Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Hätte Beyschlag auch nur eine Ader von den Strebern späterer Zeit Man kann sich über die Empfindung und das Verhalten des Verfassers (Schluß folgt) Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Hätte Beyschlag auch nur eine Ader von den Strebern späterer Zeit Man kann sich über die Empfindung und das Verhalten des Verfassers (Schluß folgt) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223877"/> <fw type="header" place="top"> Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_913"> Hätte Beyschlag auch nur eine Ader von den Strebern späterer Zeit<lb/> gehabt, er würde sich wohl gehütet haben, zu Kinkel in ein näheres Verhältnis<lb/> zu treten. Wohl meint er, dieser sei damals noch von Herzen Theologe und<lb/> vielleicht auf dem glücklichsten Punkte seiner Entwicklung gewesen. Aber<lb/> Kinkel hatte sich schon mit der jungen Frau Johanna Mcitthieux, geborne<lb/> Mockel verlobt, nachdem er ihr bei einer Kahnfahrt auf dem Rhein das<lb/> Leben gerettet hatte. Er hatte um dieser Verlobung willen ein früheres Ver¬<lb/> löbnis gelöst. „Dieser Bruch eines offenkundiger Verlöbnisses ohne alle<lb/> Schuld der Braut, die Neuverlobung mit einer geschicdnen oder vielmehr noch<lb/> im Scheidungsprozeß liegenden Frau, dazu der erschwerende Umstand, daß es<lb/> ein Lehrer der evangelischen Theologie war, der sich auf diese Weise mit einer<lb/> Katholikin verband, hatte gerechten Anstoß erregt und die Gunst, die sich dem<lb/> jungen Gelehrten seither in reichem Maße zugewendet hatte, nahezu vernichtet.<lb/> So war Kinkel um eben die Zeit, da ich mit ihm bekannt ward, in eine<lb/> materiell wie moralisch höchst bedrängte Lage geraten, die seine ganze Wider¬<lb/> standskraft herausforderte und durch den Mannestrotz, den sie in ihm hervor¬<lb/> rief, auf seine innere Entwicklung einen nachhaltigen und allmählich verhängnis¬<lb/> vollen Einfluß ausüben sollte. Selbstverständlich stellt idealistische Jugend,<lb/> zumal da, wo sie liebt und verehrt, das Recht des Herzens über alles und<lb/> setzt die objektiven sittlichen Normen des Gemeinschaftslebens unbedenklich<lb/> dagegen zurück. So war auch uns diese romanhafte Verlvbungsgeschichte des<lb/> verehrten Mannes kein ernstlicher Anstoß, vielmehr in ihren tragischen Wirkungen<lb/> ein Beweggrund mehr, von Herzen an ihm teil zu nehmen."</p><lb/> <p xml:id="ID_914"> Man kann sich über die Empfindung und das Verhalten des Verfassers<lb/> nach mehr als einem Menschenalter nur von Herzen freuen. Kinkel und seine<lb/> nachmalige Gattin mochten gerechten Anstoß gegeben haben, aber die Art und<lb/> Weise, wie man ihn niederzusetzen und der materiellen Existenz zu berauben,<lb/> den früher vergötterten nun zu verlüstern suchte, hat noch in der Erinnerung<lb/> für jede wohlgeschaffne Natur etwas so niedriges und empörendes, daß man<lb/> sich des tapfern, warmherzigen Studenten nur freuen kann, der ohne Bedenken<lb/> und Besinnen auf die Seite des Geächteten trat. Beyschlags Verhältnis zu<lb/> Kinkel gestaltete sich dann „zu einer so innigen Freundschaft, wie sie zwischen<lb/> einem sechsundzwanzigjährigeu Manne und einem achtzehnjährigen Jüngling<lb/> nur bestehen kann." In den um diese Zeit gegründeten, unter Johanna Kinkels<lb/> Leitung stehenden Maikäferbund mit seinem rheinisch fröhlichen Leben, seinen<lb/> poetischen und musikalischen Leistungen trat auch der junge Theologe, dessen<lb/> Vornamen Willibald Kinkel in Balder umgewandelt hatte, freudig ein und<lb/> empfing aus ihm reiche Anregungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_915"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen
Hätte Beyschlag auch nur eine Ader von den Strebern späterer Zeit
gehabt, er würde sich wohl gehütet haben, zu Kinkel in ein näheres Verhältnis
zu treten. Wohl meint er, dieser sei damals noch von Herzen Theologe und
vielleicht auf dem glücklichsten Punkte seiner Entwicklung gewesen. Aber
Kinkel hatte sich schon mit der jungen Frau Johanna Mcitthieux, geborne
Mockel verlobt, nachdem er ihr bei einer Kahnfahrt auf dem Rhein das
Leben gerettet hatte. Er hatte um dieser Verlobung willen ein früheres Ver¬
löbnis gelöst. „Dieser Bruch eines offenkundiger Verlöbnisses ohne alle
Schuld der Braut, die Neuverlobung mit einer geschicdnen oder vielmehr noch
im Scheidungsprozeß liegenden Frau, dazu der erschwerende Umstand, daß es
ein Lehrer der evangelischen Theologie war, der sich auf diese Weise mit einer
Katholikin verband, hatte gerechten Anstoß erregt und die Gunst, die sich dem
jungen Gelehrten seither in reichem Maße zugewendet hatte, nahezu vernichtet.
So war Kinkel um eben die Zeit, da ich mit ihm bekannt ward, in eine
materiell wie moralisch höchst bedrängte Lage geraten, die seine ganze Wider¬
standskraft herausforderte und durch den Mannestrotz, den sie in ihm hervor¬
rief, auf seine innere Entwicklung einen nachhaltigen und allmählich verhängnis¬
vollen Einfluß ausüben sollte. Selbstverständlich stellt idealistische Jugend,
zumal da, wo sie liebt und verehrt, das Recht des Herzens über alles und
setzt die objektiven sittlichen Normen des Gemeinschaftslebens unbedenklich
dagegen zurück. So war auch uns diese romanhafte Verlvbungsgeschichte des
verehrten Mannes kein ernstlicher Anstoß, vielmehr in ihren tragischen Wirkungen
ein Beweggrund mehr, von Herzen an ihm teil zu nehmen."
Man kann sich über die Empfindung und das Verhalten des Verfassers
nach mehr als einem Menschenalter nur von Herzen freuen. Kinkel und seine
nachmalige Gattin mochten gerechten Anstoß gegeben haben, aber die Art und
Weise, wie man ihn niederzusetzen und der materiellen Existenz zu berauben,
den früher vergötterten nun zu verlüstern suchte, hat noch in der Erinnerung
für jede wohlgeschaffne Natur etwas so niedriges und empörendes, daß man
sich des tapfern, warmherzigen Studenten nur freuen kann, der ohne Bedenken
und Besinnen auf die Seite des Geächteten trat. Beyschlags Verhältnis zu
Kinkel gestaltete sich dann „zu einer so innigen Freundschaft, wie sie zwischen
einem sechsundzwanzigjährigeu Manne und einem achtzehnjährigen Jüngling
nur bestehen kann." In den um diese Zeit gegründeten, unter Johanna Kinkels
Leitung stehenden Maikäferbund mit seinem rheinisch fröhlichen Leben, seinen
poetischen und musikalischen Leistungen trat auch der junge Theologe, dessen
Vornamen Willibald Kinkel in Balder umgewandelt hatte, freudig ein und
empfing aus ihm reiche Anregungen.
(Schluß folgt)
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