Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland und Schicksalen die Gewohnheiten für sein Hains mit, und auch die Ein¬ Unter den Äußerlichkeiten hat mich eine sehr angenehm berührt: daß man Manche russischen Sitten freilich sind weniger erfreulich, z. B. die, daß In den "echt" russischen Kreisen der kleinen Kaufleute usw. herrscht noch Freilich hat sich die Vorliebe für vieles, schweres Essen und Trinken auch Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland und Schicksalen die Gewohnheiten für sein Hains mit, und auch die Ein¬ Unter den Äußerlichkeiten hat mich eine sehr angenehm berührt: daß man Manche russischen Sitten freilich sind weniger erfreulich, z. B. die, daß In den „echt" russischen Kreisen der kleinen Kaufleute usw. herrscht noch Freilich hat sich die Vorliebe für vieles, schweres Essen und Trinken auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223783"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_585" prev="#ID_584"> und Schicksalen die Gewohnheiten für sein Hains mit, und auch die Ein¬<lb/> wanderer brachten nicht die Sitte eines Landes, einer Stadt mit. So bildete<lb/> sich unwillkürlich schon innerhalb der Kolonistenkreise eine zwanglose und<lb/> duldsame Form des Umgangs aus, und so entstand aus der Mannichfaltigkeit<lb/> der äußern Formen eine Sitte, deren erster Grundsatz ist, keinen Zwang zu<lb/> üben und jeden gewähren zu lassen, ein Grundsatz, der sicherlich angenehmer<lb/> ist als der häßliche Sittenhochmut der Engländer, den wir Deutschen neuer¬<lb/> dings nachzuahmen lieben. Ich will mich nicht zum Lobredner russischer<lb/> Sitten und Gewohnheiten machen; aber ein Übel ist durch diese Duldsamkeit<lb/> im Verkehr sicher vermieden: die Engherzigkeit und Heuchelei, wie sie die<lb/> deutsche „Höflichkeit" so leicht zur Folge hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_586"> Unter den Äußerlichkeiten hat mich eine sehr angenehm berührt: daß man<lb/> sich gleich bei der Vorstellung die Hand schüttelt, daß auch die Dame dem<lb/> Herrn, der ihr vorgestellt wird, sofort die Hand giebt. Auch bei uns hat<lb/> sich, natürlich aus England „importirt," der slialcs-lranäs mehr und mehr<lb/> eingebürgert; so allgemein wie in Rußland ist aber diese Sitte bei uns noch<lb/> lange nicht. Für mich hat es entschieden etwas freundlicheres, wenn zwei<lb/> Herren sich im Vorbeigehen auf der Straße flüchtig die Hand reichen, als<lb/> wenn sie feierlich den Hut ziehen; und welch ein Unterschied, ob einem eine<lb/> Dame herzhaft die Hand giebt, oder ob sie einen langweiligen steifen Knicks macht!</p><lb/> <p xml:id="ID_587"> Manche russischen Sitten freilich sind weniger erfreulich, z. B. die, daß<lb/> die Herren bei einem Besuch auch in Anwesenheit von Damen ganz ungenirt<lb/> und ohne um Erlaubnis zu bitten das unvermeidliche silberne Cigarcttenetui her¬<lb/> vorziehen und ohne weiteres zu passen anfangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_588"> In den „echt" russischen Kreisen der kleinen Kaufleute usw. herrscht noch<lb/> zum großen Teil die alte Vätersitte; dort ist westeuropäische Kultur noch nicht<lb/> hingedrnngen, sie bilden gewissermaßen eine Kaste sür sich. Dort herrscht<lb/> noch der Kuß als Begrüßungsform, vielfach sogar noch zwischen Männern;<lb/> ein höchst belustigender Anblick ist es, wenn zu Ostern ein bärtiger Mnshik<lb/> den andern auf offner Straße mit feierlicher Würde die Mütze abnehmend<lb/> erst zwei mal auf jede Wange und schließlich noch auf den Mund küßt. Zu<lb/> Ostern ist freilich das Küssen in besonders reichem Maße üblich; da ist es<lb/> altem Herkommen gemäß erlaubt, auch den Fremden in so feierlicher Weise<lb/> an sein Herz zu drücken. Aber in diesen Kreisen ist der Kuß auch sonst gäng<lb/> und gäbe. Da herrschen überhaupt uoch die bäuerlich umständlichen Formen<lb/> des Verkehrs, da finden noch bei allen Gelegenheiten endlose Schmausereien<lb/> statt, wo unglaubliche Massen von Speisen und Getränken verschlungen werden,<lb/> und wo man sich nicht „amüsirt" hat, wenn man nicht mehr oder minder<lb/> betrunken gewesen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_589" next="#ID_590"> Freilich hat sich die Vorliebe für vieles, schweres Essen und Trinken auch<lb/> noch reichlich genug in den feinern und gebildeten Gesellschaftskreisen erhalten,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0199]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
und Schicksalen die Gewohnheiten für sein Hains mit, und auch die Ein¬
wanderer brachten nicht die Sitte eines Landes, einer Stadt mit. So bildete
sich unwillkürlich schon innerhalb der Kolonistenkreise eine zwanglose und
duldsame Form des Umgangs aus, und so entstand aus der Mannichfaltigkeit
der äußern Formen eine Sitte, deren erster Grundsatz ist, keinen Zwang zu
üben und jeden gewähren zu lassen, ein Grundsatz, der sicherlich angenehmer
ist als der häßliche Sittenhochmut der Engländer, den wir Deutschen neuer¬
dings nachzuahmen lieben. Ich will mich nicht zum Lobredner russischer
Sitten und Gewohnheiten machen; aber ein Übel ist durch diese Duldsamkeit
im Verkehr sicher vermieden: die Engherzigkeit und Heuchelei, wie sie die
deutsche „Höflichkeit" so leicht zur Folge hat.
Unter den Äußerlichkeiten hat mich eine sehr angenehm berührt: daß man
sich gleich bei der Vorstellung die Hand schüttelt, daß auch die Dame dem
Herrn, der ihr vorgestellt wird, sofort die Hand giebt. Auch bei uns hat
sich, natürlich aus England „importirt," der slialcs-lranäs mehr und mehr
eingebürgert; so allgemein wie in Rußland ist aber diese Sitte bei uns noch
lange nicht. Für mich hat es entschieden etwas freundlicheres, wenn zwei
Herren sich im Vorbeigehen auf der Straße flüchtig die Hand reichen, als
wenn sie feierlich den Hut ziehen; und welch ein Unterschied, ob einem eine
Dame herzhaft die Hand giebt, oder ob sie einen langweiligen steifen Knicks macht!
Manche russischen Sitten freilich sind weniger erfreulich, z. B. die, daß
die Herren bei einem Besuch auch in Anwesenheit von Damen ganz ungenirt
und ohne um Erlaubnis zu bitten das unvermeidliche silberne Cigarcttenetui her¬
vorziehen und ohne weiteres zu passen anfangen.
In den „echt" russischen Kreisen der kleinen Kaufleute usw. herrscht noch
zum großen Teil die alte Vätersitte; dort ist westeuropäische Kultur noch nicht
hingedrnngen, sie bilden gewissermaßen eine Kaste sür sich. Dort herrscht
noch der Kuß als Begrüßungsform, vielfach sogar noch zwischen Männern;
ein höchst belustigender Anblick ist es, wenn zu Ostern ein bärtiger Mnshik
den andern auf offner Straße mit feierlicher Würde die Mütze abnehmend
erst zwei mal auf jede Wange und schließlich noch auf den Mund küßt. Zu
Ostern ist freilich das Küssen in besonders reichem Maße üblich; da ist es
altem Herkommen gemäß erlaubt, auch den Fremden in so feierlicher Weise
an sein Herz zu drücken. Aber in diesen Kreisen ist der Kuß auch sonst gäng
und gäbe. Da herrschen überhaupt uoch die bäuerlich umständlichen Formen
des Verkehrs, da finden noch bei allen Gelegenheiten endlose Schmausereien
statt, wo unglaubliche Massen von Speisen und Getränken verschlungen werden,
und wo man sich nicht „amüsirt" hat, wenn man nicht mehr oder minder
betrunken gewesen ist.
Freilich hat sich die Vorliebe für vieles, schweres Essen und Trinken auch
noch reichlich genug in den feinern und gebildeten Gesellschaftskreisen erhalten,
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