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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Juristische Randbemerkungen zum Fall ttotze

verstoßen habe, ihrem Inhalte nach durchweg dem gesunden Menschenverstande
Hohn gesprochen habe.

Ehe ich mich zur Prüfung der angeblichen formellen Rechtsverletzungen
wende, mochte ich einem Mißverständnis vorbeugen. Es fallt mir nicht
ein, für unser gegenwärtiges preußisches Militärstrafverfahren eine Lanze
einzulegen. Dieses Werk einer vergangnen Zeit ist in den Angen aller,
die nicht blinde Anhänger des Alten sind, längst gerichtet, und erst vor
wenigen Wochen hat ihm der Reichsanzeiger offiziell das Stcrbeglöcklein ge¬
läutet. Friedmann hat Recht, wenn er dieses Gesetz wurmstichig nennt, und
es hieße Wasser ius Meer tragen, wenn ich das tote hier nochmals totschlagen
wollte. Aber in dem Nahmen jeder Prozeßform kann der Richter gerecht oder
ungerecht, parteiisch oder unparteiisch, gesetzlich oder willkürlich verfahren, und
Friedmann schleudert seine Anklagen weit weniger gegen das Gesetz und gegen
seine veralteten Formen als gegen ihre gesetzwidrige Handhabung. Durch diese
Formen scheint er sich sogar in seiner wie so oft energischen und erfolgreichen
Verteidigung nicht einmal sonderlich beengt gefühlt zu haben, denn er ist
billig genng, wiederholt nnzuerkeunen, daß sie ihm gegenüber keineswegs mit
ängstlicher und pedantischer Kleinlichkeit gehandhabt worden seien. Um so
mehr hätte es aber die Pflicht der Loyalität von ihm gefordert, mit dem
Vorwurfe der Rechtsverletzung behutsam umzugehen. Wir werden aber
sehen, wie leichtfertig er dabei verfahren ist, und wie namentlich der Vor¬
wurf gröblichster Unkenntnis des Gesetzes mit verdoppelter Schwere auf sein
eignes Haupt zurückfällt. Überhaupt ist fast jeder Satz der juristischen Aus¬
führungen seines Buches teils so überaus anfechtbar, teils fo offenbar falsch,
daß sie von Anfang bis zu Ende das verwunderte Kopfschütteln des Fachmanns
.erregen müssen.

Wer kann z. B. aus seiner Darstellung über die verspätete Einreichung
der Privatklage des Herrn v. Kotze wider Herrn v. Schrader klug werden?
Es wird uns erzählt, daß Herr v. Kotze, nachdem er erfahren hatte, mit
welcher Rastlosigkeit und Entschiedenheit Herr v. Schrader bemüht gewesen
sei, den Verdacht auf ihn zu lenken, mehrfach versucht habe, seinen Gegner
hierfür zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen. Hierzu boten sich ihm
zwei Wege dar: die Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft^) und
die Privatklage beim Amtsgericht. Er hat beide beschritten. Die Privatklage
ist von dem Amtsgericht als verspätet zurückgewiesen worden, weil bei ihrer
Einreichuug die dreimonatige Antragsfrist um einen Tag verstrichen war.
Nun unterbricht aber -- wie Friedmann selbst erwähnt -- die Einreichung
der Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft -- auch für die etwaige spätere



^) Es ist unverständlich, wie Friedenau von einer Verleumdungsklage bei der ersten
Strafkammer des Landgerichts sprechen kann (S, !>8).
Juristische Randbemerkungen zum Fall ttotze

verstoßen habe, ihrem Inhalte nach durchweg dem gesunden Menschenverstande
Hohn gesprochen habe.

Ehe ich mich zur Prüfung der angeblichen formellen Rechtsverletzungen
wende, mochte ich einem Mißverständnis vorbeugen. Es fallt mir nicht
ein, für unser gegenwärtiges preußisches Militärstrafverfahren eine Lanze
einzulegen. Dieses Werk einer vergangnen Zeit ist in den Angen aller,
die nicht blinde Anhänger des Alten sind, längst gerichtet, und erst vor
wenigen Wochen hat ihm der Reichsanzeiger offiziell das Stcrbeglöcklein ge¬
läutet. Friedmann hat Recht, wenn er dieses Gesetz wurmstichig nennt, und
es hieße Wasser ius Meer tragen, wenn ich das tote hier nochmals totschlagen
wollte. Aber in dem Nahmen jeder Prozeßform kann der Richter gerecht oder
ungerecht, parteiisch oder unparteiisch, gesetzlich oder willkürlich verfahren, und
Friedmann schleudert seine Anklagen weit weniger gegen das Gesetz und gegen
seine veralteten Formen als gegen ihre gesetzwidrige Handhabung. Durch diese
Formen scheint er sich sogar in seiner wie so oft energischen und erfolgreichen
Verteidigung nicht einmal sonderlich beengt gefühlt zu haben, denn er ist
billig genng, wiederholt nnzuerkeunen, daß sie ihm gegenüber keineswegs mit
ängstlicher und pedantischer Kleinlichkeit gehandhabt worden seien. Um so
mehr hätte es aber die Pflicht der Loyalität von ihm gefordert, mit dem
Vorwurfe der Rechtsverletzung behutsam umzugehen. Wir werden aber
sehen, wie leichtfertig er dabei verfahren ist, und wie namentlich der Vor¬
wurf gröblichster Unkenntnis des Gesetzes mit verdoppelter Schwere auf sein
eignes Haupt zurückfällt. Überhaupt ist fast jeder Satz der juristischen Aus¬
führungen seines Buches teils so überaus anfechtbar, teils fo offenbar falsch,
daß sie von Anfang bis zu Ende das verwunderte Kopfschütteln des Fachmanns
.erregen müssen.

Wer kann z. B. aus seiner Darstellung über die verspätete Einreichung
der Privatklage des Herrn v. Kotze wider Herrn v. Schrader klug werden?
Es wird uns erzählt, daß Herr v. Kotze, nachdem er erfahren hatte, mit
welcher Rastlosigkeit und Entschiedenheit Herr v. Schrader bemüht gewesen
sei, den Verdacht auf ihn zu lenken, mehrfach versucht habe, seinen Gegner
hierfür zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen. Hierzu boten sich ihm
zwei Wege dar: die Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft^) und
die Privatklage beim Amtsgericht. Er hat beide beschritten. Die Privatklage
ist von dem Amtsgericht als verspätet zurückgewiesen worden, weil bei ihrer
Einreichuug die dreimonatige Antragsfrist um einen Tag verstrichen war.
Nun unterbricht aber — wie Friedmann selbst erwähnt — die Einreichung
der Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft — auch für die etwaige spätere



^) Es ist unverständlich, wie Friedenau von einer Verleumdungsklage bei der ersten
Strafkammer des Landgerichts sprechen kann (S, !>8).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/28>, abgerufen am 06.01.2025.