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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

sollte --, er war genötigt, den Russen und Österreichern so empfindliche
Niederlagen beizubringen, das; sie, die Preußen vernichten wollten, sich bereit
erklärten, Böhmen abzutreten, daß der Kurfürst August und der König Georg
durch die Macht der preußischen Siege so in Angst versetzt wurden, daß der
eine sein Stammland dahingab, der andre und schließlich die gesamten Reichs-
fürsten ihre Zustimmung zur Vergrößerung Preußens um Sachsen und West¬
preußen gaben -- ein Erfolg, wie er wunderbarer nicht auszudenken war.
Nach Lehmann hat der König alle diese notwendigen Erwägungen hintangesetzt
in der Selbsttäuschung, "das werde sich alles finden, wenn er nur erst das
begehrte Sachsen militärisch in Händen habe." Das ist aber nicht die Art
eines großen Staatsmanns. Nein, für einen Fürsten, der nur einen Notwehr¬
krieg wollte, gab es nach der ersten ausweichenden Antwort kein andres Mittel
als den Krieg. Und diesen Ausweg, der in der Weltgeschichte keineswegs ohne
Beispiel ist, hat Friedrich ergriffen. Für die angebliche Absicht, Sachsen 1756
zu erobern, können also die Anfragen gar nichts beweisen.

Hieran wird aber auch nichts geändert durch Friedrichs Verhalten in
Sachsen nach dem Einmarsch. Er hat wiederholt den Versuch gemacht, sich
mit dem sächsischen Kurfürsten zu verständigen; er hat den Mächten, die er um
Vermittlung anging, die Räumung Sachsens angeboten; er hat seinem eng¬
lischen Verbündeten, der die Eroberung Sachsens als Kurfürst von Hannover
nicht dulden konnte, erklärt, er wolle das Land nicht behalten alles Be¬
mühungen um den Frieden. Die Belagerung Pirnas erklärt sich aus mili¬
tärischen und diplomatischen Gründen. Seine sorgsame Verwaltung des Landes
ist durchaus begreiflich, wenn er es in einem Kriege wirtschaftlich ausnutzen
wollte.

Kaum glaublich erscheint es, daß, wie Lehmann meint, der König die
naive Hoffnung gehegt haben sollte, den Kurfürsten August davon zu über¬
zeugen, daß der Tausch seines Stammlandes mit Böhmen in seinem eignen
Interesse liege. Durch sein Zögern aber ging ihm gerade die kostbare Zeit
verloren, die er -- wenn er wirklich den Krieg der Eroberung halber begann --
auf ganz andre Dinge verwenden mußte. Denn nicht von der guten Gesinnung
der Bewohner, von diplomatischen Verhandlungen mit dem Kurfürsten hing
der Besitz Sachsens ab.

Das Entscheidende bilden bei Lehmann die Eroberungsgelüste, mit denen
sich Friedrich vor wie nach dem Jahre 1756 getragen haben soll, die also
-- so folgert er -- wenn man nicht an ein psychologisches Rätsel glauben
wolle, auch 1756 in dem Augenblick der Abrechnung mit dem Todfeinde auf
seiue Entschließungen Einfluß gehabt haben müssen. Richtig ist. daß Friedrich
an die Eroberung von Polnisch-Preußen, schwedisch-Pommern, Mecklenburg,
Jülich-Berg und namentlich Sachsen wiederholt und ernstlich gedacht, daß er
sie zum Teil seinen Nachfolgern als dringend notwendig empfohlen hat. Ganz


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

sollte —, er war genötigt, den Russen und Österreichern so empfindliche
Niederlagen beizubringen, das; sie, die Preußen vernichten wollten, sich bereit
erklärten, Böhmen abzutreten, daß der Kurfürst August und der König Georg
durch die Macht der preußischen Siege so in Angst versetzt wurden, daß der
eine sein Stammland dahingab, der andre und schließlich die gesamten Reichs-
fürsten ihre Zustimmung zur Vergrößerung Preußens um Sachsen und West¬
preußen gaben — ein Erfolg, wie er wunderbarer nicht auszudenken war.
Nach Lehmann hat der König alle diese notwendigen Erwägungen hintangesetzt
in der Selbsttäuschung, „das werde sich alles finden, wenn er nur erst das
begehrte Sachsen militärisch in Händen habe." Das ist aber nicht die Art
eines großen Staatsmanns. Nein, für einen Fürsten, der nur einen Notwehr¬
krieg wollte, gab es nach der ersten ausweichenden Antwort kein andres Mittel
als den Krieg. Und diesen Ausweg, der in der Weltgeschichte keineswegs ohne
Beispiel ist, hat Friedrich ergriffen. Für die angebliche Absicht, Sachsen 1756
zu erobern, können also die Anfragen gar nichts beweisen.

Hieran wird aber auch nichts geändert durch Friedrichs Verhalten in
Sachsen nach dem Einmarsch. Er hat wiederholt den Versuch gemacht, sich
mit dem sächsischen Kurfürsten zu verständigen; er hat den Mächten, die er um
Vermittlung anging, die Räumung Sachsens angeboten; er hat seinem eng¬
lischen Verbündeten, der die Eroberung Sachsens als Kurfürst von Hannover
nicht dulden konnte, erklärt, er wolle das Land nicht behalten alles Be¬
mühungen um den Frieden. Die Belagerung Pirnas erklärt sich aus mili¬
tärischen und diplomatischen Gründen. Seine sorgsame Verwaltung des Landes
ist durchaus begreiflich, wenn er es in einem Kriege wirtschaftlich ausnutzen
wollte.

Kaum glaublich erscheint es, daß, wie Lehmann meint, der König die
naive Hoffnung gehegt haben sollte, den Kurfürsten August davon zu über¬
zeugen, daß der Tausch seines Stammlandes mit Böhmen in seinem eignen
Interesse liege. Durch sein Zögern aber ging ihm gerade die kostbare Zeit
verloren, die er — wenn er wirklich den Krieg der Eroberung halber begann —
auf ganz andre Dinge verwenden mußte. Denn nicht von der guten Gesinnung
der Bewohner, von diplomatischen Verhandlungen mit dem Kurfürsten hing
der Besitz Sachsens ab.

Das Entscheidende bilden bei Lehmann die Eroberungsgelüste, mit denen
sich Friedrich vor wie nach dem Jahre 1756 getragen haben soll, die also
— so folgert er — wenn man nicht an ein psychologisches Rätsel glauben
wolle, auch 1756 in dem Augenblick der Abrechnung mit dem Todfeinde auf
seiue Entschließungen Einfluß gehabt haben müssen. Richtig ist. daß Friedrich
an die Eroberung von Polnisch-Preußen, schwedisch-Pommern, Mecklenburg,
Jülich-Berg und namentlich Sachsen wiederholt und ernstlich gedacht, daß er
sie zum Teil seinen Nachfolgern als dringend notwendig empfohlen hat. Ganz


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[0072] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges sollte —, er war genötigt, den Russen und Österreichern so empfindliche Niederlagen beizubringen, das; sie, die Preußen vernichten wollten, sich bereit erklärten, Böhmen abzutreten, daß der Kurfürst August und der König Georg durch die Macht der preußischen Siege so in Angst versetzt wurden, daß der eine sein Stammland dahingab, der andre und schließlich die gesamten Reichs- fürsten ihre Zustimmung zur Vergrößerung Preußens um Sachsen und West¬ preußen gaben — ein Erfolg, wie er wunderbarer nicht auszudenken war. Nach Lehmann hat der König alle diese notwendigen Erwägungen hintangesetzt in der Selbsttäuschung, „das werde sich alles finden, wenn er nur erst das begehrte Sachsen militärisch in Händen habe." Das ist aber nicht die Art eines großen Staatsmanns. Nein, für einen Fürsten, der nur einen Notwehr¬ krieg wollte, gab es nach der ersten ausweichenden Antwort kein andres Mittel als den Krieg. Und diesen Ausweg, der in der Weltgeschichte keineswegs ohne Beispiel ist, hat Friedrich ergriffen. Für die angebliche Absicht, Sachsen 1756 zu erobern, können also die Anfragen gar nichts beweisen. Hieran wird aber auch nichts geändert durch Friedrichs Verhalten in Sachsen nach dem Einmarsch. Er hat wiederholt den Versuch gemacht, sich mit dem sächsischen Kurfürsten zu verständigen; er hat den Mächten, die er um Vermittlung anging, die Räumung Sachsens angeboten; er hat seinem eng¬ lischen Verbündeten, der die Eroberung Sachsens als Kurfürst von Hannover nicht dulden konnte, erklärt, er wolle das Land nicht behalten alles Be¬ mühungen um den Frieden. Die Belagerung Pirnas erklärt sich aus mili¬ tärischen und diplomatischen Gründen. Seine sorgsame Verwaltung des Landes ist durchaus begreiflich, wenn er es in einem Kriege wirtschaftlich ausnutzen wollte. Kaum glaublich erscheint es, daß, wie Lehmann meint, der König die naive Hoffnung gehegt haben sollte, den Kurfürsten August davon zu über¬ zeugen, daß der Tausch seines Stammlandes mit Böhmen in seinem eignen Interesse liege. Durch sein Zögern aber ging ihm gerade die kostbare Zeit verloren, die er — wenn er wirklich den Krieg der Eroberung halber begann — auf ganz andre Dinge verwenden mußte. Denn nicht von der guten Gesinnung der Bewohner, von diplomatischen Verhandlungen mit dem Kurfürsten hing der Besitz Sachsens ab. Das Entscheidende bilden bei Lehmann die Eroberungsgelüste, mit denen sich Friedrich vor wie nach dem Jahre 1756 getragen haben soll, die also — so folgert er — wenn man nicht an ein psychologisches Rätsel glauben wolle, auch 1756 in dem Augenblick der Abrechnung mit dem Todfeinde auf seiue Entschließungen Einfluß gehabt haben müssen. Richtig ist. daß Friedrich an die Eroberung von Polnisch-Preußen, schwedisch-Pommern, Mecklenburg, Jülich-Berg und namentlich Sachsen wiederholt und ernstlich gedacht, daß er sie zum Teil seinen Nachfolgern als dringend notwendig empfohlen hat. Ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/72>, abgerufen am 26.11.2024.