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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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kirchlichen Standpunkt aus als sündhafter Diskont erschien, das erscheint nun
vom Standpunkte der weltlichen Behörde ans als gerechter Arbeitslohn, aller¬
dings nur unter der Bedingung, daß die obrigkeitliche Taxe, der alle zünftigen
Waren -- Währungsgüter nennt sie Nübling -- unterworfen waren, nicht
überschritten wird. Diese Taxe, der Judenzins, betrug durchschnittlich zehn
Prozent. Und zu diesem Satze durften nun auch Christen, nur nicht gewerbs¬
mäßig, Geld verleihen. Für sie aber erfand man einen andern Rechtstitel.
Während der Zins für nicht verzehrbare Ertragsgüter als Entschädigung für
den Verzicht auf den usus gerechtfertigt wurde, mußte beim Geldverleihen -- es
geht doch nichts über des Teufels List! -- das luerum vsssaug und äamnum
lZmvrZsns herhalten. Später entwickelte sich dann aus dem Nentenkauf auch
noch die Hypothek, die im frühern Mittelalter nicht möglich war, weil da der
Gläubiger das verpfändete Grundstück selbst übernehmen, und nachdem er das
geliehene Kapital herausgewirtschaftet hatte, dem Schuldner zurückgeben mußte;
erst 1420 wurde das Verbot, den Pfandgegeustand in den Händen des
Schuldners zu lassen, aufgehoben.

Die Kritik dieser Darstellung Nüblings überlassen wir den Kanonisten;
im einzelnen wird vieles davon angefochten werden können, wie seine Definition
von usus und truvtus und andres, was wir als bedenklich oder zu fachwissen¬
schaftlich in diesen kurzen Abriß gar nicht aufgenommen haben. Aber die
Meinung der Kirche und der mittelalterlichen Obrigkeiten hat Nübling ohne
Zweifel richtig zum Ausdruck gebracht. Und daß nun diese guten weltlichen und
geistlichen Obrigkeiten mit ihrer guten Meinung so gründlich gescheitert sind,
das ist eine der lehrreichsten Thatsachen der Weltgeschichte und von höchster
Wichtigkeit sür die Bestimmung des Verhältnisses der Welt zum Christentum.
Während das Mittelalter aus einem enorm hohen Zinsfuße niemals heraus¬
gekommen ist und die ewig verschuldeten Fürsten, Ritter, Bürger und Bauern
sich auf keine andre Weise zu helfen wußten, als daß sie von Zeit zu Zeit
ihre Gläubiger totschlugen und beraubten, sind Holland und England bei
völliger Wucherfreiheit zu einem Zinsfuße von drei bis zwei Prozenten gelangt
und auch bei uns bekommt jedermann, der Sicherheit gewähren kann, zu vier
Prozent Geld, so viel er haben will. Kann aber einer keine Sicherheit gewähren,
so mag er wohl nach christlichen Grundsätzen einen Anspruch auf ein Almosen
haben, aber Anspruch auf ein Darlehen hat er weder nach christlichen, noch
nach irgend welchen andern Grundsätzen, und will er durchaus eins haben, so
muß er selbstverständlich eine entsprechende Nisikoprämie zahlen. Gewiß giebts
bei uns nicht weniger Elend und Not als im Mittelalter, aber aus unserm
Zinsrecht entspringen die nicht. Nicht das ist die Ursache der Not des Guts¬
besitzers, daß er seine Hypotheken mit vier oder fünf Prozent verzinsen muß
-- wer in aller Welt sollte wohl verpflichtet sein, ihm umsonst Geld zu leihen? --,
sondern daß er entweder zu teuer gekauft hat oder zu viel Geschwister auszuzahlen


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kirchlichen Standpunkt aus als sündhafter Diskont erschien, das erscheint nun
vom Standpunkte der weltlichen Behörde ans als gerechter Arbeitslohn, aller¬
dings nur unter der Bedingung, daß die obrigkeitliche Taxe, der alle zünftigen
Waren — Währungsgüter nennt sie Nübling — unterworfen waren, nicht
überschritten wird. Diese Taxe, der Judenzins, betrug durchschnittlich zehn
Prozent. Und zu diesem Satze durften nun auch Christen, nur nicht gewerbs¬
mäßig, Geld verleihen. Für sie aber erfand man einen andern Rechtstitel.
Während der Zins für nicht verzehrbare Ertragsgüter als Entschädigung für
den Verzicht auf den usus gerechtfertigt wurde, mußte beim Geldverleihen — es
geht doch nichts über des Teufels List! — das luerum vsssaug und äamnum
lZmvrZsns herhalten. Später entwickelte sich dann aus dem Nentenkauf auch
noch die Hypothek, die im frühern Mittelalter nicht möglich war, weil da der
Gläubiger das verpfändete Grundstück selbst übernehmen, und nachdem er das
geliehene Kapital herausgewirtschaftet hatte, dem Schuldner zurückgeben mußte;
erst 1420 wurde das Verbot, den Pfandgegeustand in den Händen des
Schuldners zu lassen, aufgehoben.

Die Kritik dieser Darstellung Nüblings überlassen wir den Kanonisten;
im einzelnen wird vieles davon angefochten werden können, wie seine Definition
von usus und truvtus und andres, was wir als bedenklich oder zu fachwissen¬
schaftlich in diesen kurzen Abriß gar nicht aufgenommen haben. Aber die
Meinung der Kirche und der mittelalterlichen Obrigkeiten hat Nübling ohne
Zweifel richtig zum Ausdruck gebracht. Und daß nun diese guten weltlichen und
geistlichen Obrigkeiten mit ihrer guten Meinung so gründlich gescheitert sind,
das ist eine der lehrreichsten Thatsachen der Weltgeschichte und von höchster
Wichtigkeit sür die Bestimmung des Verhältnisses der Welt zum Christentum.
Während das Mittelalter aus einem enorm hohen Zinsfuße niemals heraus¬
gekommen ist und die ewig verschuldeten Fürsten, Ritter, Bürger und Bauern
sich auf keine andre Weise zu helfen wußten, als daß sie von Zeit zu Zeit
ihre Gläubiger totschlugen und beraubten, sind Holland und England bei
völliger Wucherfreiheit zu einem Zinsfuße von drei bis zwei Prozenten gelangt
und auch bei uns bekommt jedermann, der Sicherheit gewähren kann, zu vier
Prozent Geld, so viel er haben will. Kann aber einer keine Sicherheit gewähren,
so mag er wohl nach christlichen Grundsätzen einen Anspruch auf ein Almosen
haben, aber Anspruch auf ein Darlehen hat er weder nach christlichen, noch
nach irgend welchen andern Grundsätzen, und will er durchaus eins haben, so
muß er selbstverständlich eine entsprechende Nisikoprämie zahlen. Gewiß giebts
bei uns nicht weniger Elend und Not als im Mittelalter, aber aus unserm
Zinsrecht entspringen die nicht. Nicht das ist die Ursache der Not des Guts¬
besitzers, daß er seine Hypotheken mit vier oder fünf Prozent verzinsen muß
— wer in aller Welt sollte wohl verpflichtet sein, ihm umsonst Geld zu leihen? —,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/282>, abgerufen am 08.01.2025.