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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

er Tafelmusik. Gut gefallen hat mir, daß die Kellner dieser großen Restaurants
nicht in schmierigen Franken herumlaufen, sondern in weißen Leinenanzügen
von russischem Schnitt, die täglich gewechselt werden und daher stets einen
appetitlichen Eindruck machen. Tadellose Sauberkeit ist überhaupt hier Regel.
Es ist üblich, daß man sich die Küche besichtigt, denn diese großen Küchen
sind nur geeignet, Appetit zu erregen.

Die nationalrnssischen Gerichte verlangen einen guten Magen; hat man
sich aber an manches fremdartige in der Zusammensetzung der Speisen ge¬
wöhnt, so muß einem die russische Küche munden. Besondres Gewicht wird
auf allerlei Podager gelegt; neben der "Schtschi" (Kohlsuppe) und dem "Börsch"
(Suppe aus roten Rüben), sind namentlich Fischsuppen sehr beliebt: Fischstücke
in Fleischbrühe mit einer Menge von Zuthaten. An heißen Sommertagen ist
die "Votwinja" ein Genuß: eine kalte Suppe aus "Kwas" (halbgegohrnem
Bier) mit Spinat und Sauerampfer, und darin Krebsschwänze und Fisch.
Was mich sehr wohlthuend berührte, ist, daß die Russen die philiströse Ein¬
richtung des Weinzwangs nicht kennen. In den feinsten Gasthäusern bekommt
man neben Wein auch Bier. Als ich mein Erstaunen darüber äußerte, wurde
mir erwidert: "Warum soll es denn "feiner" sein, Wein als Bier zu trinken?
Man trinkt doch, wozu man Lust hat. Wenn mein Freund Bier und ich Wein
trinken will, so können wir doch unmöglich in zwei verschiedne Lokale gehn."
Das russische Bier ist recht gut; für die mannichfachen Sorten von "Kwas"
habe ich mich nicht begeistern können. Eine Schattenseite haben die russischen
Restaurants: ohne recht viele grüne, blaue und rote "Lappen" (Drei-, Fünf-,
Zwanzigrubelscheine) im Taschenbuch fühlt man sich dort nicht wohl; hat man
einen ganzen Regenbogen (Hundertrubelschein) bei sich, so thut das dem Wohl¬
befinden keinen Eintrag.

Auf ein gefülltes Taschenbuch machen auch die Vergnügungslokale vor der
Stadt, besonders die Moskaner am Petrvwskij-Park Anspruch. Ist es Winter,
so saust man im Schlitten auf der Petrowskijallee hinaus nach Strclna. Aus
der Eiskalte tritt man plötzlich in einen großen Palmengarten; aus den Zweigen
der tropischen Bäume, aus Nischen, Grotten, Fontänen leuchten halbversteckt
elektrische Lämpchen, und überall stehen in lauschigen Grün gedeckte kleine
Tischchen; dazu Orchestermusik und Gesang von elegant gekleideten Sängerinnen
oder von Zigeunerinnen. Am Abend kann man "mit seiner Frau" nach Strelna
fahren, in den spätern Nachtstunden ändert sich der Charakter des Bildes.
Im Sommer tritt Mauritauia an die Stelle Strelnas, ein Gartenrestaurant
im maurischen Stil, mit verschwenderisch ausgestatteten Pavillons als (Ädinsts
xartieullsrs; auch hier hallt die Nacht von Musik und Gesang wieder. Am Tage
ist es fein, hier zu diniren, und es ist bezeichnend für das Moskaner Leben,
daß diese Orte, die doch einen leisen Beigeschmack vom Verbotnen haben, ohne
Bedenken von Damen der besten Gesellschaft besucht werden können. Nitschewo!


Grenzboten IV 1896 25
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

er Tafelmusik. Gut gefallen hat mir, daß die Kellner dieser großen Restaurants
nicht in schmierigen Franken herumlaufen, sondern in weißen Leinenanzügen
von russischem Schnitt, die täglich gewechselt werden und daher stets einen
appetitlichen Eindruck machen. Tadellose Sauberkeit ist überhaupt hier Regel.
Es ist üblich, daß man sich die Küche besichtigt, denn diese großen Küchen
sind nur geeignet, Appetit zu erregen.

Die nationalrnssischen Gerichte verlangen einen guten Magen; hat man
sich aber an manches fremdartige in der Zusammensetzung der Speisen ge¬
wöhnt, so muß einem die russische Küche munden. Besondres Gewicht wird
auf allerlei Podager gelegt; neben der „Schtschi" (Kohlsuppe) und dem „Börsch"
(Suppe aus roten Rüben), sind namentlich Fischsuppen sehr beliebt: Fischstücke
in Fleischbrühe mit einer Menge von Zuthaten. An heißen Sommertagen ist
die „Votwinja" ein Genuß: eine kalte Suppe aus „Kwas" (halbgegohrnem
Bier) mit Spinat und Sauerampfer, und darin Krebsschwänze und Fisch.
Was mich sehr wohlthuend berührte, ist, daß die Russen die philiströse Ein¬
richtung des Weinzwangs nicht kennen. In den feinsten Gasthäusern bekommt
man neben Wein auch Bier. Als ich mein Erstaunen darüber äußerte, wurde
mir erwidert: „Warum soll es denn »feiner« sein, Wein als Bier zu trinken?
Man trinkt doch, wozu man Lust hat. Wenn mein Freund Bier und ich Wein
trinken will, so können wir doch unmöglich in zwei verschiedne Lokale gehn."
Das russische Bier ist recht gut; für die mannichfachen Sorten von „Kwas"
habe ich mich nicht begeistern können. Eine Schattenseite haben die russischen
Restaurants: ohne recht viele grüne, blaue und rote „Lappen" (Drei-, Fünf-,
Zwanzigrubelscheine) im Taschenbuch fühlt man sich dort nicht wohl; hat man
einen ganzen Regenbogen (Hundertrubelschein) bei sich, so thut das dem Wohl¬
befinden keinen Eintrag.

Auf ein gefülltes Taschenbuch machen auch die Vergnügungslokale vor der
Stadt, besonders die Moskaner am Petrvwskij-Park Anspruch. Ist es Winter,
so saust man im Schlitten auf der Petrowskijallee hinaus nach Strclna. Aus
der Eiskalte tritt man plötzlich in einen großen Palmengarten; aus den Zweigen
der tropischen Bäume, aus Nischen, Grotten, Fontänen leuchten halbversteckt
elektrische Lämpchen, und überall stehen in lauschigen Grün gedeckte kleine
Tischchen; dazu Orchestermusik und Gesang von elegant gekleideten Sängerinnen
oder von Zigeunerinnen. Am Abend kann man „mit seiner Frau" nach Strelna
fahren, in den spätern Nachtstunden ändert sich der Charakter des Bildes.
Im Sommer tritt Mauritauia an die Stelle Strelnas, ein Gartenrestaurant
im maurischen Stil, mit verschwenderisch ausgestatteten Pavillons als (Ädinsts
xartieullsrs; auch hier hallt die Nacht von Musik und Gesang wieder. Am Tage
ist es fein, hier zu diniren, und es ist bezeichnend für das Moskaner Leben,
daß diese Orte, die doch einen leisen Beigeschmack vom Verbotnen haben, ohne
Bedenken von Damen der besten Gesellschaft besucht werden können. Nitschewo!


Grenzboten IV 1896 25
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/201>, abgerufen am 06.01.2025.