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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Juristische Randbemerkungen zum Fall Aotze

Militärstrafgerichtsordnung ausschließlich der Militärstrafgerichsbarkeit unter-
wvrfncn Offiziers befehlen kann, falls die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen
einer Verhaftung vorliegen. Die Verhaftung Kotzes war aber, nach Friedmanns
Behauptung, deshalb eine flagrante Ungesetzlichkeit, weil es an einer dieser
Voraussetzungen mangelte.

Wie begründet er diese Behauptung? Nachdem er so gütig gewesen ist,
den Kaiser, der nicht alle Vorschriften der Strafgesetze kennen könne, von der
Verantwortung für die ungesetzliche Maßregel freizusprechen, sährt er fort:
"Aber der Gouvernementsauditenr, Geheimrat Brüggemann, dessen Stellung
gerade in der Hauptstadt voll von Verantwortung ist, mußte wissen, daß ihn
das Gesetz zwang, seinen Gefangnen augenblicklich zu entlassen. Nach dem
deutschen Gesetze . . . stellt die Beleidigung ein Vergehen dar, das nur auf
den Antrag der verletzten Partei verfolgt wird. Ohne einen solchen Antrag
giebt es weder eine Verfolgung noch eine Verurteilung. Nun hatte bis zum
7. Juni 1894 (dem Tage der Verhaftung) niemand einen Strafantrag gegen
Herrn v. Kotze gestellt. Die Strafthat, wegen deren man ihn angeblich
verfolgte, existirte also vom rechtlichen Standpunkte aus betrachtet überhaupt
nicht, und nichts rechtfertigte die Festhaltung. . . . Und Herr Brüggemann?
Ich glaube, daß ihm der Inhalt des K 61 des deutschen Strafgesetzbuchs
vollständig unbekannt war. Denn wenn er ihn gekannt Hütte ... so würde
eine unerhörte Verletzung des Gesetzes vorgelegen haben." Und zum Schlüsse
dieser Ausführungen heißt es höhnisch: II ^ a us8 ü. Lsrliri.

Es war nötig, Friedmcmn selbst reden zu lassen; man würde sonst
glauben können, ich hätte seine Beweisführung mißverstanden. Denn der Jurist.
der diese Sätze liest, greift sich an die Stirn mit der Frage: hast du richtig
gelesen, oder hat dich Friedmann wirklich so grob zum besten?

Also bei einer Strafthat, deren Verfolgung nur auf Antrag des Verletzten
eintritt -- den sogenannten Antragsdelikten --, ist vor der Stellung des
Strafantrags jede Untersuchungsmaßregel, insbesondre die vorläufige Fest¬
nahme und der Erlaß des Strafbefehls gegen den Thäter unzulässig und
durch das Gesetz untersagt? Das gerade Gegenteil hiervon ist richtig.

§ 127 Absatz 3 der Strafprozeßordnung bestimmt wörtlich: "Bei
strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist die
vorläufige Festnahme von der Stellung eines solchen Antrages nicht abhängig."
Ferner bestimmt Z 130 der Strafprozeßordnung: "Wird wegen Verdachts
einer strafbaren Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ein
Haftbefehl erlassen, bevor der Antrag gestellt ist, so ist der Antragsberechtigte,
von mehreren wenigstens einer derselben, sofort von dem Erlaß des Haft¬
befehls in Kenntnis zu setzen." Diese Bestimmungen finden auch auf das
Militärstrafverfahren Anwendung.

Die zur Zeit in Preußen geltende Militärstrafgerichtsordnung vom 3. April


Juristische Randbemerkungen zum Fall Aotze

Militärstrafgerichtsordnung ausschließlich der Militärstrafgerichsbarkeit unter-
wvrfncn Offiziers befehlen kann, falls die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen
einer Verhaftung vorliegen. Die Verhaftung Kotzes war aber, nach Friedmanns
Behauptung, deshalb eine flagrante Ungesetzlichkeit, weil es an einer dieser
Voraussetzungen mangelte.

Wie begründet er diese Behauptung? Nachdem er so gütig gewesen ist,
den Kaiser, der nicht alle Vorschriften der Strafgesetze kennen könne, von der
Verantwortung für die ungesetzliche Maßregel freizusprechen, sährt er fort:
„Aber der Gouvernementsauditenr, Geheimrat Brüggemann, dessen Stellung
gerade in der Hauptstadt voll von Verantwortung ist, mußte wissen, daß ihn
das Gesetz zwang, seinen Gefangnen augenblicklich zu entlassen. Nach dem
deutschen Gesetze . . . stellt die Beleidigung ein Vergehen dar, das nur auf
den Antrag der verletzten Partei verfolgt wird. Ohne einen solchen Antrag
giebt es weder eine Verfolgung noch eine Verurteilung. Nun hatte bis zum
7. Juni 1894 (dem Tage der Verhaftung) niemand einen Strafantrag gegen
Herrn v. Kotze gestellt. Die Strafthat, wegen deren man ihn angeblich
verfolgte, existirte also vom rechtlichen Standpunkte aus betrachtet überhaupt
nicht, und nichts rechtfertigte die Festhaltung. . . . Und Herr Brüggemann?
Ich glaube, daß ihm der Inhalt des K 61 des deutschen Strafgesetzbuchs
vollständig unbekannt war. Denn wenn er ihn gekannt Hütte ... so würde
eine unerhörte Verletzung des Gesetzes vorgelegen haben." Und zum Schlüsse
dieser Ausführungen heißt es höhnisch: II ^ a us8 ü. Lsrliri.

Es war nötig, Friedmcmn selbst reden zu lassen; man würde sonst
glauben können, ich hätte seine Beweisführung mißverstanden. Denn der Jurist.
der diese Sätze liest, greift sich an die Stirn mit der Frage: hast du richtig
gelesen, oder hat dich Friedmann wirklich so grob zum besten?

Also bei einer Strafthat, deren Verfolgung nur auf Antrag des Verletzten
eintritt — den sogenannten Antragsdelikten —, ist vor der Stellung des
Strafantrags jede Untersuchungsmaßregel, insbesondre die vorläufige Fest¬
nahme und der Erlaß des Strafbefehls gegen den Thäter unzulässig und
durch das Gesetz untersagt? Das gerade Gegenteil hiervon ist richtig.

§ 127 Absatz 3 der Strafprozeßordnung bestimmt wörtlich: „Bei
strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist die
vorläufige Festnahme von der Stellung eines solchen Antrages nicht abhängig."
Ferner bestimmt Z 130 der Strafprozeßordnung: „Wird wegen Verdachts
einer strafbaren Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ein
Haftbefehl erlassen, bevor der Antrag gestellt ist, so ist der Antragsberechtigte,
von mehreren wenigstens einer derselben, sofort von dem Erlaß des Haft¬
befehls in Kenntnis zu setzen." Diese Bestimmungen finden auch auf das
Militärstrafverfahren Anwendung.

Die zur Zeit in Preußen geltende Militärstrafgerichtsordnung vom 3. April


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[0030] Juristische Randbemerkungen zum Fall Aotze Militärstrafgerichtsordnung ausschließlich der Militärstrafgerichsbarkeit unter- wvrfncn Offiziers befehlen kann, falls die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen einer Verhaftung vorliegen. Die Verhaftung Kotzes war aber, nach Friedmanns Behauptung, deshalb eine flagrante Ungesetzlichkeit, weil es an einer dieser Voraussetzungen mangelte. Wie begründet er diese Behauptung? Nachdem er so gütig gewesen ist, den Kaiser, der nicht alle Vorschriften der Strafgesetze kennen könne, von der Verantwortung für die ungesetzliche Maßregel freizusprechen, sährt er fort: „Aber der Gouvernementsauditenr, Geheimrat Brüggemann, dessen Stellung gerade in der Hauptstadt voll von Verantwortung ist, mußte wissen, daß ihn das Gesetz zwang, seinen Gefangnen augenblicklich zu entlassen. Nach dem deutschen Gesetze . . . stellt die Beleidigung ein Vergehen dar, das nur auf den Antrag der verletzten Partei verfolgt wird. Ohne einen solchen Antrag giebt es weder eine Verfolgung noch eine Verurteilung. Nun hatte bis zum 7. Juni 1894 (dem Tage der Verhaftung) niemand einen Strafantrag gegen Herrn v. Kotze gestellt. Die Strafthat, wegen deren man ihn angeblich verfolgte, existirte also vom rechtlichen Standpunkte aus betrachtet überhaupt nicht, und nichts rechtfertigte die Festhaltung. . . . Und Herr Brüggemann? Ich glaube, daß ihm der Inhalt des K 61 des deutschen Strafgesetzbuchs vollständig unbekannt war. Denn wenn er ihn gekannt Hütte ... so würde eine unerhörte Verletzung des Gesetzes vorgelegen haben." Und zum Schlüsse dieser Ausführungen heißt es höhnisch: II ^ a us8 ü. Lsrliri. Es war nötig, Friedmcmn selbst reden zu lassen; man würde sonst glauben können, ich hätte seine Beweisführung mißverstanden. Denn der Jurist. der diese Sätze liest, greift sich an die Stirn mit der Frage: hast du richtig gelesen, oder hat dich Friedmann wirklich so grob zum besten? Also bei einer Strafthat, deren Verfolgung nur auf Antrag des Verletzten eintritt — den sogenannten Antragsdelikten —, ist vor der Stellung des Strafantrags jede Untersuchungsmaßregel, insbesondre die vorläufige Fest¬ nahme und der Erlaß des Strafbefehls gegen den Thäter unzulässig und durch das Gesetz untersagt? Das gerade Gegenteil hiervon ist richtig. § 127 Absatz 3 der Strafprozeßordnung bestimmt wörtlich: „Bei strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist die vorläufige Festnahme von der Stellung eines solchen Antrages nicht abhängig." Ferner bestimmt Z 130 der Strafprozeßordnung: „Wird wegen Verdachts einer strafbaren Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ein Haftbefehl erlassen, bevor der Antrag gestellt ist, so ist der Antragsberechtigte, von mehreren wenigstens einer derselben, sofort von dem Erlaß des Haft¬ befehls in Kenntnis zu setzen." Diese Bestimmungen finden auch auf das Militärstrafverfahren Anwendung. Die zur Zeit in Preußen geltende Militärstrafgerichtsordnung vom 3. April

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/30>, abgerufen am 06.01.2025.