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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen

Unter solchen Umständen ist es nicht wunderbar, wenn das verkehrtreibende
Publikum namentlich der mittlern und untern Klassen kein rechtes Vertrauen
zu der Einsicht der Behörde hat und es vorzieht, über seine besondern Wünsche
mit untergeordneten Personen zu verhandeln, gelegentlich auch über die An¬
ordnungen und Entscheidungen der Behörde abfällig zu urteilen und sie mit
Hilfe der Findigkeit der auf den Güterbahnhöfen und Güterböden beschäftigten
Arbeiter mit Erfolg zu umgehen -- gewiß nicht zum Ansehen und Vorteil der
Verwaltung!

Diese Entwicklung ist die notwendige Folge der juristischen Verwaltung.
Sie richtet sich schließlich sogar gegen das Interesse des Staates. Der Staat
hat seiner Beamtenschaft und der handeltreibenden Bevölkerung sachkundige
Vorgesetzte versagt; er erntet dafür die Entfremdung einer gesunden und
tüchtigen Klasse unsers Volkes.

Natürlich fehlt es auch nicht an Männern, die sich durch achtunggebietende,
in mühevoller energischer Arbeit erworbne Fachkenntnisse und dabei durch
Vornehmheit der Gesinnung die Verehrung ihrer Untergebnen durchaus in
dem Maße zu erwerben verstanden haben, wie es der Gesamtheit der Vor¬
letzten zu wünschen wäre. Leider sind das aber nur Ausnahmen, deren Ab¬
stand von den übrigen um so auffälliger hervortritt.

Die von den unmittelbar Beteiligten sowohl als auch im Abgeordneten-
Hause vom Negierungstisch aus anerkannte Notwendigkeit einer gründlichern
Vorbildung der höhern Eisenbahnbeamten hat im Laufe der Jahre eine stattliche
Anzahl von Schriften und Aufsätzen in Fach- und Tagesblättern hervorgerufen.
Eingeleitet wurde sie Ende der achtziger Jahre durch den in der National-
zntung zwischen Juristen und Technikern geführten Federkrieg. Als Nieder-
Ichlag des hitzigen Kampfes konnten dann die ruhigern Betrachtungen Sach-
undiger in der Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen (Jahrgang
L92 1893) angesehen werden. Einen hervorragenden Beitrag zu Gunsten
^ Juristen lieferte dann gleichsam als Abschluß die Schrift des Geheimen
^berregiernngsrats Ulrich (Berlin, Springer, 1893). Wie schwankend aber in
^it maßgebenden Kreisen das Urteil über die beste Ausbildung jener Beamten-
^sse ist, läßt sich daraus sehen, daß wir in dieser wichtigen Sache hente noch
^ keinen Schritt weiter gekommen sind. Der Grund liegt augenscheinlich
,^>n, daß man zwar eine Fachbildung für erforderlich hält, eine formale
^nstischc Ausbildung aber nicht entbehren zu können glaubt und dem heutigen
Juristen nach seiner zweiten Staatsprüfung nicht noch eine praktische aus¬
übende Thätigkeit auf den äußern Dienststellen, eine daran sich anschließende
Uwalterne Beschäftigung in den Bureaus der Direktion und die Ablegung einer
Nachprüfung zumuten zu dürfen glaubt. Ohne eine solche Ausbildung gehört
-' aber fast zu den Unmöglichkeiten, "höhere," ihrem Beruf gewachsene Eisen-
"ahnbeamte heranzubilden.


Die Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen

Unter solchen Umständen ist es nicht wunderbar, wenn das verkehrtreibende
Publikum namentlich der mittlern und untern Klassen kein rechtes Vertrauen
zu der Einsicht der Behörde hat und es vorzieht, über seine besondern Wünsche
mit untergeordneten Personen zu verhandeln, gelegentlich auch über die An¬
ordnungen und Entscheidungen der Behörde abfällig zu urteilen und sie mit
Hilfe der Findigkeit der auf den Güterbahnhöfen und Güterböden beschäftigten
Arbeiter mit Erfolg zu umgehen — gewiß nicht zum Ansehen und Vorteil der
Verwaltung!

Diese Entwicklung ist die notwendige Folge der juristischen Verwaltung.
Sie richtet sich schließlich sogar gegen das Interesse des Staates. Der Staat
hat seiner Beamtenschaft und der handeltreibenden Bevölkerung sachkundige
Vorgesetzte versagt; er erntet dafür die Entfremdung einer gesunden und
tüchtigen Klasse unsers Volkes.

Natürlich fehlt es auch nicht an Männern, die sich durch achtunggebietende,
in mühevoller energischer Arbeit erworbne Fachkenntnisse und dabei durch
Vornehmheit der Gesinnung die Verehrung ihrer Untergebnen durchaus in
dem Maße zu erwerben verstanden haben, wie es der Gesamtheit der Vor¬
letzten zu wünschen wäre. Leider sind das aber nur Ausnahmen, deren Ab¬
stand von den übrigen um so auffälliger hervortritt.

Die von den unmittelbar Beteiligten sowohl als auch im Abgeordneten-
Hause vom Negierungstisch aus anerkannte Notwendigkeit einer gründlichern
Vorbildung der höhern Eisenbahnbeamten hat im Laufe der Jahre eine stattliche
Anzahl von Schriften und Aufsätzen in Fach- und Tagesblättern hervorgerufen.
Eingeleitet wurde sie Ende der achtziger Jahre durch den in der National-
zntung zwischen Juristen und Technikern geführten Federkrieg. Als Nieder-
Ichlag des hitzigen Kampfes konnten dann die ruhigern Betrachtungen Sach-
undiger in der Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen (Jahrgang
L92 1893) angesehen werden. Einen hervorragenden Beitrag zu Gunsten
^ Juristen lieferte dann gleichsam als Abschluß die Schrift des Geheimen
^berregiernngsrats Ulrich (Berlin, Springer, 1893). Wie schwankend aber in
^it maßgebenden Kreisen das Urteil über die beste Ausbildung jener Beamten-
^sse ist, läßt sich daraus sehen, daß wir in dieser wichtigen Sache hente noch
^ keinen Schritt weiter gekommen sind. Der Grund liegt augenscheinlich
,^>n, daß man zwar eine Fachbildung für erforderlich hält, eine formale
^nstischc Ausbildung aber nicht entbehren zu können glaubt und dem heutigen
Juristen nach seiner zweiten Staatsprüfung nicht noch eine praktische aus¬
übende Thätigkeit auf den äußern Dienststellen, eine daran sich anschließende
Uwalterne Beschäftigung in den Bureaus der Direktion und die Ablegung einer
Nachprüfung zumuten zu dürfen glaubt. Ohne eine solche Ausbildung gehört
-' aber fast zu den Unmöglichkeiten, „höhere," ihrem Beruf gewachsene Eisen-
"ahnbeamte heranzubilden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/269>, abgerufen am 08.01.2025.