Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland und auch in den Fremdenkolonien hat sie Nachahmung gefunden. Auch bei Der Russe ist ungemein gastfrei, aber seine Gastfreundschaft kommt vor Es ist bei dieser Wertschätzung guten Essens kein Wunder, daß auch die Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland und auch in den Fremdenkolonien hat sie Nachahmung gefunden. Auch bei Der Russe ist ungemein gastfrei, aber seine Gastfreundschaft kommt vor Es ist bei dieser Wertschätzung guten Essens kein Wunder, daß auch die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223784"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_590" prev="#ID_589"> und auch in den Fremdenkolonien hat sie Nachahmung gefunden. Auch bei<lb/> Gesellschaften in höhern und in den besten Kreisen wird eigentlich die Zeit<lb/> nur mit Essen und Trinken angefüllt. Von ein wenig Courmachen abgesehen<lb/> liebt es der Russe nicht, ein Gespräch zu sühren. Die Pausen zwischen den<lb/> verschiednen Gelegenheiten, sich den Magen zu beladen, werden meist zu Karten¬<lb/> spielen benutzt. Ich bin durchaus kein Verehrer unsrer steifen Geselligkeit, am<lb/> wenigsten der „Abfütterungen," bei denen die Wirte am frohsten sind, wenn sie<lb/> vorüber sind, in dem Bewußtsein, wieder einmal ihre „Verpflichtungen" erfüllt<lb/> zu haben. Aber bei uusern Gesellschaften sind doch die materiellen Genüsse<lb/> in der Regel nicht der eigentliche Zweck des Zusammenseins; auch bei dem<lb/> ungemütlichsten „sauern Mops" hört man doch das eine oder andre kluge und<lb/> gute Wort. Die Russen dagegen legen nur Wert auf das lecker bereitete Mahl.<lb/> In dieser Beziehung herrscht vielfach ein Raffinement, das auch einen sehr<lb/> verwöhnten Deutschen mit Staunen erfüllt. Bekannt ist die Gewohnheit der<lb/> „Saknska," des Voressens: ehe man sich zu Tisch setzt, nimmt man an einem<lb/> Nebentisch ein Gläschen Schnaps, entweder wasserhelle Wodka (zu deutsch<lb/> Wässerchen), oder einen Vogelbeerschnaps, oder einen Cognak; es braucht aber<lb/> nicht gerade nnr ein Gläschen zu sein. Dazu giebts aber, ähnlich wie in<lb/> Schweden, Delikatessen aller Art, Kaviar, Salat, geräucherten Lachs oder<lb/> sonstige Fischspeisen, Käse'u. tgi. Auf eine gute Sakuska wird oft mehr<lb/> Wert gelegt als auf ein gutes Diner. Mich hat die Fülle der verschieden¬<lb/> artigen Zubereitungen von kaltem Fisch in Erstaunen gesetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_591"> Der Russe ist ungemein gastfrei, aber seine Gastfreundschaft kommt vor<lb/> allem darin zum Ausdruck, daß er seinem Gast möglichst viel und möglichst<lb/> gut zu essen und zu trinken giebt. Einen Besuch zu empfangen, ohne ihm<lb/> etwas vorzusetzen, würde der Russe für äußerst unhöflich halten. Der Samowar<lb/> ist ja fast den ganzen Tag auf dem Tisch, und so muß der Gast mindestens<lb/> eine Tasse Thee annehmen, dazu Eingemachtes, das man in den Thee thut,<lb/> und Gebäck. Das russische Gebäck ist das beste der Welt.</p><lb/> <p xml:id="ID_592" next="#ID_593"> Es ist bei dieser Wertschätzung guten Essens kein Wunder, daß auch die<lb/> Restaurants ausgezeichnet sind. Die Petersburger Restaurants sind meist fran¬<lb/> zösisch, sie übertreffen aber die westeuropäischen noch in dem Raffinement bei<lb/> der Zubereitung der Speisen und in den Preisen. In Petersburg giebt es<lb/> auch anständige mittlere Wirtshäuser. In Moskau dagegen kennt man neben<lb/> den pompösen großen, echt russischen Restaurants fast nur gemeine „Traktire."<lb/> Die großen Restaurants, vor allem die „Eremitage" und das riesige „Mos-<lb/> kowskij Traktir," sind mit großem Luxus ausgestattet; außer den großen, ge¬<lb/> schmackvoll eingerichteten Speisesälen haben sie eine Unzahl großer und kleiner<lb/> <üiMnst,8 xMticzMvrs, da es der Russe liebt, sich im Restaurant möglichst wie<lb/> zu Hause zu fühlen. In allen großen Speisehäusern finden sich Orchestrions,<lb/> zum Teil von schönem Klang; da der Russe Tischgespräche nicht liebt, verlangt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
und auch in den Fremdenkolonien hat sie Nachahmung gefunden. Auch bei
Gesellschaften in höhern und in den besten Kreisen wird eigentlich die Zeit
nur mit Essen und Trinken angefüllt. Von ein wenig Courmachen abgesehen
liebt es der Russe nicht, ein Gespräch zu sühren. Die Pausen zwischen den
verschiednen Gelegenheiten, sich den Magen zu beladen, werden meist zu Karten¬
spielen benutzt. Ich bin durchaus kein Verehrer unsrer steifen Geselligkeit, am
wenigsten der „Abfütterungen," bei denen die Wirte am frohsten sind, wenn sie
vorüber sind, in dem Bewußtsein, wieder einmal ihre „Verpflichtungen" erfüllt
zu haben. Aber bei uusern Gesellschaften sind doch die materiellen Genüsse
in der Regel nicht der eigentliche Zweck des Zusammenseins; auch bei dem
ungemütlichsten „sauern Mops" hört man doch das eine oder andre kluge und
gute Wort. Die Russen dagegen legen nur Wert auf das lecker bereitete Mahl.
In dieser Beziehung herrscht vielfach ein Raffinement, das auch einen sehr
verwöhnten Deutschen mit Staunen erfüllt. Bekannt ist die Gewohnheit der
„Saknska," des Voressens: ehe man sich zu Tisch setzt, nimmt man an einem
Nebentisch ein Gläschen Schnaps, entweder wasserhelle Wodka (zu deutsch
Wässerchen), oder einen Vogelbeerschnaps, oder einen Cognak; es braucht aber
nicht gerade nnr ein Gläschen zu sein. Dazu giebts aber, ähnlich wie in
Schweden, Delikatessen aller Art, Kaviar, Salat, geräucherten Lachs oder
sonstige Fischspeisen, Käse'u. tgi. Auf eine gute Sakuska wird oft mehr
Wert gelegt als auf ein gutes Diner. Mich hat die Fülle der verschieden¬
artigen Zubereitungen von kaltem Fisch in Erstaunen gesetzt.
Der Russe ist ungemein gastfrei, aber seine Gastfreundschaft kommt vor
allem darin zum Ausdruck, daß er seinem Gast möglichst viel und möglichst
gut zu essen und zu trinken giebt. Einen Besuch zu empfangen, ohne ihm
etwas vorzusetzen, würde der Russe für äußerst unhöflich halten. Der Samowar
ist ja fast den ganzen Tag auf dem Tisch, und so muß der Gast mindestens
eine Tasse Thee annehmen, dazu Eingemachtes, das man in den Thee thut,
und Gebäck. Das russische Gebäck ist das beste der Welt.
Es ist bei dieser Wertschätzung guten Essens kein Wunder, daß auch die
Restaurants ausgezeichnet sind. Die Petersburger Restaurants sind meist fran¬
zösisch, sie übertreffen aber die westeuropäischen noch in dem Raffinement bei
der Zubereitung der Speisen und in den Preisen. In Petersburg giebt es
auch anständige mittlere Wirtshäuser. In Moskau dagegen kennt man neben
den pompösen großen, echt russischen Restaurants fast nur gemeine „Traktire."
Die großen Restaurants, vor allem die „Eremitage" und das riesige „Mos-
kowskij Traktir," sind mit großem Luxus ausgestattet; außer den großen, ge¬
schmackvoll eingerichteten Speisesälen haben sie eine Unzahl großer und kleiner
<üiMnst,8 xMticzMvrs, da es der Russe liebt, sich im Restaurant möglichst wie
zu Hause zu fühlen. In allen großen Speisehäusern finden sich Orchestrions,
zum Teil von schönem Klang; da der Russe Tischgespräche nicht liebt, verlangt
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |