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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Aomxetenzerweiterung der Amtsgerichte

Besonders gefördert worden sind diese Zustände dadurch, daß die Rechts-
anwälte für verschiedne Gerichte Sachen annehmen. Infolge dessen giebt es
Terminkollisivnen, und die Rechtsanwälte sind dann genötigt, wenn sie nicht
in inlliütuni vertagen lassen wollen, Sachen an Winkelkonsuleuten abzugeben,
die sich ihrerseits wieder durch Zutragen von Prozessen abfinden. So ist es
gekommen, daß sich hie und da zwischen Rechtsanwälteu und Winkelkonsulenten
förmiche Kartelle gebildet haben. Man hat dagegen angekämpft, namentlich
in den achtziger Jahren. So ließen die Oberlandesgerichtspräsidenten von
Frankfurt und Köln scharfe Erlasse gegen dieses Unwesen ergehen, und
die Ehrengerichte entwickelten einen löblichen Eifer. In zahlreichen Fällen
mußte sich der Ehrengerichtshof für deutsche Rechtsanwälte in Leipzig mit
der Sache beschäftigen. Da kamen böse Dinge zu Tage. So hatte nach
deu Entscheidungen des Ehrengerichtshofs (Bd. I, S. 195) ein Rechtsanwalt
und Notar einem Rechtskonsulenten 40 Prozent seiner Reineinnahmen aus der
Zivilpraxis und dem Notariat zugesichert, andere Anwälte hatten 20 bis
30 Prozent der Gebühren für das Zutreiben von Sachen gegeben (Bd. II,
S. 97, Bd. IV, S. 9). Ein dritter hatte mit seinem Schreiber eine Kon¬
ventionalstrafe verabredet, daß sich dieser innerhalb von fünf Jahren nach
seinem Austritt in dem Wohnort des Urwalds nicht als Rechtskonsuleut nieder¬
lasse (Bd. III, S. 118). In einem andern Falle (Bd. III, S. 297) wurde
festgestellt, daß in der betreffenden Stadt eine Vereinbarung zwischen den
Konsulenten zu stände gekommen sei, keinem Anwalt eine Sache zuzuwenden,
der ihnen nicht einen Anteil an den Gebühren zukommen lasse. Ein andermal
(Bd. II, S. 92) hatte sich ein wegen der Verbindung mit Winkelkvnsulentcn
angeschuldigter Anwalt mit dem Bestehen eines allgemeinen Usus entschuldigt,
dem er sich ohne die schlimmsten Folgen für seine Praxis nicht habe entziehen
können. In neuester Zeit ist es über solche Dinge merkwürdig still geworden.
Die beiden letzten Bände der Entscheidungen des Ehrengerichtshofs enthalten
nur wenig über solche Verbindungen. Ob es aber darin wirklich besser ge¬
worden oder ob das Übel so tief eingefressen ist, daß das Einschreiten der
Ehrengerichte nichts mehr hilft und deshalb unterbleibt, darüber lassen sich
natürlich nur Vermutungen aufstellen. Sicher ist, daß eine Stärkung der
Macht des Wiukelkonsulententnms, wie sie dnrch eine Erhöhung der Zuständig¬
keit der Amtsgerichte vou 300 Mark auf 500 Mark herbeigeführt würde, der
Nechtsauwaltschnft einen schweren Stoß versetzen würde.

Darin liegt einzig und allein die Schädigung der Rechtspflege und des
Publikums, wenn die Zuständigkeit der Amtsgerichte erhöht werden sollte,
nicht in dieser Erhöhung selbst. An sich wäre sie sogar eine Wohlthat.
Es kann sich also nur darum handeln, die Interessen der Nechtsanwaltschaft
und die des Publikums in Einklang zu bringen. Mit allgemeinen Resolu¬
tionen und einem Streuben gegen Reformen ist nichts gethan. Es müssen


Die Aomxetenzerweiterung der Amtsgerichte

Besonders gefördert worden sind diese Zustände dadurch, daß die Rechts-
anwälte für verschiedne Gerichte Sachen annehmen. Infolge dessen giebt es
Terminkollisivnen, und die Rechtsanwälte sind dann genötigt, wenn sie nicht
in inlliütuni vertagen lassen wollen, Sachen an Winkelkonsuleuten abzugeben,
die sich ihrerseits wieder durch Zutragen von Prozessen abfinden. So ist es
gekommen, daß sich hie und da zwischen Rechtsanwälteu und Winkelkonsulenten
förmiche Kartelle gebildet haben. Man hat dagegen angekämpft, namentlich
in den achtziger Jahren. So ließen die Oberlandesgerichtspräsidenten von
Frankfurt und Köln scharfe Erlasse gegen dieses Unwesen ergehen, und
die Ehrengerichte entwickelten einen löblichen Eifer. In zahlreichen Fällen
mußte sich der Ehrengerichtshof für deutsche Rechtsanwälte in Leipzig mit
der Sache beschäftigen. Da kamen böse Dinge zu Tage. So hatte nach
deu Entscheidungen des Ehrengerichtshofs (Bd. I, S. 195) ein Rechtsanwalt
und Notar einem Rechtskonsulenten 40 Prozent seiner Reineinnahmen aus der
Zivilpraxis und dem Notariat zugesichert, andere Anwälte hatten 20 bis
30 Prozent der Gebühren für das Zutreiben von Sachen gegeben (Bd. II,
S. 97, Bd. IV, S. 9). Ein dritter hatte mit seinem Schreiber eine Kon¬
ventionalstrafe verabredet, daß sich dieser innerhalb von fünf Jahren nach
seinem Austritt in dem Wohnort des Urwalds nicht als Rechtskonsuleut nieder¬
lasse (Bd. III, S. 118). In einem andern Falle (Bd. III, S. 297) wurde
festgestellt, daß in der betreffenden Stadt eine Vereinbarung zwischen den
Konsulenten zu stände gekommen sei, keinem Anwalt eine Sache zuzuwenden,
der ihnen nicht einen Anteil an den Gebühren zukommen lasse. Ein andermal
(Bd. II, S. 92) hatte sich ein wegen der Verbindung mit Winkelkvnsulentcn
angeschuldigter Anwalt mit dem Bestehen eines allgemeinen Usus entschuldigt,
dem er sich ohne die schlimmsten Folgen für seine Praxis nicht habe entziehen
können. In neuester Zeit ist es über solche Dinge merkwürdig still geworden.
Die beiden letzten Bände der Entscheidungen des Ehrengerichtshofs enthalten
nur wenig über solche Verbindungen. Ob es aber darin wirklich besser ge¬
worden oder ob das Übel so tief eingefressen ist, daß das Einschreiten der
Ehrengerichte nichts mehr hilft und deshalb unterbleibt, darüber lassen sich
natürlich nur Vermutungen aufstellen. Sicher ist, daß eine Stärkung der
Macht des Wiukelkonsulententnms, wie sie dnrch eine Erhöhung der Zuständig¬
keit der Amtsgerichte vou 300 Mark auf 500 Mark herbeigeführt würde, der
Nechtsauwaltschnft einen schweren Stoß versetzen würde.

Darin liegt einzig und allein die Schädigung der Rechtspflege und des
Publikums, wenn die Zuständigkeit der Amtsgerichte erhöht werden sollte,
nicht in dieser Erhöhung selbst. An sich wäre sie sogar eine Wohlthat.
Es kann sich also nur darum handeln, die Interessen der Nechtsanwaltschaft
und die des Publikums in Einklang zu bringen. Mit allgemeinen Resolu¬
tionen und einem Streuben gegen Reformen ist nichts gethan. Es müssen


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[0119] Die Aomxetenzerweiterung der Amtsgerichte Besonders gefördert worden sind diese Zustände dadurch, daß die Rechts- anwälte für verschiedne Gerichte Sachen annehmen. Infolge dessen giebt es Terminkollisivnen, und die Rechtsanwälte sind dann genötigt, wenn sie nicht in inlliütuni vertagen lassen wollen, Sachen an Winkelkonsuleuten abzugeben, die sich ihrerseits wieder durch Zutragen von Prozessen abfinden. So ist es gekommen, daß sich hie und da zwischen Rechtsanwälteu und Winkelkonsulenten förmiche Kartelle gebildet haben. Man hat dagegen angekämpft, namentlich in den achtziger Jahren. So ließen die Oberlandesgerichtspräsidenten von Frankfurt und Köln scharfe Erlasse gegen dieses Unwesen ergehen, und die Ehrengerichte entwickelten einen löblichen Eifer. In zahlreichen Fällen mußte sich der Ehrengerichtshof für deutsche Rechtsanwälte in Leipzig mit der Sache beschäftigen. Da kamen böse Dinge zu Tage. So hatte nach deu Entscheidungen des Ehrengerichtshofs (Bd. I, S. 195) ein Rechtsanwalt und Notar einem Rechtskonsulenten 40 Prozent seiner Reineinnahmen aus der Zivilpraxis und dem Notariat zugesichert, andere Anwälte hatten 20 bis 30 Prozent der Gebühren für das Zutreiben von Sachen gegeben (Bd. II, S. 97, Bd. IV, S. 9). Ein dritter hatte mit seinem Schreiber eine Kon¬ ventionalstrafe verabredet, daß sich dieser innerhalb von fünf Jahren nach seinem Austritt in dem Wohnort des Urwalds nicht als Rechtskonsuleut nieder¬ lasse (Bd. III, S. 118). In einem andern Falle (Bd. III, S. 297) wurde festgestellt, daß in der betreffenden Stadt eine Vereinbarung zwischen den Konsulenten zu stände gekommen sei, keinem Anwalt eine Sache zuzuwenden, der ihnen nicht einen Anteil an den Gebühren zukommen lasse. Ein andermal (Bd. II, S. 92) hatte sich ein wegen der Verbindung mit Winkelkvnsulentcn angeschuldigter Anwalt mit dem Bestehen eines allgemeinen Usus entschuldigt, dem er sich ohne die schlimmsten Folgen für seine Praxis nicht habe entziehen können. In neuester Zeit ist es über solche Dinge merkwürdig still geworden. Die beiden letzten Bände der Entscheidungen des Ehrengerichtshofs enthalten nur wenig über solche Verbindungen. Ob es aber darin wirklich besser ge¬ worden oder ob das Übel so tief eingefressen ist, daß das Einschreiten der Ehrengerichte nichts mehr hilft und deshalb unterbleibt, darüber lassen sich natürlich nur Vermutungen aufstellen. Sicher ist, daß eine Stärkung der Macht des Wiukelkonsulententnms, wie sie dnrch eine Erhöhung der Zuständig¬ keit der Amtsgerichte vou 300 Mark auf 500 Mark herbeigeführt würde, der Nechtsauwaltschnft einen schweren Stoß versetzen würde. Darin liegt einzig und allein die Schädigung der Rechtspflege und des Publikums, wenn die Zuständigkeit der Amtsgerichte erhöht werden sollte, nicht in dieser Erhöhung selbst. An sich wäre sie sogar eine Wohlthat. Es kann sich also nur darum handeln, die Interessen der Nechtsanwaltschaft und die des Publikums in Einklang zu bringen. Mit allgemeinen Resolu¬ tionen und einem Streuben gegen Reformen ist nichts gethan. Es müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/119>, abgerufen am 08.01.2025.