Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine Geschichte der Juden

eine große Gefahr für die Seele; die Gier nach Besitz ist als Götzendienst und
Wurzel aller Übel auszurotten. Da die Kirche, in der diese Anschauung fort¬
lebt, die Vermögensungleichheit nicht hindern kann, stellt sie sich wenigstens
die Aufgabe, einmal durch großartige Wohlthätigkeit ausgleichend zu wirken
-- dieses ist die ursprüngliche Bestimmung des ungeheuern Kirchenvermögens --,
sodann durch ihre Gesetzgebung die Reichtumsbildung möglichst zu hemmen.
Sie empfiehlt daher zunächst die Berufsarten, bei denen nur Arbeitsverdienst,
kein Spekulationsgewinn zu erzielen ist, und die auch sonst am wenigsten Ver¬
suchungen mit sich bringen. Der Gott wohlgefälligste Beruf ist der des
Vanern; dann der des Handwerkers. Die gewöhnliche Kaufmannschaft erregt
noch nicht das Mißfallen Gottes, aber die Spekulation und alles, was großen
Gewinn bringt, kann ihm unmöglich gefallen. Nur eine Spekulation giebt
es, die dem Christen erlaubt ist: daß er, dem Perlen suchenden Kaufmann
(Matth. 13, 45) gleich, jedes irdische Gut daran wagt, um damit das Himmel¬
reich zu gewinnen.

Aus dieser Anschauung heraus ist das kanonische Zinsrecht erwachsen.
Der Zins, versus, ist uicht verboten. Unter dem Zins ist der Ertrag zu ver¬
stehen, den ein Besitz über den Arbeitslohn abwirft. Darauf hat der Eigen¬
tümer auch dann Anspruch, wenn er die Bearbeitung und Benutzung eines
Besitzstücks, z. B. eines Schiffs oder Landguts, einem andern abtritt. Der
Pächter mag sich vom Ertrage seinen Arbeitslohn abziehn, das übrige gebührt
dem Eigentümer. Da der Ertrag aller fruchtbringenden Güter wechselt, so
würde es die Kirche am liebsten sehen, wenn Eigentümer und Zinsmmm all¬
jährlich anders teilten, je nachdem der Ertrag ausgefallen ist, so daß z. B.
der Pächter eines Landguts nach guten Ernten viel, nach schlechten wenig,
bei völligem Mißwachs gnr nichts zu zahlen hätte. Allein da es einmal
Sitte geworden ist, nach Schätzung des Durchschnitts -- daher der Name
Löusu8 oder Zins -- eine bestimmte Natural- oder Geldleistung festzusetzen,
so will sie wenigstens, daß der Zins nicht zu hoch angesetzt werde, und daß
dem Pächter über seinen Arbeitslohn hinaus noch ein Unternehmergewinn bleibe,
den man auch, sofern er nur in guten Jahren abfällt, als Ersatz dessen an¬
sehen kann, was er in schlechten zuschießen muß. Solche schlechte Jahre sind
es nun, die vom Zins zum Wucher überleiten. Kann der Zinsmann uicht
zahlen und der Eigentümer nicht warten, so muß ein Geldverleiher die fällige
Summe vorstrecken, dem der Zinsmann seinen Arbeitsertrag und Unternehmer¬
gewinn bis zur Rückzahlung der geliehenen Summe samt Wucher verpfändet.
Denn die Entschädigung des Geldverleihers wird nicht mehr Zins sondern
uLuiÄ, Wucher genannt. Der Wucher unterscheidet sich dadurch vom Zins,
daß er für das Leiden von Gütern genommen wird, die durch den Gebrauch
verzehrt werden, während der Zins nur ein Anteil am Ertrage uicht verbrauch¬
barer Giiter ist. Der Wucher erscheint von mehreren Gesichtspunkten aus ver-


Eine Geschichte der Juden

eine große Gefahr für die Seele; die Gier nach Besitz ist als Götzendienst und
Wurzel aller Übel auszurotten. Da die Kirche, in der diese Anschauung fort¬
lebt, die Vermögensungleichheit nicht hindern kann, stellt sie sich wenigstens
die Aufgabe, einmal durch großartige Wohlthätigkeit ausgleichend zu wirken
— dieses ist die ursprüngliche Bestimmung des ungeheuern Kirchenvermögens —,
sodann durch ihre Gesetzgebung die Reichtumsbildung möglichst zu hemmen.
Sie empfiehlt daher zunächst die Berufsarten, bei denen nur Arbeitsverdienst,
kein Spekulationsgewinn zu erzielen ist, und die auch sonst am wenigsten Ver¬
suchungen mit sich bringen. Der Gott wohlgefälligste Beruf ist der des
Vanern; dann der des Handwerkers. Die gewöhnliche Kaufmannschaft erregt
noch nicht das Mißfallen Gottes, aber die Spekulation und alles, was großen
Gewinn bringt, kann ihm unmöglich gefallen. Nur eine Spekulation giebt
es, die dem Christen erlaubt ist: daß er, dem Perlen suchenden Kaufmann
(Matth. 13, 45) gleich, jedes irdische Gut daran wagt, um damit das Himmel¬
reich zu gewinnen.

Aus dieser Anschauung heraus ist das kanonische Zinsrecht erwachsen.
Der Zins, versus, ist uicht verboten. Unter dem Zins ist der Ertrag zu ver¬
stehen, den ein Besitz über den Arbeitslohn abwirft. Darauf hat der Eigen¬
tümer auch dann Anspruch, wenn er die Bearbeitung und Benutzung eines
Besitzstücks, z. B. eines Schiffs oder Landguts, einem andern abtritt. Der
Pächter mag sich vom Ertrage seinen Arbeitslohn abziehn, das übrige gebührt
dem Eigentümer. Da der Ertrag aller fruchtbringenden Güter wechselt, so
würde es die Kirche am liebsten sehen, wenn Eigentümer und Zinsmmm all¬
jährlich anders teilten, je nachdem der Ertrag ausgefallen ist, so daß z. B.
der Pächter eines Landguts nach guten Ernten viel, nach schlechten wenig,
bei völligem Mißwachs gnr nichts zu zahlen hätte. Allein da es einmal
Sitte geworden ist, nach Schätzung des Durchschnitts — daher der Name
Löusu8 oder Zins — eine bestimmte Natural- oder Geldleistung festzusetzen,
so will sie wenigstens, daß der Zins nicht zu hoch angesetzt werde, und daß
dem Pächter über seinen Arbeitslohn hinaus noch ein Unternehmergewinn bleibe,
den man auch, sofern er nur in guten Jahren abfällt, als Ersatz dessen an¬
sehen kann, was er in schlechten zuschießen muß. Solche schlechte Jahre sind
es nun, die vom Zins zum Wucher überleiten. Kann der Zinsmann uicht
zahlen und der Eigentümer nicht warten, so muß ein Geldverleiher die fällige
Summe vorstrecken, dem der Zinsmann seinen Arbeitsertrag und Unternehmer¬
gewinn bis zur Rückzahlung der geliehenen Summe samt Wucher verpfändet.
Denn die Entschädigung des Geldverleihers wird nicht mehr Zins sondern
uLuiÄ, Wucher genannt. Der Wucher unterscheidet sich dadurch vom Zins,
daß er für das Leiden von Gütern genommen wird, die durch den Gebrauch
verzehrt werden, während der Zins nur ein Anteil am Ertrage uicht verbrauch¬
barer Giiter ist. Der Wucher erscheint von mehreren Gesichtspunkten aus ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223864"/>
          <fw type="header" place="top"> Eine Geschichte der Juden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_890" prev="#ID_889"> eine große Gefahr für die Seele; die Gier nach Besitz ist als Götzendienst und<lb/>
Wurzel aller Übel auszurotten. Da die Kirche, in der diese Anschauung fort¬<lb/>
lebt, die Vermögensungleichheit nicht hindern kann, stellt sie sich wenigstens<lb/>
die Aufgabe, einmal durch großartige Wohlthätigkeit ausgleichend zu wirken<lb/>
&#x2014; dieses ist die ursprüngliche Bestimmung des ungeheuern Kirchenvermögens &#x2014;,<lb/>
sodann durch ihre Gesetzgebung die Reichtumsbildung möglichst zu hemmen.<lb/>
Sie empfiehlt daher zunächst die Berufsarten, bei denen nur Arbeitsverdienst,<lb/>
kein Spekulationsgewinn zu erzielen ist, und die auch sonst am wenigsten Ver¬<lb/>
suchungen mit sich bringen. Der Gott wohlgefälligste Beruf ist der des<lb/>
Vanern; dann der des Handwerkers. Die gewöhnliche Kaufmannschaft erregt<lb/>
noch nicht das Mißfallen Gottes, aber die Spekulation und alles, was großen<lb/>
Gewinn bringt, kann ihm unmöglich gefallen. Nur eine Spekulation giebt<lb/>
es, die dem Christen erlaubt ist: daß er, dem Perlen suchenden Kaufmann<lb/>
(Matth. 13, 45) gleich, jedes irdische Gut daran wagt, um damit das Himmel¬<lb/>
reich zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_891" next="#ID_892"> Aus dieser Anschauung heraus ist das kanonische Zinsrecht erwachsen.<lb/>
Der Zins, versus, ist uicht verboten. Unter dem Zins ist der Ertrag zu ver¬<lb/>
stehen, den ein Besitz über den Arbeitslohn abwirft. Darauf hat der Eigen¬<lb/>
tümer auch dann Anspruch, wenn er die Bearbeitung und Benutzung eines<lb/>
Besitzstücks, z. B. eines Schiffs oder Landguts, einem andern abtritt. Der<lb/>
Pächter mag sich vom Ertrage seinen Arbeitslohn abziehn, das übrige gebührt<lb/>
dem Eigentümer. Da der Ertrag aller fruchtbringenden Güter wechselt, so<lb/>
würde es die Kirche am liebsten sehen, wenn Eigentümer und Zinsmmm all¬<lb/>
jährlich anders teilten, je nachdem der Ertrag ausgefallen ist, so daß z. B.<lb/>
der Pächter eines Landguts nach guten Ernten viel, nach schlechten wenig,<lb/>
bei völligem Mißwachs gnr nichts zu zahlen hätte. Allein da es einmal<lb/>
Sitte geworden ist, nach Schätzung des Durchschnitts &#x2014; daher der Name<lb/>
Löusu8 oder Zins &#x2014; eine bestimmte Natural- oder Geldleistung festzusetzen,<lb/>
so will sie wenigstens, daß der Zins nicht zu hoch angesetzt werde, und daß<lb/>
dem Pächter über seinen Arbeitslohn hinaus noch ein Unternehmergewinn bleibe,<lb/>
den man auch, sofern er nur in guten Jahren abfällt, als Ersatz dessen an¬<lb/>
sehen kann, was er in schlechten zuschießen muß. Solche schlechte Jahre sind<lb/>
es nun, die vom Zins zum Wucher überleiten. Kann der Zinsmann uicht<lb/>
zahlen und der Eigentümer nicht warten, so muß ein Geldverleiher die fällige<lb/>
Summe vorstrecken, dem der Zinsmann seinen Arbeitsertrag und Unternehmer¬<lb/>
gewinn bis zur Rückzahlung der geliehenen Summe samt Wucher verpfändet.<lb/>
Denn die Entschädigung des Geldverleihers wird nicht mehr Zins sondern<lb/>
uLuiÄ, Wucher genannt. Der Wucher unterscheidet sich dadurch vom Zins,<lb/>
daß er für das Leiden von Gütern genommen wird, die durch den Gebrauch<lb/>
verzehrt werden, während der Zins nur ein Anteil am Ertrage uicht verbrauch¬<lb/>
barer Giiter ist. Der Wucher erscheint von mehreren Gesichtspunkten aus ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] Eine Geschichte der Juden eine große Gefahr für die Seele; die Gier nach Besitz ist als Götzendienst und Wurzel aller Übel auszurotten. Da die Kirche, in der diese Anschauung fort¬ lebt, die Vermögensungleichheit nicht hindern kann, stellt sie sich wenigstens die Aufgabe, einmal durch großartige Wohlthätigkeit ausgleichend zu wirken — dieses ist die ursprüngliche Bestimmung des ungeheuern Kirchenvermögens —, sodann durch ihre Gesetzgebung die Reichtumsbildung möglichst zu hemmen. Sie empfiehlt daher zunächst die Berufsarten, bei denen nur Arbeitsverdienst, kein Spekulationsgewinn zu erzielen ist, und die auch sonst am wenigsten Ver¬ suchungen mit sich bringen. Der Gott wohlgefälligste Beruf ist der des Vanern; dann der des Handwerkers. Die gewöhnliche Kaufmannschaft erregt noch nicht das Mißfallen Gottes, aber die Spekulation und alles, was großen Gewinn bringt, kann ihm unmöglich gefallen. Nur eine Spekulation giebt es, die dem Christen erlaubt ist: daß er, dem Perlen suchenden Kaufmann (Matth. 13, 45) gleich, jedes irdische Gut daran wagt, um damit das Himmel¬ reich zu gewinnen. Aus dieser Anschauung heraus ist das kanonische Zinsrecht erwachsen. Der Zins, versus, ist uicht verboten. Unter dem Zins ist der Ertrag zu ver¬ stehen, den ein Besitz über den Arbeitslohn abwirft. Darauf hat der Eigen¬ tümer auch dann Anspruch, wenn er die Bearbeitung und Benutzung eines Besitzstücks, z. B. eines Schiffs oder Landguts, einem andern abtritt. Der Pächter mag sich vom Ertrage seinen Arbeitslohn abziehn, das übrige gebührt dem Eigentümer. Da der Ertrag aller fruchtbringenden Güter wechselt, so würde es die Kirche am liebsten sehen, wenn Eigentümer und Zinsmmm all¬ jährlich anders teilten, je nachdem der Ertrag ausgefallen ist, so daß z. B. der Pächter eines Landguts nach guten Ernten viel, nach schlechten wenig, bei völligem Mißwachs gnr nichts zu zahlen hätte. Allein da es einmal Sitte geworden ist, nach Schätzung des Durchschnitts — daher der Name Löusu8 oder Zins — eine bestimmte Natural- oder Geldleistung festzusetzen, so will sie wenigstens, daß der Zins nicht zu hoch angesetzt werde, und daß dem Pächter über seinen Arbeitslohn hinaus noch ein Unternehmergewinn bleibe, den man auch, sofern er nur in guten Jahren abfällt, als Ersatz dessen an¬ sehen kann, was er in schlechten zuschießen muß. Solche schlechte Jahre sind es nun, die vom Zins zum Wucher überleiten. Kann der Zinsmann uicht zahlen und der Eigentümer nicht warten, so muß ein Geldverleiher die fällige Summe vorstrecken, dem der Zinsmann seinen Arbeitsertrag und Unternehmer¬ gewinn bis zur Rückzahlung der geliehenen Summe samt Wucher verpfändet. Denn die Entschädigung des Geldverleihers wird nicht mehr Zins sondern uLuiÄ, Wucher genannt. Der Wucher unterscheidet sich dadurch vom Zins, daß er für das Leiden von Gütern genommen wird, die durch den Gebrauch verzehrt werden, während der Zins nur ein Anteil am Ertrage uicht verbrauch¬ barer Giiter ist. Der Wucher erscheint von mehreren Gesichtspunkten aus ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/280>, abgerufen am 06.01.2025.