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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand

wirtschaftliche Maschinenwesen gleichzeitig genommen habe. Aber das Bestreben,
die neuern Ergebnisse der Naturforschung der landwirtschaftlichen Produktion
dienstbar zu machen, "nahm während der letzten Jahrzehnte die Aufmerksamkeit
sowohl der Landwirtschaftslehrer wie der landwirtschaftlichen Praktiker so voll¬
ständig in Anspruch, daß man darüber die Sorge für eine richtige Organisation
des landwirtschaftlichen Betriebes im ganzen fast vergaß. Unbewußt gingen
viele sonst einsichtsvolle Männer von der Anschauung aus, der Erfolg der
Landwirtschaft hange lediglich von einer zweckmäßigen Behandlung und Pflege
des Bodeus, sowie der darauf wachsenden Pflanzen und der Haustiere ab.
Die nicht minder wichtigen Fragen bezüglich des Verhältnisses zwischen Acker¬
bau und Viehhaltung, bezüglich der Fruchtfolge, der Beschaffung und Behand¬
lung der erforderlichen menschlichen Arbeitskräfte, der Menge des notwendigen
Betriebskapitals, der Höhe der zulässigen Verschuldung eines Gutes usw.
wurden als nebensächlich bezeichnet. Man schien zu vergessen, daß die Land¬
wirtschaft ein Gewerbebetrieb ist, dessen Erfolg keineswegs ausschließlich von
der richtigen Anwendung bestimmter Naturgesetze, sondern ebenso sehr von der
Kenntnis und Benutzung wirtschaftlicher Gesetze abhängt. Wenn und inwie¬
weit sich heutzutage ein Notstand unter den Landwirten fühlbar macht, fo
hängt er nicht damit zusammen, daß Ackerbau und Viehzucht an und für sich
mangelhaft betrieben werden und deshalb zu geringe Roherträge abwerfen,
sondern vorzugsweise damit, daß die Güter überschüttet, oder daß die Güter-
und Pachtpreise zu einer ungerechtfertigten Höhe hinaufgeschraubt sind, daß
Man mit zu geringem Kapital wirtschaftet, daß die Auswahl der kultivirten
Gewächse und der gehaltnen Nutztiere den vorhandne" Preis-, Absatz- und
Arbeitsverhültnissen uicht angepaßt ist, und daß es endlich viele Landwirte
versäumen oder nicht verstehen, sich jährlich genaue Rechenschaft über die er¬
zielte" Reinertrage und die Höhe der Verzinsung der angewandten .Kapitalien
ZU geben. Auf diesem Gebiete ist die Entwicklung der Landwirtschaft während
der letzten fünfundzwanzig Jahre wenig fortgeschritten." Daraus folgert der
Verfasser, daß in erster Linie die "Selbsthilfe der Landwirte" not thue. Sie
Mußten lernen, wie der Reinertrag und der Ertragswert von Landgütern zu
veranschlagen, wie die Rentabilität nicht nnr der Wirtschaft im ganzen, sondern
auch der einzelnen Betriebszweige zu berechnen sei, wie man, um beides zu
können, die Buchhaltung einzurichten habe usw. "Manche Landwirte kennen
dirse Grundsätze und wenden sie zu ihrem Vorteile richtig an. Andre kennen
zwar, aber sie sind in ihrer Anwendung dadurch gehindert, daß sie das
bewirtschaftete Gut, mit oder ohne ihr Zuthun, unter zu ungünstigen Be-
^wguugeu übernommen haben. Sehr viele aber kennen die für die Organisation
und Leitung des Betriebes maßgebenden Grundsätze überhaupt nicht; sie müssen
daher in einer so kritischen Zeit, wie der gegenwärtigen, in Not geraten, wenn
Ac nicht von Haus aus über große materielle Mittel verfügen oder durch


Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand

wirtschaftliche Maschinenwesen gleichzeitig genommen habe. Aber das Bestreben,
die neuern Ergebnisse der Naturforschung der landwirtschaftlichen Produktion
dienstbar zu machen, „nahm während der letzten Jahrzehnte die Aufmerksamkeit
sowohl der Landwirtschaftslehrer wie der landwirtschaftlichen Praktiker so voll¬
ständig in Anspruch, daß man darüber die Sorge für eine richtige Organisation
des landwirtschaftlichen Betriebes im ganzen fast vergaß. Unbewußt gingen
viele sonst einsichtsvolle Männer von der Anschauung aus, der Erfolg der
Landwirtschaft hange lediglich von einer zweckmäßigen Behandlung und Pflege
des Bodeus, sowie der darauf wachsenden Pflanzen und der Haustiere ab.
Die nicht minder wichtigen Fragen bezüglich des Verhältnisses zwischen Acker¬
bau und Viehhaltung, bezüglich der Fruchtfolge, der Beschaffung und Behand¬
lung der erforderlichen menschlichen Arbeitskräfte, der Menge des notwendigen
Betriebskapitals, der Höhe der zulässigen Verschuldung eines Gutes usw.
wurden als nebensächlich bezeichnet. Man schien zu vergessen, daß die Land¬
wirtschaft ein Gewerbebetrieb ist, dessen Erfolg keineswegs ausschließlich von
der richtigen Anwendung bestimmter Naturgesetze, sondern ebenso sehr von der
Kenntnis und Benutzung wirtschaftlicher Gesetze abhängt. Wenn und inwie¬
weit sich heutzutage ein Notstand unter den Landwirten fühlbar macht, fo
hängt er nicht damit zusammen, daß Ackerbau und Viehzucht an und für sich
mangelhaft betrieben werden und deshalb zu geringe Roherträge abwerfen,
sondern vorzugsweise damit, daß die Güter überschüttet, oder daß die Güter-
und Pachtpreise zu einer ungerechtfertigten Höhe hinaufgeschraubt sind, daß
Man mit zu geringem Kapital wirtschaftet, daß die Auswahl der kultivirten
Gewächse und der gehaltnen Nutztiere den vorhandne» Preis-, Absatz- und
Arbeitsverhültnissen uicht angepaßt ist, und daß es endlich viele Landwirte
versäumen oder nicht verstehen, sich jährlich genaue Rechenschaft über die er¬
zielte» Reinertrage und die Höhe der Verzinsung der angewandten .Kapitalien
ZU geben. Auf diesem Gebiete ist die Entwicklung der Landwirtschaft während
der letzten fünfundzwanzig Jahre wenig fortgeschritten." Daraus folgert der
Verfasser, daß in erster Linie die „Selbsthilfe der Landwirte" not thue. Sie
Mußten lernen, wie der Reinertrag und der Ertragswert von Landgütern zu
veranschlagen, wie die Rentabilität nicht nnr der Wirtschaft im ganzen, sondern
auch der einzelnen Betriebszweige zu berechnen sei, wie man, um beides zu
können, die Buchhaltung einzurichten habe usw. „Manche Landwirte kennen
dirse Grundsätze und wenden sie zu ihrem Vorteile richtig an. Andre kennen
zwar, aber sie sind in ihrer Anwendung dadurch gehindert, daß sie das
bewirtschaftete Gut, mit oder ohne ihr Zuthun, unter zu ungünstigen Be-
^wguugeu übernommen haben. Sehr viele aber kennen die für die Organisation
und Leitung des Betriebes maßgebenden Grundsätze überhaupt nicht; sie müssen
daher in einer so kritischen Zeit, wie der gegenwärtigen, in Not geraten, wenn
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[0309] Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand wirtschaftliche Maschinenwesen gleichzeitig genommen habe. Aber das Bestreben, die neuern Ergebnisse der Naturforschung der landwirtschaftlichen Produktion dienstbar zu machen, „nahm während der letzten Jahrzehnte die Aufmerksamkeit sowohl der Landwirtschaftslehrer wie der landwirtschaftlichen Praktiker so voll¬ ständig in Anspruch, daß man darüber die Sorge für eine richtige Organisation des landwirtschaftlichen Betriebes im ganzen fast vergaß. Unbewußt gingen viele sonst einsichtsvolle Männer von der Anschauung aus, der Erfolg der Landwirtschaft hange lediglich von einer zweckmäßigen Behandlung und Pflege des Bodeus, sowie der darauf wachsenden Pflanzen und der Haustiere ab. Die nicht minder wichtigen Fragen bezüglich des Verhältnisses zwischen Acker¬ bau und Viehhaltung, bezüglich der Fruchtfolge, der Beschaffung und Behand¬ lung der erforderlichen menschlichen Arbeitskräfte, der Menge des notwendigen Betriebskapitals, der Höhe der zulässigen Verschuldung eines Gutes usw. wurden als nebensächlich bezeichnet. Man schien zu vergessen, daß die Land¬ wirtschaft ein Gewerbebetrieb ist, dessen Erfolg keineswegs ausschließlich von der richtigen Anwendung bestimmter Naturgesetze, sondern ebenso sehr von der Kenntnis und Benutzung wirtschaftlicher Gesetze abhängt. Wenn und inwie¬ weit sich heutzutage ein Notstand unter den Landwirten fühlbar macht, fo hängt er nicht damit zusammen, daß Ackerbau und Viehzucht an und für sich mangelhaft betrieben werden und deshalb zu geringe Roherträge abwerfen, sondern vorzugsweise damit, daß die Güter überschüttet, oder daß die Güter- und Pachtpreise zu einer ungerechtfertigten Höhe hinaufgeschraubt sind, daß Man mit zu geringem Kapital wirtschaftet, daß die Auswahl der kultivirten Gewächse und der gehaltnen Nutztiere den vorhandne» Preis-, Absatz- und Arbeitsverhültnissen uicht angepaßt ist, und daß es endlich viele Landwirte versäumen oder nicht verstehen, sich jährlich genaue Rechenschaft über die er¬ zielte» Reinertrage und die Höhe der Verzinsung der angewandten .Kapitalien ZU geben. Auf diesem Gebiete ist die Entwicklung der Landwirtschaft während der letzten fünfundzwanzig Jahre wenig fortgeschritten." Daraus folgert der Verfasser, daß in erster Linie die „Selbsthilfe der Landwirte" not thue. Sie Mußten lernen, wie der Reinertrag und der Ertragswert von Landgütern zu veranschlagen, wie die Rentabilität nicht nnr der Wirtschaft im ganzen, sondern auch der einzelnen Betriebszweige zu berechnen sei, wie man, um beides zu können, die Buchhaltung einzurichten habe usw. „Manche Landwirte kennen dirse Grundsätze und wenden sie zu ihrem Vorteile richtig an. Andre kennen zwar, aber sie sind in ihrer Anwendung dadurch gehindert, daß sie das bewirtschaftete Gut, mit oder ohne ihr Zuthun, unter zu ungünstigen Be- ^wguugeu übernommen haben. Sehr viele aber kennen die für die Organisation und Leitung des Betriebes maßgebenden Grundsätze überhaupt nicht; sie müssen daher in einer so kritischen Zeit, wie der gegenwärtigen, in Not geraten, wenn Ac nicht von Haus aus über große materielle Mittel verfügen oder durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/309>, abgerufen am 08.01.2025.