Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die englischen Gewerkvereine Wert darauf beruht, daß alle andern davon ausgeschlossen bleiben. In beiden Die englischen Gewerkvereine Wert darauf beruht, daß alle andern davon ausgeschlossen bleiben. In beiden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223755"/> <fw type="header" place="top"> Die englischen Gewerkvereine</fw><lb/> <p xml:id="ID_502" prev="#ID_501" next="#ID_503"> Wert darauf beruht, daß alle andern davon ausgeschlossen bleiben. In beiden<lb/> Beziehungen wird Brentanos Auffassung dnrch das vorliegende Werk vollständig<lb/> bestätigt. Der Unterschied der Gilde oder Innung vom modernen Verein oder<lb/> von der Versichernngs- oder Handelsgesellschaft wird unter unteren auf Seite 220<lb/> durch ein Vorkommnis beleuchtet, das auch Brentano in demselben Sinne<lb/> herangezogen hat. Die den Gewerkvereinen feindlichen Unternehmer ließen<lb/> einmal durch Versicherungsbeamte den Nachweis führen, daß die Unterstützungs-<lb/> kassen der Arbeiter binnen wenigen Jahren bankrott werden müßten, weil die<lb/> Beiträge nicht im richtigen Verhältnis zu den Leistungen stünden. Es ist<lb/> aber keine solche Kasse bankrott geworden. Diese Zeugenaussagen, schreiben<lb/> die Webbs, seien „ein schlagendes Beispiel für die Unzuverlässigkeit von Sach¬<lb/> verständigen außerhalb ihres engern Gebietes. Weder Herrn Finlaison noch<lb/> Herrn Tucker kam es je zum Bewußtsein, daß eine Trade Union snngleich<lb/> einer gewöhnlichen Versicherungsgesellschaft^ die unbeschränkte Möglichkeit hat<lb/> und auch regelmäßig benutzt, durch Extrasteuern oder durch Erhöhung der<lb/> Beiträge Geld aufzutreiben." Sie kann auch ihre Leistungen einschränken,<lb/> wenn es sich zeigt, daß ihre Kräfte nicht für die übernommenen Aufgaben<lb/> hinreichen. Sie kann ihre Leistungen, je nach ihrer Lage, entweder den Be¬<lb/> dürfnissen oder ihren Kräften anpassen. Nicht auf der Jnnehaltung kalku¬<lb/> latorischer Regeln beruht sie, sondern auf Treu und Glauben und auf der nie<lb/> versiegenden Opferwilligkeit ihrer Mitglieder. Sie kann daher zwar samt<lb/> ihren Mitgliedern untergehn wie ein Kriegsheer, das einen Verlornen Posten<lb/> verteidigt, aber sie kann nicht bankrott machen wie ein schlecht geleiteter<lb/> Vorschußverein. Noch deutlicher tritt bei den Webbs die andre Seite des<lb/> Gildenwesens hervor. Die englischen Gewerkvereine, wenigstens die bei weitem<lb/> mächtigsten ältern, sind ganz und gar vom Zunftgeiste beseelt. Namentlich die<lb/> Vereine der Maschinenbauer sorgen dafür, daß keiner in ihrem Gewerbe Arbeit<lb/> bekommt, der nicht die gehörige Lehrzeit durchgemacht hat. Wie der Arzt,<lb/> heißt es in der Vorrede zu den Statuten des Müttervereins, mit Recht fordern<lb/> könne, daß dem Quacksalber, der keine langwierige Vorbereitung durchgemacht<lb/> habe, das Handwerk gelegt werde, müsse auch der gelernte Arbeiter verlangen,<lb/> daß ihm die Frucht seiner mühsamen Vorbereitung gesichert bleibe, und da<lb/> ihn kein Gesetz schütze, so müsse er sich selbst schützen durch den Verein. Ge¬<lb/> legentlich, auf Seite 390, erfahren wir, daß die Lehrzeit heute noch, ganz<lb/> sowie es das längst ausgehöhlte Gesetz der Elisabeth bestimmte, fünf bis sieben<lb/> Jahre dauert, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß in England der Knabe<lb/> früher in die Lehre tritt als bei uns. Und ganz so, wie bei den zünftigen<lb/> Handwerkern, wollen bei den organistrten gelernten Arbeitern Englands die<lb/> Streitigkeiten über die Abgrenzung der Gewerbe nicht abreißen. „Zu den<lb/> ständigen Konflikten mit den Unternehmern gesellte sich der erbitterte mörderische<lb/> Kampf der Arbeiter der verschiednen Gewerbzweige gegen einander. Die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0171]
Die englischen Gewerkvereine
Wert darauf beruht, daß alle andern davon ausgeschlossen bleiben. In beiden
Beziehungen wird Brentanos Auffassung dnrch das vorliegende Werk vollständig
bestätigt. Der Unterschied der Gilde oder Innung vom modernen Verein oder
von der Versichernngs- oder Handelsgesellschaft wird unter unteren auf Seite 220
durch ein Vorkommnis beleuchtet, das auch Brentano in demselben Sinne
herangezogen hat. Die den Gewerkvereinen feindlichen Unternehmer ließen
einmal durch Versicherungsbeamte den Nachweis führen, daß die Unterstützungs-
kassen der Arbeiter binnen wenigen Jahren bankrott werden müßten, weil die
Beiträge nicht im richtigen Verhältnis zu den Leistungen stünden. Es ist
aber keine solche Kasse bankrott geworden. Diese Zeugenaussagen, schreiben
die Webbs, seien „ein schlagendes Beispiel für die Unzuverlässigkeit von Sach¬
verständigen außerhalb ihres engern Gebietes. Weder Herrn Finlaison noch
Herrn Tucker kam es je zum Bewußtsein, daß eine Trade Union snngleich
einer gewöhnlichen Versicherungsgesellschaft^ die unbeschränkte Möglichkeit hat
und auch regelmäßig benutzt, durch Extrasteuern oder durch Erhöhung der
Beiträge Geld aufzutreiben." Sie kann auch ihre Leistungen einschränken,
wenn es sich zeigt, daß ihre Kräfte nicht für die übernommenen Aufgaben
hinreichen. Sie kann ihre Leistungen, je nach ihrer Lage, entweder den Be¬
dürfnissen oder ihren Kräften anpassen. Nicht auf der Jnnehaltung kalku¬
latorischer Regeln beruht sie, sondern auf Treu und Glauben und auf der nie
versiegenden Opferwilligkeit ihrer Mitglieder. Sie kann daher zwar samt
ihren Mitgliedern untergehn wie ein Kriegsheer, das einen Verlornen Posten
verteidigt, aber sie kann nicht bankrott machen wie ein schlecht geleiteter
Vorschußverein. Noch deutlicher tritt bei den Webbs die andre Seite des
Gildenwesens hervor. Die englischen Gewerkvereine, wenigstens die bei weitem
mächtigsten ältern, sind ganz und gar vom Zunftgeiste beseelt. Namentlich die
Vereine der Maschinenbauer sorgen dafür, daß keiner in ihrem Gewerbe Arbeit
bekommt, der nicht die gehörige Lehrzeit durchgemacht hat. Wie der Arzt,
heißt es in der Vorrede zu den Statuten des Müttervereins, mit Recht fordern
könne, daß dem Quacksalber, der keine langwierige Vorbereitung durchgemacht
habe, das Handwerk gelegt werde, müsse auch der gelernte Arbeiter verlangen,
daß ihm die Frucht seiner mühsamen Vorbereitung gesichert bleibe, und da
ihn kein Gesetz schütze, so müsse er sich selbst schützen durch den Verein. Ge¬
legentlich, auf Seite 390, erfahren wir, daß die Lehrzeit heute noch, ganz
sowie es das längst ausgehöhlte Gesetz der Elisabeth bestimmte, fünf bis sieben
Jahre dauert, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß in England der Knabe
früher in die Lehre tritt als bei uns. Und ganz so, wie bei den zünftigen
Handwerkern, wollen bei den organistrten gelernten Arbeitern Englands die
Streitigkeiten über die Abgrenzung der Gewerbe nicht abreißen. „Zu den
ständigen Konflikten mit den Unternehmern gesellte sich der erbitterte mörderische
Kampf der Arbeiter der verschiednen Gewerbzweige gegen einander. Die
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