmarktes für landwirtschaftliche Produkte"
erklärte, daß kein Angebot von einheimischen Weizen auf dem Markte mehr
vorliege. Ähnlich wurde die Einfuhr von Mehl, Roggen und Mais ein¬
geschränkt. Nach einem weitern Gesetz vom 31. August 1891 wurde eine
jährliche, von der Behörde festzusetzende Kontingentirnng der Einfuhr hinzu¬
gefügt und bestimmt, daß gleichzeitig der Zoll so bemessen werden solle, daß
ein Normalbrotpreis von achtzig Reis für ein Kilo erreicht würde. „Das
Ergebnis dieser Maßregel — sagt Conrad — war allerdings eine bedeutende
Erhöhung der Preise der betreffenden Erzeugnisse zu Gunsten der Großgrund¬
besitzer, wahrend die große Masse der kleinen Zeitpächter infolge der erhöhten
Pacht keinen Vorteil davon hatte, und daher auch uicht der landwirtschaftliche
Betrieb. Eine weitere Folge war eine außerordentliche Konzentrirung des
Getreidehandels und des Mllhlengewerbes, sowie ein heftiger Kampf zwischen
Müllern, Bäckern usw. und den Vertretern der Konsumenten einerseits, den
Großgrundbesitzern andrerseits, dann ein allmählich immer tieferes Eingreifen
der Staatsgewalt in die Einzelheiten des Mehlhandels, der Mutterei und
Bäckerei unter Begünstigung der Übernahme dieser Gewerbe durch die
Kommunen."
Das sind natürlich ideale Zustünde uach dem Sinn recht vieler neu-
modischen Wirtschaftsreformatoren, durchaus uicht nur des Grafen Kanitz.
Professor Conrad ist aber, Gott sei Dank, unmodern genug, sich uicht für
dergleichen Experimente zu erwärmen. Der dem Antrag Kanitz entsprechende
Versuch, „durch ein Getreideimpvrtmonopol dem Grundbesitzer die frühern
Preise zu verbürgen und für den Verkehr die Preisschwankungen zu beseitigen,"
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