Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.juristische Randbemerkungen zum Lali Kotze gebildeten und hochachtbaren bürgerlichen Beamtenstandes zugetragen haben, Wer aus solchen ganz ungewöhnlichen und vereinzelten Vorkommnissen Wer ist der Thäter? So fragen wir nicht aus müßiger Neugier, sondern juristische Randbemerkungen zum Lali Kotze gebildeten und hochachtbaren bürgerlichen Beamtenstandes zugetragen haben, Wer aus solchen ganz ungewöhnlichen und vereinzelten Vorkommnissen Wer ist der Thäter? So fragen wir nicht aus müßiger Neugier, sondern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223607"/> <fw type="header" place="top"> juristische Randbemerkungen zum Lali Kotze</fw><lb/> <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> gebildeten und hochachtbaren bürgerlichen Beamtenstandes zugetragen haben,<lb/> und die niemand je für etwas andres als für bedauerliche Einzelerscheinungen<lb/> gehalten hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_42"> Wer aus solchen ganz ungewöhnlichen und vereinzelten Vorkommnissen<lb/> verallgemeinernde Schlüsse ziehen will, muß sich der allergrößten Vorsicht be¬<lb/> fleißigen, und er wird dem Tadel der Voreiligkeit und mangelnder Logik nicht<lb/> entgehen, wenn er ohne weiteres von dem Teil auf das Ganze schließt. Mag<lb/> also auch der Verfasser der Enthüllungen mit hochtönenden Worten verkünden,<lb/> „daß der Fall Kotze der Geschichte des preußischen Hofes und der Sitten¬<lb/> geschichte Deutschlands angehöre, und daß er in diesem Sinne lehrreicher sei<lb/> als jemals ein früherer Fall," so wird sich kein besonnener in seinem Urteil<lb/> durch Übertreibungen beirren lassen, die man allenfalls dem Übereifer des in<lb/> seinen Fall verliebten Verteidigers zu gute rechnen mag. Wer nicht mit Herrn<lb/> Friedmann an die Schauermär von dem geheimnisvollen Revolutionskvmitee<lb/> um preußischen Hofe glauben will, das sich jeuer Briefe bedient habe, um den<lb/> Boden der Hofgesellschaft planmäßig zu unterwühlen und dadurch seine finstern,<lb/> auf allgemeinen Umsturz gerichteten Absichten zu fördern, wird auch aus diesem<lb/> Vorkommnis, so betrübend es an sich ist, keinen andern Schluß ziehen als<lb/> allenfalls den, daß sich gelegentlich auch in den höchsten Schichten der Gesell¬<lb/> schaft verabscheuungswürdige Intriganten finden, wie es deren immer und in<lb/> alle» Schichten gegeben hat und geben wird. Wir haben kein Recht, in diesem<lb/> durchaus vereinzelten Falle mehr zu sehen als eine monströse Ausnahme,<lb/> als eine von den seltnen Giftpflanzen, wie sie auch dem gesündesten Boden<lb/> entsprießen können. Der allgemeine und wohlbegründete Glaube an die Ge¬<lb/> sundheit der sittlichen und gesellschaftlichen Zustände am preußischen Hofe kann<lb/> unmöglich durch ein einzelnes derartiges Ereignis erschüttert werden, dessen<lb/> Bedeutung sich ganz auf das Gebiet der Jndividualpsychologie beschränkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_43" next="#ID_44"> Wer ist der Thäter? So fragen wir nicht aus müßiger Neugier, sondern<lb/> damit ihn die gerechte Strafe für seine Infamie treffe, doppelt schwer treffe,<lb/> weil ein Unschuldiger um seinetwillen schwer hat leiden müssen. Und wie ist<lb/> die Entstehung der That aus dem Charakter des Thäters und den sonstigen<lb/> Umständen psychologisch zu begreifen? Das sind die beiden Fragen, die in<lb/> diesem Falle interessiren, und auf beide läßt uns Friedmann ohne Antwort.<lb/> Hierin liegt wohl der entscheidende Grund dafür, daß sein Buch in Deutsch¬<lb/> land so gut wie spurlos vorüber gegangen ist. Ich glaube, Friedmann würde<lb/> selbst im äußersten Grade enttäuscht gewesen sein, wenn er mit seiner scharfen<lb/> Beobachtungsgabe und seinem lebhaften Selbstgefühl ein gegenwärtiger Zeuge<lb/> des geringen Eindrucks hätte sein können, den seine Schrift auf die gebildeten<lb/> Kreise seines Vaterlandes gemacht hat. Oder sollte er an diese bei der Ab¬<lb/> fassung seines Buches überhaupt nicht mehr gedacht haben? Jedenfalls ist<lb/> man darüber fast stillschweigend zur Tagesordnung übergegangen, und die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
juristische Randbemerkungen zum Lali Kotze
gebildeten und hochachtbaren bürgerlichen Beamtenstandes zugetragen haben,
und die niemand je für etwas andres als für bedauerliche Einzelerscheinungen
gehalten hat.
Wer aus solchen ganz ungewöhnlichen und vereinzelten Vorkommnissen
verallgemeinernde Schlüsse ziehen will, muß sich der allergrößten Vorsicht be¬
fleißigen, und er wird dem Tadel der Voreiligkeit und mangelnder Logik nicht
entgehen, wenn er ohne weiteres von dem Teil auf das Ganze schließt. Mag
also auch der Verfasser der Enthüllungen mit hochtönenden Worten verkünden,
„daß der Fall Kotze der Geschichte des preußischen Hofes und der Sitten¬
geschichte Deutschlands angehöre, und daß er in diesem Sinne lehrreicher sei
als jemals ein früherer Fall," so wird sich kein besonnener in seinem Urteil
durch Übertreibungen beirren lassen, die man allenfalls dem Übereifer des in
seinen Fall verliebten Verteidigers zu gute rechnen mag. Wer nicht mit Herrn
Friedmann an die Schauermär von dem geheimnisvollen Revolutionskvmitee
um preußischen Hofe glauben will, das sich jeuer Briefe bedient habe, um den
Boden der Hofgesellschaft planmäßig zu unterwühlen und dadurch seine finstern,
auf allgemeinen Umsturz gerichteten Absichten zu fördern, wird auch aus diesem
Vorkommnis, so betrübend es an sich ist, keinen andern Schluß ziehen als
allenfalls den, daß sich gelegentlich auch in den höchsten Schichten der Gesell¬
schaft verabscheuungswürdige Intriganten finden, wie es deren immer und in
alle» Schichten gegeben hat und geben wird. Wir haben kein Recht, in diesem
durchaus vereinzelten Falle mehr zu sehen als eine monströse Ausnahme,
als eine von den seltnen Giftpflanzen, wie sie auch dem gesündesten Boden
entsprießen können. Der allgemeine und wohlbegründete Glaube an die Ge¬
sundheit der sittlichen und gesellschaftlichen Zustände am preußischen Hofe kann
unmöglich durch ein einzelnes derartiges Ereignis erschüttert werden, dessen
Bedeutung sich ganz auf das Gebiet der Jndividualpsychologie beschränkt.
Wer ist der Thäter? So fragen wir nicht aus müßiger Neugier, sondern
damit ihn die gerechte Strafe für seine Infamie treffe, doppelt schwer treffe,
weil ein Unschuldiger um seinetwillen schwer hat leiden müssen. Und wie ist
die Entstehung der That aus dem Charakter des Thäters und den sonstigen
Umständen psychologisch zu begreifen? Das sind die beiden Fragen, die in
diesem Falle interessiren, und auf beide läßt uns Friedmann ohne Antwort.
Hierin liegt wohl der entscheidende Grund dafür, daß sein Buch in Deutsch¬
land so gut wie spurlos vorüber gegangen ist. Ich glaube, Friedmann würde
selbst im äußersten Grade enttäuscht gewesen sein, wenn er mit seiner scharfen
Beobachtungsgabe und seinem lebhaften Selbstgefühl ein gegenwärtiger Zeuge
des geringen Eindrucks hätte sein können, den seine Schrift auf die gebildeten
Kreise seines Vaterlandes gemacht hat. Oder sollte er an diese bei der Ab¬
fassung seines Buches überhaupt nicht mehr gedacht haben? Jedenfalls ist
man darüber fast stillschweigend zur Tagesordnung übergegangen, und die
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