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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Manöverbetrachtungen

ungünstig, daß er mit einem großen Teil seiner Truppen wieder über die
Spree zurückmüßte. Um ihm die Möglichkeit zum Vorgehen zu gewähren,
wurde von der Leitung angenommen, daß Verstärkungen im Anmarsch seien,
und so handelte es sich an dem dritten und vierten Schlachttage vorzugsweise
um die Linie des Löbauer Wassers, deren Besitz von den Sachsen erstrebt,
von den Osttruppen aber aufs energischste verteidigt wurde.

So spielten sich die ganzen Kämpfe auf einem verhältnismäßig sehr ge¬
ringen Raum ab, dessen Grenzen sich im Norden durch die Orte Klix und
Guttau, im Westen durch Bautzen, im Süden durch Nachlau und Löbau, im
Osten durch Reichenbach, Melauue und Prachenau bezeichnen lassen.

Es fragt sich, inwieweit dies der Wirklichkeit entsprach. Mehrtägige
Schlachten sind in der modernen Kriegsgeschichte keine Seltenheit -- man
braucht uur an die Kämpfe an der Lisaine zu denken, und die Augusttage
vor Metz stellen streng genommen doch auch einen großen Kampf dar --,
aber daß sich zwei an Zahl wie nach sonstigen Rücksichten vollkommen gleich¬
wertige Armeen vier Tage lang hintereinander gegenüberstehen, ohne daß
auf der einen oder der andern Seite die Entscheidung fällt, ist schwerlich
denkbar. Ani das zu gestatten, müssen Manöverrücksichten zur Geltung
kommen, und wenn sich alle Beteiligten darüber klar sind, schadet das auch
gar nichts. Die Leitung hat ja Mittel genug, durch Annahmen aller Art,
erwartete Verstärkungen, Mangel an Munition, gedachte Verluste den Vor¬
teil hüben wie drüben nach Belieben zu verteilen und so die Rolle zu
spielen, die im Ernstfall das Kriegsglück übernehmen würde. Von einer voll¬
kommen selbständigen Entschlußfähigkeit der Führer kann daher nur bis zu dem
Augenblick die Rede sein, wo zum erstenmale die beiderseitigen Truppen in
den Kampf kommen, denn das Abbrechen des Gefechts und der erneute Zu¬
sammenstoß am nächsten Morgen muß, wenn auch, wie es hier der Fall war,
die Wahl der Quartiere und Biwccksplütze völlig frei stand, immer etwas un¬
natürliches an sich haben.

Dennoch ist die Aufgabe der Führer immer noch sehr schwierig, denn es
liegt ihnen jn nicht nur der Entschluß zur Kampfeshandlung ob, sondern auch
die Leitung ihrer Truppen während des Gefechts. Es hat sich gezeigt, wie
schwer das schon bei zwei Armeekorps ist. Der Oberkommandirende ist häufig
gar nicht in der Lage, den jeweiligen Stand der Schlacht zu übersehen, und
wenn er endlich die nötige Kenntnis erlangt hat, so erreichen die auf Grund
seiner Auffassung erteilten Befehle bei den weiten Entfernungen die Truppenteile oft
so spät, daß sie schon längst von den Ereignissen überholt sind. Dieser Mangel
muß durch die Unterführer ausgeglichen werden, von denen, je größer die
Gefechtsverbände sind, desto mrhr Selbständigkeit zu fordern ist. In einer
dem Ganzen nützlichen Weise kann dies aber nur dann geschehen, wenn ihnen die
Absicht des Oberkommandos völlig vertraut ist. Eine Versäumnis in diesem


Manöverbetrachtungen

ungünstig, daß er mit einem großen Teil seiner Truppen wieder über die
Spree zurückmüßte. Um ihm die Möglichkeit zum Vorgehen zu gewähren,
wurde von der Leitung angenommen, daß Verstärkungen im Anmarsch seien,
und so handelte es sich an dem dritten und vierten Schlachttage vorzugsweise
um die Linie des Löbauer Wassers, deren Besitz von den Sachsen erstrebt,
von den Osttruppen aber aufs energischste verteidigt wurde.

So spielten sich die ganzen Kämpfe auf einem verhältnismäßig sehr ge¬
ringen Raum ab, dessen Grenzen sich im Norden durch die Orte Klix und
Guttau, im Westen durch Bautzen, im Süden durch Nachlau und Löbau, im
Osten durch Reichenbach, Melauue und Prachenau bezeichnen lassen.

Es fragt sich, inwieweit dies der Wirklichkeit entsprach. Mehrtägige
Schlachten sind in der modernen Kriegsgeschichte keine Seltenheit — man
braucht uur an die Kämpfe an der Lisaine zu denken, und die Augusttage
vor Metz stellen streng genommen doch auch einen großen Kampf dar —,
aber daß sich zwei an Zahl wie nach sonstigen Rücksichten vollkommen gleich¬
wertige Armeen vier Tage lang hintereinander gegenüberstehen, ohne daß
auf der einen oder der andern Seite die Entscheidung fällt, ist schwerlich
denkbar. Ani das zu gestatten, müssen Manöverrücksichten zur Geltung
kommen, und wenn sich alle Beteiligten darüber klar sind, schadet das auch
gar nichts. Die Leitung hat ja Mittel genug, durch Annahmen aller Art,
erwartete Verstärkungen, Mangel an Munition, gedachte Verluste den Vor¬
teil hüben wie drüben nach Belieben zu verteilen und so die Rolle zu
spielen, die im Ernstfall das Kriegsglück übernehmen würde. Von einer voll¬
kommen selbständigen Entschlußfähigkeit der Führer kann daher nur bis zu dem
Augenblick die Rede sein, wo zum erstenmale die beiderseitigen Truppen in
den Kampf kommen, denn das Abbrechen des Gefechts und der erneute Zu¬
sammenstoß am nächsten Morgen muß, wenn auch, wie es hier der Fall war,
die Wahl der Quartiere und Biwccksplütze völlig frei stand, immer etwas un¬
natürliches an sich haben.

Dennoch ist die Aufgabe der Führer immer noch sehr schwierig, denn es
liegt ihnen jn nicht nur der Entschluß zur Kampfeshandlung ob, sondern auch
die Leitung ihrer Truppen während des Gefechts. Es hat sich gezeigt, wie
schwer das schon bei zwei Armeekorps ist. Der Oberkommandirende ist häufig
gar nicht in der Lage, den jeweiligen Stand der Schlacht zu übersehen, und
wenn er endlich die nötige Kenntnis erlangt hat, so erreichen die auf Grund
seiner Auffassung erteilten Befehle bei den weiten Entfernungen die Truppenteile oft
so spät, daß sie schon längst von den Ereignissen überholt sind. Dieser Mangel
muß durch die Unterführer ausgeglichen werden, von denen, je größer die
Gefechtsverbände sind, desto mrhr Selbständigkeit zu fordern ist. In einer
dem Ganzen nützlichen Weise kann dies aber nur dann geschehen, wenn ihnen die
Absicht des Oberkommandos völlig vertraut ist. Eine Versäumnis in diesem


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[0148] Manöverbetrachtungen ungünstig, daß er mit einem großen Teil seiner Truppen wieder über die Spree zurückmüßte. Um ihm die Möglichkeit zum Vorgehen zu gewähren, wurde von der Leitung angenommen, daß Verstärkungen im Anmarsch seien, und so handelte es sich an dem dritten und vierten Schlachttage vorzugsweise um die Linie des Löbauer Wassers, deren Besitz von den Sachsen erstrebt, von den Osttruppen aber aufs energischste verteidigt wurde. So spielten sich die ganzen Kämpfe auf einem verhältnismäßig sehr ge¬ ringen Raum ab, dessen Grenzen sich im Norden durch die Orte Klix und Guttau, im Westen durch Bautzen, im Süden durch Nachlau und Löbau, im Osten durch Reichenbach, Melauue und Prachenau bezeichnen lassen. Es fragt sich, inwieweit dies der Wirklichkeit entsprach. Mehrtägige Schlachten sind in der modernen Kriegsgeschichte keine Seltenheit — man braucht uur an die Kämpfe an der Lisaine zu denken, und die Augusttage vor Metz stellen streng genommen doch auch einen großen Kampf dar —, aber daß sich zwei an Zahl wie nach sonstigen Rücksichten vollkommen gleich¬ wertige Armeen vier Tage lang hintereinander gegenüberstehen, ohne daß auf der einen oder der andern Seite die Entscheidung fällt, ist schwerlich denkbar. Ani das zu gestatten, müssen Manöverrücksichten zur Geltung kommen, und wenn sich alle Beteiligten darüber klar sind, schadet das auch gar nichts. Die Leitung hat ja Mittel genug, durch Annahmen aller Art, erwartete Verstärkungen, Mangel an Munition, gedachte Verluste den Vor¬ teil hüben wie drüben nach Belieben zu verteilen und so die Rolle zu spielen, die im Ernstfall das Kriegsglück übernehmen würde. Von einer voll¬ kommen selbständigen Entschlußfähigkeit der Führer kann daher nur bis zu dem Augenblick die Rede sein, wo zum erstenmale die beiderseitigen Truppen in den Kampf kommen, denn das Abbrechen des Gefechts und der erneute Zu¬ sammenstoß am nächsten Morgen muß, wenn auch, wie es hier der Fall war, die Wahl der Quartiere und Biwccksplütze völlig frei stand, immer etwas un¬ natürliches an sich haben. Dennoch ist die Aufgabe der Führer immer noch sehr schwierig, denn es liegt ihnen jn nicht nur der Entschluß zur Kampfeshandlung ob, sondern auch die Leitung ihrer Truppen während des Gefechts. Es hat sich gezeigt, wie schwer das schon bei zwei Armeekorps ist. Der Oberkommandirende ist häufig gar nicht in der Lage, den jeweiligen Stand der Schlacht zu übersehen, und wenn er endlich die nötige Kenntnis erlangt hat, so erreichen die auf Grund seiner Auffassung erteilten Befehle bei den weiten Entfernungen die Truppenteile oft so spät, daß sie schon längst von den Ereignissen überholt sind. Dieser Mangel muß durch die Unterführer ausgeglichen werden, von denen, je größer die Gefechtsverbände sind, desto mrhr Selbständigkeit zu fordern ist. In einer dem Ganzen nützlichen Weise kann dies aber nur dann geschehen, wenn ihnen die Absicht des Oberkommandos völlig vertraut ist. Eine Versäumnis in diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/148>, abgerufen am 08.01.2025.