Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze Hoffnungen der andern gründlich zu schänden gemacht. Sicher aber ist, daß Das würde sich für den Fall, daß der Schreiber der anonymen Briefe Auch dafür, daß das Schreiben anonymer Briefe gelegentlich zur Manie Wir erinnern uns, daß in den letzten Jahrzehnten nach einander zwei Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze Hoffnungen der andern gründlich zu schänden gemacht. Sicher aber ist, daß Das würde sich für den Fall, daß der Schreiber der anonymen Briefe Auch dafür, daß das Schreiben anonymer Briefe gelegentlich zur Manie Wir erinnern uns, daß in den letzten Jahrzehnten nach einander zwei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223606"/> <fw type="header" place="top"> Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze</fw><lb/> <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36"> Hoffnungen der andern gründlich zu schänden gemacht. Sicher aber ist, daß<lb/> die nichtbeteiligten Kreise von vornherein kühl bis ans Herz hinan geblieben<lb/> sind, als die Zeitungen die Kunde brachten, daß der frühere Verteidiger des<lb/> Zeremonienmeisters v. Kotze in seinem Exil die Geschichte jenes Falles zu<lb/> schreiben beabsichtige. Denn darüber ist man in allen unbeteiligten und urteils¬<lb/> fähigen Kreisen längst einig, daß dem Falle Kotze auch nicht entfernt eine<lb/> typische Bedeutung innewohnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_38"> Das würde sich für den Fall, daß der Schreiber der anonymen Briefe<lb/> gar nicht der eigentlichen Hofgesellschaft angehörte, von selbst verstehen. Aber<lb/> mag es sich auch so verhalten, wie man meistens anzunehmen scheint, mag<lb/> der Thäter immerhin ein vollberechtigtes Mitglied jener Gesellschaft fein: was<lb/> würde daraus folgen? Verleumderische Intriganten, die aus dem sichern Hinter¬<lb/> halte der Anonymität ihre vergifteten Pfeile schleudern, hat es zu allen Zeiten<lb/> und in allen Ständen gegeben; daß gerade die Gesellschaft, die an den Höfen<lb/> und in den Königsschlösfern heimisch ist, völlig über Verleumdung und<lb/> Intrigue erhaben sei, daß sich nur unter den Bevorzugten, die täglich Hofluft<lb/> atmen, noch nie ein heimtückischer und ehrloser Pasquillant befunden habe,<lb/> hat bisher wohl niemand im Ernste vermutet. Also wozu der Lärm?</p><lb/> <p xml:id="ID_39"> Auch dafür, daß das Schreiben anonymer Briefe gelegentlich zur Manie<lb/> ausarten, daß es zu einer Plage für ganze Klassen der Gesellschaft werden<lb/> kann, bietet die Vergangenheit mehr als ein Beispiel.</p><lb/> <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Wir erinnern uns, daß in den letzten Jahrzehnten nach einander zwei<lb/> preußische Städte verschiedner Provinzen durch ähnliche Epidemien heimgesucht<lb/> worden siud, die ihre Opfer gerade in den bessern bürgerlichen Kreisen suchten,<lb/> und von denen die zweite mit der Verurteilung der Gattin eines hochgestellten<lb/> Justizbeamten zu mehrmonatiger Gefängnisstrafe endete. Wem ist es damals<lb/> eingefallen, über die Zeichen der Zeit zu jammern, seine warnende Stimme<lb/> als Prediger in der Wüste zu erheben, und das abgeschmackte und widrige<lb/> Treiben eines einzelnen zu einem Menetekel für unser ganzes Zeitalter auf¬<lb/> zubauschen? Die Epidemie der anonymen Briefe am preußischen Hofe, die man<lb/> nach der Freisprechung des Herrn v. Kotze nicht mehr als „Fall Kotze" be¬<lb/> zeichnen sollte, unterscheidet sich, wie uns dünkt, in keinem wesentlichen Punkte<lb/> von jenen frühern Vorkommnissen. Oder will man den Unterschied etwa darin<lb/> suchen, daß die Krankheit diesmal die sogenannten höchsten Gesellschaftskreise<lb/> ergriffen habe, und deshalb ein besonders bedenkliches Anzeichen für den Ge¬<lb/> sundheitszustand des ganzen Gesellschaftskörpers sei? Wer diese Kreise, weil sie<lb/> sich selbst für die besten halten mögen, in ehrfürchtiger Bescheidenheit dafür<lb/> gelten läßt, mag immerhin über diesen neuesten Fall aus der besten Gesell¬<lb/> schaft die Hände ringen. Wir andern sind der Ansicht, daß dieser Fall um nichts<lb/> betrüblicher und um nichts bezeichnender für die Zustände unsers Zeitalters<lb/> sei, als es die frühern Fülle waren, die sich in den Kreisen unsers hoch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze
Hoffnungen der andern gründlich zu schänden gemacht. Sicher aber ist, daß
die nichtbeteiligten Kreise von vornherein kühl bis ans Herz hinan geblieben
sind, als die Zeitungen die Kunde brachten, daß der frühere Verteidiger des
Zeremonienmeisters v. Kotze in seinem Exil die Geschichte jenes Falles zu
schreiben beabsichtige. Denn darüber ist man in allen unbeteiligten und urteils¬
fähigen Kreisen längst einig, daß dem Falle Kotze auch nicht entfernt eine
typische Bedeutung innewohnt.
Das würde sich für den Fall, daß der Schreiber der anonymen Briefe
gar nicht der eigentlichen Hofgesellschaft angehörte, von selbst verstehen. Aber
mag es sich auch so verhalten, wie man meistens anzunehmen scheint, mag
der Thäter immerhin ein vollberechtigtes Mitglied jener Gesellschaft fein: was
würde daraus folgen? Verleumderische Intriganten, die aus dem sichern Hinter¬
halte der Anonymität ihre vergifteten Pfeile schleudern, hat es zu allen Zeiten
und in allen Ständen gegeben; daß gerade die Gesellschaft, die an den Höfen
und in den Königsschlösfern heimisch ist, völlig über Verleumdung und
Intrigue erhaben sei, daß sich nur unter den Bevorzugten, die täglich Hofluft
atmen, noch nie ein heimtückischer und ehrloser Pasquillant befunden habe,
hat bisher wohl niemand im Ernste vermutet. Also wozu der Lärm?
Auch dafür, daß das Schreiben anonymer Briefe gelegentlich zur Manie
ausarten, daß es zu einer Plage für ganze Klassen der Gesellschaft werden
kann, bietet die Vergangenheit mehr als ein Beispiel.
Wir erinnern uns, daß in den letzten Jahrzehnten nach einander zwei
preußische Städte verschiedner Provinzen durch ähnliche Epidemien heimgesucht
worden siud, die ihre Opfer gerade in den bessern bürgerlichen Kreisen suchten,
und von denen die zweite mit der Verurteilung der Gattin eines hochgestellten
Justizbeamten zu mehrmonatiger Gefängnisstrafe endete. Wem ist es damals
eingefallen, über die Zeichen der Zeit zu jammern, seine warnende Stimme
als Prediger in der Wüste zu erheben, und das abgeschmackte und widrige
Treiben eines einzelnen zu einem Menetekel für unser ganzes Zeitalter auf¬
zubauschen? Die Epidemie der anonymen Briefe am preußischen Hofe, die man
nach der Freisprechung des Herrn v. Kotze nicht mehr als „Fall Kotze" be¬
zeichnen sollte, unterscheidet sich, wie uns dünkt, in keinem wesentlichen Punkte
von jenen frühern Vorkommnissen. Oder will man den Unterschied etwa darin
suchen, daß die Krankheit diesmal die sogenannten höchsten Gesellschaftskreise
ergriffen habe, und deshalb ein besonders bedenkliches Anzeichen für den Ge¬
sundheitszustand des ganzen Gesellschaftskörpers sei? Wer diese Kreise, weil sie
sich selbst für die besten halten mögen, in ehrfürchtiger Bescheidenheit dafür
gelten läßt, mag immerhin über diesen neuesten Fall aus der besten Gesell¬
schaft die Hände ringen. Wir andern sind der Ansicht, daß dieser Fall um nichts
betrüblicher und um nichts bezeichnender für die Zustände unsers Zeitalters
sei, als es die frühern Fülle waren, die sich in den Kreisen unsers hoch-
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