Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Line Geschichte der Juden werflich. Erstens weil der Schuldner dadurch regelmäßig in noch größere Not Da nun aber die Geldleihe schlechterdings nicht entbehrt werden kann, Gmizboten IV >8W 85
Line Geschichte der Juden werflich. Erstens weil der Schuldner dadurch regelmäßig in noch größere Not Da nun aber die Geldleihe schlechterdings nicht entbehrt werden kann, Gmizboten IV >8W 85
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Line Geschichte der Juden
werflich. Erstens weil der Schuldner dadurch regelmäßig in noch größere Not
gerät; denn ist die geliehene Sache, das Geld oder das Getreide, verbraucht,
so hat er nicht mehr, als er vorher hatte, und soll um gar noch eine Summe
über das Kapital hinaus zurückzahlen. Dann, weil das Wuchergeschäft seinem
Ursprünge nach ein Handel mit Forderungen ist. Der Gutsherr tritt seine
Forderung an den Zinsmann dem Geldverleiher ab, und dieser schlüge einen
Gewinn dabei heraus. Dieser Gewinn entbehrt aber der Rechtmäßigkeit. Denn
wofür wird er beansprucht? Dafür, daß der Zinsmann nicht jetzt gleich zahlt,
sondern erst später zahlen wird. Was wird also bezahlt? Die Stundung,
der Aufschub, die Zeit. Die Zeit ist aber Gemeingut und darf nicht gleich
einem Privatgut verkauft werden; daher ist jeder Verzugszins, der schon Zins
vom Zins ist, jeder Diskont verboten. Endlich ist die Eintreibung solcher
Verzugszinsen, da sie nur bei Notlagen vorkommt, ein Geschäft, das nur ein
Mann von unchristlicher Gesinnung, ein hartherziger und grausamer Mann
übernehmen kaun.
Da nun aber die Geldleihe schlechterdings nicht entbehrt werden kann,
so ist es besser, sie Leuten zu übertragen, die von vorn herein gar nicht zu
christlicher Gesinnung verpflichtet sind, und da solche in den Juden, die noch
dazu die Kunst des Geldverleihens von Alters her aufs trefflichste ver¬
stehen, vorhanden sind, so macht man sie zu privilegirten Geldverleihern und
überträgt ihnen das gehässige Geschäft, als Gerichtsvollzieher für den Eigen¬
tümer das Geld vom Ziusmcmn einzutreiben. Natürlich klebt diesem Geschäft
ein Makel an, und man muß den Mann verachten, der es betreibt, wie man
den Henker verachtet; beide verfallen der gesellschaftlichen Acht. Aber natürlich
läßt man den Geldverleiher nicht frei nach Willkür schalten. Wie die Obrig¬
keit, weil sie die Bordelle nicht aus der Welt schaffen kann (es ist Nübling,
der diesen Gegenstand zur Erläuterung heranzieht), das kleinere Übel vorzieht
und die Bordellwirtschaft selbst in die Hand nimmt, so beansprucht sie auch
den Geldhandel als ihr Privilegium und läßt ihn durch ihre Juden betreiben.
Und zwar nach den Grundsätzen, die im Mittelalter überhaupt für den Ge¬
werbebetrieb galten, also vor allem zünftig. Die Zünfte haben sich aus den
Hofeämtern entwickelt, nud wie die Fleischerzunft, als Amtsnachfolgerin der
auf dem Frohnhofe angestellten Schlächter, das Privilegium, aber auch die
Pflicht hatte, die Bürgerschaft jederzeit mit frischem, gutem Fleische zu ver¬
sorgen, so durfte auch den Juden niemand ins Handwerk pfuschen, während
sie zugleich verpflichtet waren, ihre Fürsten oder die Bürger der Städte und
Kreise, für die sie angestellt waren, jederzeit, so oft es verlangt wurde, mit
barem Gelde zu versorgen. Das Auftreiben des Geldes macht nun aber keine
kleine Mühe, und das Eintreiben bei den Schuldnern ist womöglich noch be¬
schwerlicher, und da jeder Arbeiter seines Lohnes wert ist, so hat auch der
zünftige Geldverleiher einen Arbeitslohn zu beanspruchen. Was also vom
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