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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Pietismus, ähnlich der Art und Weise Hengstenbergs, und so hing es wohl
mit einem einseitigen Begriff von der sündigen Verderbnis des jugendlichen
Herzens zusammen, daß seinem Auftreten den Schülern gegenüber jene echte
Liberalität, jenes Mitgefühl für das jugendliche Wesen gebrach, ohne die
Knabenherzen nicht zu gewinnen sind, daß er diese vielmehr durch Willkürakte
und zuweilen erniedrigende Strafen abstieß, während er gleichzeitig durch
persönliche Schwächen und Geschmacklosigkeit die jugendliche Kritik heraus¬
forderte." So hätte es vielleicht nicht einmal des starken ästhetischen Zuges
in der Seele des Werdenden bedurft, um gegen das Ende der Ghmnasialzeit
den ursprünglichen Lebensplan Beyschlags ins Wanken zu bringen. "Seit
Jahren, sagt er, hatte es für selbstverständlich gegolten, daß ich Theologie
studiren würde. So war es meines Vaters Lieblingswunsch, gegen den ich
nie etwas einzuwenden gefunden hatte. Daß man als Theologe in den engen
und steifen Frankfurter kirchlichen Verhältnissen nur die kümmerlichsten Aus¬
sichten hatte, störte unsern Idealismus und unser Gottvertrauen anch jetzt
nicht, Brotstudiumsgedanken lagen gänzlich fern." Gleichwohl bekennt der
Verfasser, daß er die Universität Bonn im Oktober des Jahres 1840 mit dem
Vorsatz bezog, zunächst Theologie und Philologie zu gleicher Zeit zu studiren
und abzuwarten, welche der beiden Wissenschaften ihn stärker anziehen, fesseln
und behalten werde. Bald genug siegte K. I. Nitzsch, nach Schleiermachers
Tode der erste deutsche evangelische Theolog, über Ritschl und Welcker, aber
es kam Bchschlag nnr zu gute, daß er von vornherein seinem Studienplan
eine gewisse Fülle und Vielseitigkeit gegeben hatte. In seinem zweiten Bonner
Semester wurden alle in seiner Natur schlummernden ästhetischen Keime ans
Licht gerufen und zur Wirkung erweckt durch die persönliche Befreundung mit
Gottfried Kinkel, der damals noch Privatdozent der Theologie war und "neben
der amtlich berufnen Fakultät in Bonn seine besondern Zauberkreise zog."
Der erste Besuch bei Kinkel, den Beyschlag auf Anregung seines Freundes,
des Mathematikers FreseniuS, im Poppelsdorfer Schloß unternahm, wurde ein
für sein weiteres akademisches Leben folgenreicher Gang. "Noch gedenke ich des
Augenblicks, da ich schüchtern die Klingel gezogen hatte, und der hohe, jugend¬
lich schöne Mann mit dem schwarzen Barett auf dem langen schwarzen Haar
mir die Thür aufthat. Ju eindringender, herzgewinnender Unterhaltung wußte
er dem Zaghaften die Lippen zu erschließen. Wir saßen an einem nach dem
botanischen Garten gehenden offnen Fenster, zu dem der Glycinnen- und
Magnolienduft heraufstieg, und hatten das Siebengebirge und die schöne weitere
Berglinie bis zum Erpeler Lep vor Augen. Ich nahm bei Kinkel zwei Vor¬
lesungen an über das Evangelium Johannis und über die Geschichte des
Heidentums von Augustus bis Konstantin und wurde auf einen wöchentlichen
freien Abend, der für die Zuhörer bestimmt war, eingeladen. Bald kannte ich
nichts schöneres als jene Vorlesungen und diesen Abend."


Pietismus, ähnlich der Art und Weise Hengstenbergs, und so hing es wohl
mit einem einseitigen Begriff von der sündigen Verderbnis des jugendlichen
Herzens zusammen, daß seinem Auftreten den Schülern gegenüber jene echte
Liberalität, jenes Mitgefühl für das jugendliche Wesen gebrach, ohne die
Knabenherzen nicht zu gewinnen sind, daß er diese vielmehr durch Willkürakte
und zuweilen erniedrigende Strafen abstieß, während er gleichzeitig durch
persönliche Schwächen und Geschmacklosigkeit die jugendliche Kritik heraus¬
forderte." So hätte es vielleicht nicht einmal des starken ästhetischen Zuges
in der Seele des Werdenden bedurft, um gegen das Ende der Ghmnasialzeit
den ursprünglichen Lebensplan Beyschlags ins Wanken zu bringen. „Seit
Jahren, sagt er, hatte es für selbstverständlich gegolten, daß ich Theologie
studiren würde. So war es meines Vaters Lieblingswunsch, gegen den ich
nie etwas einzuwenden gefunden hatte. Daß man als Theologe in den engen
und steifen Frankfurter kirchlichen Verhältnissen nur die kümmerlichsten Aus¬
sichten hatte, störte unsern Idealismus und unser Gottvertrauen anch jetzt
nicht, Brotstudiumsgedanken lagen gänzlich fern." Gleichwohl bekennt der
Verfasser, daß er die Universität Bonn im Oktober des Jahres 1840 mit dem
Vorsatz bezog, zunächst Theologie und Philologie zu gleicher Zeit zu studiren
und abzuwarten, welche der beiden Wissenschaften ihn stärker anziehen, fesseln
und behalten werde. Bald genug siegte K. I. Nitzsch, nach Schleiermachers
Tode der erste deutsche evangelische Theolog, über Ritschl und Welcker, aber
es kam Bchschlag nnr zu gute, daß er von vornherein seinem Studienplan
eine gewisse Fülle und Vielseitigkeit gegeben hatte. In seinem zweiten Bonner
Semester wurden alle in seiner Natur schlummernden ästhetischen Keime ans
Licht gerufen und zur Wirkung erweckt durch die persönliche Befreundung mit
Gottfried Kinkel, der damals noch Privatdozent der Theologie war und „neben
der amtlich berufnen Fakultät in Bonn seine besondern Zauberkreise zog."
Der erste Besuch bei Kinkel, den Beyschlag auf Anregung seines Freundes,
des Mathematikers FreseniuS, im Poppelsdorfer Schloß unternahm, wurde ein
für sein weiteres akademisches Leben folgenreicher Gang. „Noch gedenke ich des
Augenblicks, da ich schüchtern die Klingel gezogen hatte, und der hohe, jugend¬
lich schöne Mann mit dem schwarzen Barett auf dem langen schwarzen Haar
mir die Thür aufthat. Ju eindringender, herzgewinnender Unterhaltung wußte
er dem Zaghaften die Lippen zu erschließen. Wir saßen an einem nach dem
botanischen Garten gehenden offnen Fenster, zu dem der Glycinnen- und
Magnolienduft heraufstieg, und hatten das Siebengebirge und die schöne weitere
Berglinie bis zum Erpeler Lep vor Augen. Ich nahm bei Kinkel zwei Vor¬
lesungen an über das Evangelium Johannis und über die Geschichte des
Heidentums von Augustus bis Konstantin und wurde auf einen wöchentlichen
freien Abend, der für die Zuhörer bestimmt war, eingeladen. Bald kannte ich
nichts schöneres als jene Vorlesungen und diesen Abend."


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[0292] Pietismus, ähnlich der Art und Weise Hengstenbergs, und so hing es wohl mit einem einseitigen Begriff von der sündigen Verderbnis des jugendlichen Herzens zusammen, daß seinem Auftreten den Schülern gegenüber jene echte Liberalität, jenes Mitgefühl für das jugendliche Wesen gebrach, ohne die Knabenherzen nicht zu gewinnen sind, daß er diese vielmehr durch Willkürakte und zuweilen erniedrigende Strafen abstieß, während er gleichzeitig durch persönliche Schwächen und Geschmacklosigkeit die jugendliche Kritik heraus¬ forderte." So hätte es vielleicht nicht einmal des starken ästhetischen Zuges in der Seele des Werdenden bedurft, um gegen das Ende der Ghmnasialzeit den ursprünglichen Lebensplan Beyschlags ins Wanken zu bringen. „Seit Jahren, sagt er, hatte es für selbstverständlich gegolten, daß ich Theologie studiren würde. So war es meines Vaters Lieblingswunsch, gegen den ich nie etwas einzuwenden gefunden hatte. Daß man als Theologe in den engen und steifen Frankfurter kirchlichen Verhältnissen nur die kümmerlichsten Aus¬ sichten hatte, störte unsern Idealismus und unser Gottvertrauen anch jetzt nicht, Brotstudiumsgedanken lagen gänzlich fern." Gleichwohl bekennt der Verfasser, daß er die Universität Bonn im Oktober des Jahres 1840 mit dem Vorsatz bezog, zunächst Theologie und Philologie zu gleicher Zeit zu studiren und abzuwarten, welche der beiden Wissenschaften ihn stärker anziehen, fesseln und behalten werde. Bald genug siegte K. I. Nitzsch, nach Schleiermachers Tode der erste deutsche evangelische Theolog, über Ritschl und Welcker, aber es kam Bchschlag nnr zu gute, daß er von vornherein seinem Studienplan eine gewisse Fülle und Vielseitigkeit gegeben hatte. In seinem zweiten Bonner Semester wurden alle in seiner Natur schlummernden ästhetischen Keime ans Licht gerufen und zur Wirkung erweckt durch die persönliche Befreundung mit Gottfried Kinkel, der damals noch Privatdozent der Theologie war und „neben der amtlich berufnen Fakultät in Bonn seine besondern Zauberkreise zog." Der erste Besuch bei Kinkel, den Beyschlag auf Anregung seines Freundes, des Mathematikers FreseniuS, im Poppelsdorfer Schloß unternahm, wurde ein für sein weiteres akademisches Leben folgenreicher Gang. „Noch gedenke ich des Augenblicks, da ich schüchtern die Klingel gezogen hatte, und der hohe, jugend¬ lich schöne Mann mit dem schwarzen Barett auf dem langen schwarzen Haar mir die Thür aufthat. Ju eindringender, herzgewinnender Unterhaltung wußte er dem Zaghaften die Lippen zu erschließen. Wir saßen an einem nach dem botanischen Garten gehenden offnen Fenster, zu dem der Glycinnen- und Magnolienduft heraufstieg, und hatten das Siebengebirge und die schöne weitere Berglinie bis zum Erpeler Lep vor Augen. Ich nahm bei Kinkel zwei Vor¬ lesungen an über das Evangelium Johannis und über die Geschichte des Heidentums von Augustus bis Konstantin und wurde auf einen wöchentlichen freien Abend, der für die Zuhörer bestimmt war, eingeladen. Bald kannte ich nichts schöneres als jene Vorlesungen und diesen Abend."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/292>, abgerufen am 08.01.2025.