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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Kompetenzerweiterung der Amtsgerichte

eine Kompetenzerhöhung der Friedensgerichte von 200 Franks auf 1500 Franks
(1200 Mary beabsichtigt. Freilich haben sich auch dort die Anwälte (Avouös)
in einer zu Ostern 1894 zu Paris abgehaltnen Versammlung dagegen erklärt.

In der That lassen sich denn auch vom Standpunkt der Nechtsanwalt-
schaft gewichtige Bedenken gegen die Neuerung vorbringen. Sie sind teils
allgemeiner Natur, teils liegen sie in besondern Verhältnissen. Vor allem ist
das Auftreten vor den Kollcgialgerichten der ganzen Stellung des Urwalds
angemessener als das vor den Amtsgerichten. Sein Prozeßgegner ist dort
dank dem Anwaltszwange stets ein Anwalt und niemals ein Winkelkonsulent.
Die Prozesse werden durch Schriftsätze eingehend vorbereitet, es werden
Rechtsfragen aufgeworfen und geprüft, die vor den Amtsgerichten kaum ge¬
streift werden. In der mündlichen Verhandlung, die schon äußerlich ein feier¬
liches Gepräge hat, findet ein eigentliches Plaidoher statt. Dem Rechtsanwalt
bietet sich da ein reicheres Feld, seine Kenntnisse und Fähigkeiten um den Tag
zu legen, als vor dem Amtsgericht, wo die Verhandlung in einfacher Rede
und Gegenrede besteht. An den Amtsgerichten können sich die Parteien selbst
vertreten, und sind sie daran verhindert, so sind sie nicht gezwungen, sich eines
Urwalds zu bedienen, sondern sie können einen Winkelkonsuleuten damit be¬
auftragen, was selbst an Orten, wo es durchaus nicht an Anwälten fehlt,
nicht zu den Seltenheiten gehört. Den Anwälten entgehen also infolge des
AufHörens des Anwaltszwangs in den durch die Kompetenzerweiterung den
Amtsgerichten zufallenden Sachen nicht nur manche Einnahmen, sondern sie
haben es in diesen wie in den andern amtsgerichtlichen Prozessen mit einer
unwürdigen Konkurrenz zu thun. Diese Konkurrenz, die jetzt schon die An¬
waltschaft in sittlicher wie in materieller Hinsicht schwer schädigt, würde, wenn
sie sich noch mehr breit machen könnte, den Anwaltstand vollständig herunter¬
drücken. In vielen Gegenden des Reichs, namentlich im Westen, besteht nämlich
beim Publikum die Gewohnheit, in den meisten Fällen und sogar in ganz
wichtigen Rechtsfragen sich zuerst an einen Winkelkonsuleuten zu wenden, der
nur dann, wenn er die Sache nicht selbst besorgen kann, die Partei an einen
Anwalt weist. Der Grund dieser Erscheinung liegt in unsern sozialen Verhält¬
nissen. Der gemeine Mann kann sich beim Winkelkonsnlenten besser aussprechen,
oder glaubt es wenigstens zu können, weil er mit ihm auf der gleichen Bildungs¬
stufe steht. Die Winkelkonsulenten sind auch überall zu finden, die Anwälte nur
auf ihrem Bureau. Der Winkelkonsulent läuft den Leuten in die Wohnungen
nach, erteilt Rat auf der Straße, und mit Vorliebe im Wirtshause. An
manchen Orten kommen vorzugsweise an Markttagen die Händler und andre
Personen mit den Winkelkonsuleuten in bestimmten Wirtshäusern zusammen,
um ihre Rechtsangelegenheiten unter deren Beistand zu besorgen. Auch die
durchaus falsche Meinung, daß es der Winkelkonsulent billiger mache als der
Anwalt, treibt das Publikum den Winkelkonsuleuten in die Arme.


Die Kompetenzerweiterung der Amtsgerichte

eine Kompetenzerhöhung der Friedensgerichte von 200 Franks auf 1500 Franks
(1200 Mary beabsichtigt. Freilich haben sich auch dort die Anwälte (Avouös)
in einer zu Ostern 1894 zu Paris abgehaltnen Versammlung dagegen erklärt.

In der That lassen sich denn auch vom Standpunkt der Nechtsanwalt-
schaft gewichtige Bedenken gegen die Neuerung vorbringen. Sie sind teils
allgemeiner Natur, teils liegen sie in besondern Verhältnissen. Vor allem ist
das Auftreten vor den Kollcgialgerichten der ganzen Stellung des Urwalds
angemessener als das vor den Amtsgerichten. Sein Prozeßgegner ist dort
dank dem Anwaltszwange stets ein Anwalt und niemals ein Winkelkonsulent.
Die Prozesse werden durch Schriftsätze eingehend vorbereitet, es werden
Rechtsfragen aufgeworfen und geprüft, die vor den Amtsgerichten kaum ge¬
streift werden. In der mündlichen Verhandlung, die schon äußerlich ein feier¬
liches Gepräge hat, findet ein eigentliches Plaidoher statt. Dem Rechtsanwalt
bietet sich da ein reicheres Feld, seine Kenntnisse und Fähigkeiten um den Tag
zu legen, als vor dem Amtsgericht, wo die Verhandlung in einfacher Rede
und Gegenrede besteht. An den Amtsgerichten können sich die Parteien selbst
vertreten, und sind sie daran verhindert, so sind sie nicht gezwungen, sich eines
Urwalds zu bedienen, sondern sie können einen Winkelkonsuleuten damit be¬
auftragen, was selbst an Orten, wo es durchaus nicht an Anwälten fehlt,
nicht zu den Seltenheiten gehört. Den Anwälten entgehen also infolge des
AufHörens des Anwaltszwangs in den durch die Kompetenzerweiterung den
Amtsgerichten zufallenden Sachen nicht nur manche Einnahmen, sondern sie
haben es in diesen wie in den andern amtsgerichtlichen Prozessen mit einer
unwürdigen Konkurrenz zu thun. Diese Konkurrenz, die jetzt schon die An¬
waltschaft in sittlicher wie in materieller Hinsicht schwer schädigt, würde, wenn
sie sich noch mehr breit machen könnte, den Anwaltstand vollständig herunter¬
drücken. In vielen Gegenden des Reichs, namentlich im Westen, besteht nämlich
beim Publikum die Gewohnheit, in den meisten Fällen und sogar in ganz
wichtigen Rechtsfragen sich zuerst an einen Winkelkonsuleuten zu wenden, der
nur dann, wenn er die Sache nicht selbst besorgen kann, die Partei an einen
Anwalt weist. Der Grund dieser Erscheinung liegt in unsern sozialen Verhält¬
nissen. Der gemeine Mann kann sich beim Winkelkonsnlenten besser aussprechen,
oder glaubt es wenigstens zu können, weil er mit ihm auf der gleichen Bildungs¬
stufe steht. Die Winkelkonsulenten sind auch überall zu finden, die Anwälte nur
auf ihrem Bureau. Der Winkelkonsulent läuft den Leuten in die Wohnungen
nach, erteilt Rat auf der Straße, und mit Vorliebe im Wirtshause. An
manchen Orten kommen vorzugsweise an Markttagen die Händler und andre
Personen mit den Winkelkonsuleuten in bestimmten Wirtshäusern zusammen,
um ihre Rechtsangelegenheiten unter deren Beistand zu besorgen. Auch die
durchaus falsche Meinung, daß es der Winkelkonsulent billiger mache als der
Anwalt, treibt das Publikum den Winkelkonsuleuten in die Arme.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/118>, abgerufen am 06.01.2025.