Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand Getreide und andre landwirtschaftliche Erzeugnisse gewonnen, die durch schnellen Aber dieser Rückgang der Reinertrage -- so etwa fährt Herr von der Der Verfasser äußert sich auch zu der Frage nach der Verschiedenheit in Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand Getreide und andre landwirtschaftliche Erzeugnisse gewonnen, die durch schnellen Aber dieser Rückgang der Reinertrage — so etwa fährt Herr von der Der Verfasser äußert sich auch zu der Frage nach der Verschiedenheit in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223891"/> <fw type="header" place="top"> Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand</fw><lb/> <p xml:id="ID_946" prev="#ID_945"> Getreide und andre landwirtschaftliche Erzeugnisse gewonnen, die durch schnellen<lb/> und billige» Transport auf den europäischen Markt gebracht werden könnten.<lb/> Dadurch seien die Getreidepreise in allen dem Weltverkehr erschlossenen Ländern<lb/> gedrückt und ein den vermehrten Produktionskosten entsprechendes Steigen der<lb/> Preise der tierischen Erzeugnisse verhindert worden. Verstärkt worden sei die<lb/> Wirkung dieses Umstandes noch dadurch, daß infolge der Fortschritte in der<lb/> landwirtschaftlichen Technik die Roherträge aus Ackerbau und Viehhaltung be¬<lb/> deutend gewachsen seien und dadurch das Angebot an landwirtschaftlichen Er¬<lb/> zeugnissen noch stärker als die Bevölkerung zugenommen habe. Hierzu komme,<lb/> daß die Produktionskosten infolge des Wachsens der Arbeitslöhne, sowie der<lb/> vermehrten Anforderungen des Staates an seine Bürger nicht unbedeutend ge¬<lb/> stiegen, daß ferner die Ansprüche der Landwirte ebenso wie die aller übrigen<lb/> Stände an die Art der Lebenshaltung bedeutend größer geworden seien. Alle<lb/> diese Dinge zusammen hätten bewirkt, daß „trotz der Erhöhung der Roherträge<lb/> ein Sinken der Reinertrage" stattgefunden habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_947"> Aber dieser Rückgang der Reinertrage — so etwa fährt Herr von der<lb/> Goltz fort — ist doch nicht so groß gewesen, daß er einen allgemeinen Not¬<lb/> stand Hütte erzengen können. Man hat sich aber, durch die andauernde Steige¬<lb/> rung der Reinertrage verleitet, daran gewöhnt, den Boden über seinen Ertrags¬<lb/> wert hinaus zu bezahlen und übermäßig hoch zu verschulden. Infolgedessen<lb/> wird heute auf vielen Gütern der Reinertrag durch die zu zahlenden Hypotheken-<lb/> zinsen ganz oder größtenteils verschlungen; es wird dadurch außerdem das<lb/> Betriebskapital geschwächt und der Landwirt somit des für eine erfolgreiche<lb/> Wirtschaftsführung unerläßlichsten Mittels beraubt. Zu hohe Erwerbungs¬<lb/> preise für die Güter, zu hohe Verschuldung und zu geringes Betriebskapital,<lb/> in diesen drei Übelständen ist hauptsächlich die Notlage begründet, in der<lb/> sich gegenwärtig viele Landwirte befinden. Auch ohne sie würde ja die deutsche<lb/> Landwirtschaft ans den oben entwickelten Gründen eine den Einzelnen mehr oder<lb/> minder empfindlich berührende Krisis durchzumachen haben; aber diese würde<lb/> kaum stärker oder bedenklicher sein als die, durch die viele andre Erwerbs-<lb/> Zweige heutzutage ebenfalls betroffen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_948" next="#ID_949"> Der Verfasser äußert sich auch zu der Frage nach der Verschiedenheit in<lb/> der Lage der Groß- und Kleinbesitzer und bezeichnet es als durch zahlreiche<lb/> statistische Erhebungen und Einzelforschungen nachgewiesen, „daß der Großgrund¬<lb/> besitz unter dem gegenwärtigen Rückgänge mehr leidet als der bäuerliche und<lb/> Kleinbesitz." Der Großbesitz sei durchschnittlich bedeutend höher verschuldet,<lb/> er finde sich ferner zum Teil in den Händen von Personen, die keine Land¬<lb/> wirte von Beruf seien und deshalb den Betrieb ihrer Güter nicht selbst<lb/> leiteten, oder doch nicht mit genügendem Erfolg leiten könnten. Diesen Be¬<lb/> chern mache es ihre gesellschaftliche Stellung nicht möglich, oder lasse es ihnen<lb/> doch als nicht möglich erscheinen, die persönlichen Ausgaben für sich und ihre</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand
Getreide und andre landwirtschaftliche Erzeugnisse gewonnen, die durch schnellen
und billige» Transport auf den europäischen Markt gebracht werden könnten.
Dadurch seien die Getreidepreise in allen dem Weltverkehr erschlossenen Ländern
gedrückt und ein den vermehrten Produktionskosten entsprechendes Steigen der
Preise der tierischen Erzeugnisse verhindert worden. Verstärkt worden sei die
Wirkung dieses Umstandes noch dadurch, daß infolge der Fortschritte in der
landwirtschaftlichen Technik die Roherträge aus Ackerbau und Viehhaltung be¬
deutend gewachsen seien und dadurch das Angebot an landwirtschaftlichen Er¬
zeugnissen noch stärker als die Bevölkerung zugenommen habe. Hierzu komme,
daß die Produktionskosten infolge des Wachsens der Arbeitslöhne, sowie der
vermehrten Anforderungen des Staates an seine Bürger nicht unbedeutend ge¬
stiegen, daß ferner die Ansprüche der Landwirte ebenso wie die aller übrigen
Stände an die Art der Lebenshaltung bedeutend größer geworden seien. Alle
diese Dinge zusammen hätten bewirkt, daß „trotz der Erhöhung der Roherträge
ein Sinken der Reinertrage" stattgefunden habe.
Aber dieser Rückgang der Reinertrage — so etwa fährt Herr von der
Goltz fort — ist doch nicht so groß gewesen, daß er einen allgemeinen Not¬
stand Hütte erzengen können. Man hat sich aber, durch die andauernde Steige¬
rung der Reinertrage verleitet, daran gewöhnt, den Boden über seinen Ertrags¬
wert hinaus zu bezahlen und übermäßig hoch zu verschulden. Infolgedessen
wird heute auf vielen Gütern der Reinertrag durch die zu zahlenden Hypotheken-
zinsen ganz oder größtenteils verschlungen; es wird dadurch außerdem das
Betriebskapital geschwächt und der Landwirt somit des für eine erfolgreiche
Wirtschaftsführung unerläßlichsten Mittels beraubt. Zu hohe Erwerbungs¬
preise für die Güter, zu hohe Verschuldung und zu geringes Betriebskapital,
in diesen drei Übelständen ist hauptsächlich die Notlage begründet, in der
sich gegenwärtig viele Landwirte befinden. Auch ohne sie würde ja die deutsche
Landwirtschaft ans den oben entwickelten Gründen eine den Einzelnen mehr oder
minder empfindlich berührende Krisis durchzumachen haben; aber diese würde
kaum stärker oder bedenklicher sein als die, durch die viele andre Erwerbs-
Zweige heutzutage ebenfalls betroffen sind.
Der Verfasser äußert sich auch zu der Frage nach der Verschiedenheit in
der Lage der Groß- und Kleinbesitzer und bezeichnet es als durch zahlreiche
statistische Erhebungen und Einzelforschungen nachgewiesen, „daß der Großgrund¬
besitz unter dem gegenwärtigen Rückgänge mehr leidet als der bäuerliche und
Kleinbesitz." Der Großbesitz sei durchschnittlich bedeutend höher verschuldet,
er finde sich ferner zum Teil in den Händen von Personen, die keine Land¬
wirte von Beruf seien und deshalb den Betrieb ihrer Güter nicht selbst
leiteten, oder doch nicht mit genügendem Erfolg leiten könnten. Diesen Be¬
chern mache es ihre gesellschaftliche Stellung nicht möglich, oder lasse es ihnen
doch als nicht möglich erscheinen, die persönlichen Ausgaben für sich und ihre
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