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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

Pläne den Engländern als Verteidigung erscheinen zu lassen, im Juli und
August jene drei herausfordernden Anfragen nach Wien gerichtet, die vom mili¬
tärischen Standpunkte aus schlechthin unentschuldbar waren, von denen die zweite
der "Kriegserklärung nahezu gleichkam." Dies Frage- und Antwortspiel lasse sich
nur dadurch erklären, daß sich der König habe Sachsen aneignen wollen. Auch
das ist nicht richtig. Am 3. Juli kam ein Bericht des holländischen Geschäftsträgers
in Petersburg, "dessen sachkundige Depeschen auf dem Berliner Postamt nach
der internationalen Gepflogenheit jener Zeiten regelmäßig durchmustert wurden."
in des Königs Hand, der die überraschende Nachricht brachte, daß die russischen
Rüstungen eingestellt, daß die bereits ausgerückten Truppen auf dem Rück¬
märsche begriffen seien. Friedrich wußte sich diese Mitteilung nur dahin zu
erklären, daß der Friede "vor dies Jahr" noch gerettet sei. Bald darauf aber
kamen Meldungen aus Hannover nud Mecklenburg über umfangreiche Pferde-
cmkäüfe für österreichische Rechnung, Berichte seiner Gesandten und andre
Nachrichten über den Fortgang der österreichischen Rüstungen. Um sich darüber
Gewißheit zu verschaffen, ließ der König "die Leute da unten" in Wien im
Juli und August um Aufklärung bitten, insbesondre aufragen, ob ihm die
Kaiserin die Zusicherung geben wolle, daß sie ihn weder in diesem noch im
nächsten Jahre anzugreifen gedenke, und er hielt bis kurz vor seinem Ein¬
marsch in Sachsen die Befehle zur Umkehr der Truppen bereit, in der Hoff¬
nung, von Osterreich befriedigende Antwort zu erhalten. Eine solche war auch
keineswegs ausgeschlossen. Gewann man doch in Wien dadurch die nötige
Zeit zu den angeblich bisher vernachlässigten Rüstungen und erlangte den
Vorteil, selbst den Zeitpunkt für den Beginn des Krieges zu bestimmen.

Die militärische und finanzielle Unfertigkeit seiner Gegner war -- das
mußte sich doch Friedrich sagen, wenn er, wie Lehmann meint, gerade auf die
Überzeugung von dieser Notlage der Feinde seinen Plan heute -- ganz ge¬
eignet, die Kaiserin zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Und in der That wurde
ihm noch nach der dritten Anfrage gemeldet, die Kaiserin werde seinem Ge¬
sandten eine befriedigende Antwort geben. Die Absicht, eine solche Antwort
zu erteilen, ist auch im Rate der Kaiserin ernsthaft erwogen worden. Hätte
Friedrich trotz einer günstigen Antwort seine Truppe" nicht zurückgezogen, so
hätte er sich selbst vor aller Welt als Friedensbrecher hingestellt. Er be¬
schleunigte also durch die Anfragen in Wien nur die Gefahr, die unvergleichliche
Gelegenheit zum Losschlagen selbst zu vernichten.

Bedeuteten die Anfragen wirklich den Krieg, so war es selbstverständlich,
daß er in einer Weise geführt wurde, die den großen Endzweck, die Er¬
oberung Sachsens, sicherte. Der König war also genötigt, selbst auf die
Gefahr hin, daß die Franzosen noch in diesem Jahre das versprochne
Hilfskorps senden konnten, nicht nur Sachsen zu besetzen, sondern auch
Böhmen zu erobern -- das bekanntlich gegen Sachsen ausgetauscht werden


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

Pläne den Engländern als Verteidigung erscheinen zu lassen, im Juli und
August jene drei herausfordernden Anfragen nach Wien gerichtet, die vom mili¬
tärischen Standpunkte aus schlechthin unentschuldbar waren, von denen die zweite
der „Kriegserklärung nahezu gleichkam." Dies Frage- und Antwortspiel lasse sich
nur dadurch erklären, daß sich der König habe Sachsen aneignen wollen. Auch
das ist nicht richtig. Am 3. Juli kam ein Bericht des holländischen Geschäftsträgers
in Petersburg, „dessen sachkundige Depeschen auf dem Berliner Postamt nach
der internationalen Gepflogenheit jener Zeiten regelmäßig durchmustert wurden."
in des Königs Hand, der die überraschende Nachricht brachte, daß die russischen
Rüstungen eingestellt, daß die bereits ausgerückten Truppen auf dem Rück¬
märsche begriffen seien. Friedrich wußte sich diese Mitteilung nur dahin zu
erklären, daß der Friede „vor dies Jahr" noch gerettet sei. Bald darauf aber
kamen Meldungen aus Hannover nud Mecklenburg über umfangreiche Pferde-
cmkäüfe für österreichische Rechnung, Berichte seiner Gesandten und andre
Nachrichten über den Fortgang der österreichischen Rüstungen. Um sich darüber
Gewißheit zu verschaffen, ließ der König „die Leute da unten" in Wien im
Juli und August um Aufklärung bitten, insbesondre aufragen, ob ihm die
Kaiserin die Zusicherung geben wolle, daß sie ihn weder in diesem noch im
nächsten Jahre anzugreifen gedenke, und er hielt bis kurz vor seinem Ein¬
marsch in Sachsen die Befehle zur Umkehr der Truppen bereit, in der Hoff¬
nung, von Osterreich befriedigende Antwort zu erhalten. Eine solche war auch
keineswegs ausgeschlossen. Gewann man doch in Wien dadurch die nötige
Zeit zu den angeblich bisher vernachlässigten Rüstungen und erlangte den
Vorteil, selbst den Zeitpunkt für den Beginn des Krieges zu bestimmen.

Die militärische und finanzielle Unfertigkeit seiner Gegner war — das
mußte sich doch Friedrich sagen, wenn er, wie Lehmann meint, gerade auf die
Überzeugung von dieser Notlage der Feinde seinen Plan heute — ganz ge¬
eignet, die Kaiserin zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Und in der That wurde
ihm noch nach der dritten Anfrage gemeldet, die Kaiserin werde seinem Ge¬
sandten eine befriedigende Antwort geben. Die Absicht, eine solche Antwort
zu erteilen, ist auch im Rate der Kaiserin ernsthaft erwogen worden. Hätte
Friedrich trotz einer günstigen Antwort seine Truppe» nicht zurückgezogen, so
hätte er sich selbst vor aller Welt als Friedensbrecher hingestellt. Er be¬
schleunigte also durch die Anfragen in Wien nur die Gefahr, die unvergleichliche
Gelegenheit zum Losschlagen selbst zu vernichten.

Bedeuteten die Anfragen wirklich den Krieg, so war es selbstverständlich,
daß er in einer Weise geführt wurde, die den großen Endzweck, die Er¬
oberung Sachsens, sicherte. Der König war also genötigt, selbst auf die
Gefahr hin, daß die Franzosen noch in diesem Jahre das versprochne
Hilfskorps senden konnten, nicht nur Sachsen zu besetzen, sondern auch
Böhmen zu erobern — das bekanntlich gegen Sachsen ausgetauscht werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/71>, abgerufen am 01.09.2024.