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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

abgesehen davon, daß die Nückerwerbung von Westpreußen und Schwedisch-
Pommern auch im deutschen Interesse lag, so würe doch Friedrich nicht der
sorgsame Staatsmann gewesen, der er war, wenn er nicht die Nachteile seines
damaligen Reichs schmerzlich empfunden hätte. Reinste doch n. a. die Grenze
des natürlichen Nebenbuhlers Sachsen sast unmittelbar an seine Hauptstadt
heran und bedrohte, namentlich im Falle eines österreichischen Krieges, die
Sicherheit des Staates. Es war also geradezu der Trieb der Selbsterhaltung
-- wir können heute über diese Dinge um so unbefangner sprechen, als sie
längst der Geschichte angehören --, der Preußen zwang, fortwährend auf Er¬
oberungen bedacht zu sein. In der Staatskunst und Völkerpolitik haben be¬
kanntlich die Gefühle der Großmut, der Ritterlichkeit und der Romantik keine
Geltung. Hier haben nur kluge Benutzung der günstigen Lage und Gelegen¬
heit, praktische Berechnung der realen Verhältnisse und wirksames Eingreifen
mit gewaffneter Hand Geltung und Erfolg. Auch Lehmann steht nicht an,
den König in Bezug auf Sachsen mit seinen eignen Worten als eonciuerg-ut
xin- nsosssitL zu bezeichnen. Die Erkenntnis also von der Notwendigkeit jener
Eroberungen hat Friedrich gehabt; das steht, seitdem das IZxxoss nu Zonver-
nömönt. veröffentlicht ist (1848), fest. Zuzugeben ist auch, daß Friedrich im
Sommer 1756 an die Erwerbung von Westpreußen gedacht hat. Mit aller
Entschiedenheit aber muß bestritten werdeu, daß ein Einfluß dieser Bestrebungen
auf Friedrichs Entschließungen im Sommer 1756 bemerkbar oder nachzu¬
weisen sei.

Lehmann bringt, um seine Behauptung zu beweisen, eine Reihe von Einzel¬
heiten und einige Äußerungen des Königs bei. Er sagt unter anderm, Friedrich
habe schon 1752 und 1753 einen Krieg der Türken gegen Rußland und Öster¬
reich betrieben, 1754 gar die Franzosen zum Angriff auf Hannover und die
Niederlande aufgefordert. Das beweise keine Friedensliebe. Daraus ist zu
erwidern- Der Krieg der Ostmächte gegen die Türken sollte seinem Lande gerade
den Frieden erhalten, und der französische Einfall in Hannover die Russen
von seinen Grenzen fernhalten. Aber auch aus den bei Friedensverhandlungen
zu Tage tretenden Plänen ohne weiteres auf die Ursachen des Krieges zu
schließen, ist verfehlt. Man könnte sonst auch fragen, ob die Eroberung von
Hannover und Elsaß-Lothringen der Zweck der Kriege von 1866 und 1870
gewesen sei. Insbesondre ist die Annahme Lehmanns, daß Friedrich im Herbst
1759, selbst mit Verlust seiner rheinischen Besitzungen und Ostpreußens, Sachsen
habe gewinnen wollen, dnrch Koser und Vallieu mit voller Sicherheit zurück¬
gewiesen worden. Der Fall ist so merkwürdig, daß wir bei ihm einen Augen¬
blick verweilen wollen.

Als im Oktober 1759 der Abfall Frankreichs von dem Dreibünde bevor¬
stand, übersandte der König seinem Gesandten in London einen vanvVÄ8,
den er für den Fall von Friedensverhandlungen seinen Vesprechnnqen mit dem
G


renzboten III 1896
Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

abgesehen davon, daß die Nückerwerbung von Westpreußen und Schwedisch-
Pommern auch im deutschen Interesse lag, so würe doch Friedrich nicht der
sorgsame Staatsmann gewesen, der er war, wenn er nicht die Nachteile seines
damaligen Reichs schmerzlich empfunden hätte. Reinste doch n. a. die Grenze
des natürlichen Nebenbuhlers Sachsen sast unmittelbar an seine Hauptstadt
heran und bedrohte, namentlich im Falle eines österreichischen Krieges, die
Sicherheit des Staates. Es war also geradezu der Trieb der Selbsterhaltung
— wir können heute über diese Dinge um so unbefangner sprechen, als sie
längst der Geschichte angehören —, der Preußen zwang, fortwährend auf Er¬
oberungen bedacht zu sein. In der Staatskunst und Völkerpolitik haben be¬
kanntlich die Gefühle der Großmut, der Ritterlichkeit und der Romantik keine
Geltung. Hier haben nur kluge Benutzung der günstigen Lage und Gelegen¬
heit, praktische Berechnung der realen Verhältnisse und wirksames Eingreifen
mit gewaffneter Hand Geltung und Erfolg. Auch Lehmann steht nicht an,
den König in Bezug auf Sachsen mit seinen eignen Worten als eonciuerg-ut
xin- nsosssitL zu bezeichnen. Die Erkenntnis also von der Notwendigkeit jener
Eroberungen hat Friedrich gehabt; das steht, seitdem das IZxxoss nu Zonver-
nömönt. veröffentlicht ist (1848), fest. Zuzugeben ist auch, daß Friedrich im
Sommer 1756 an die Erwerbung von Westpreußen gedacht hat. Mit aller
Entschiedenheit aber muß bestritten werdeu, daß ein Einfluß dieser Bestrebungen
auf Friedrichs Entschließungen im Sommer 1756 bemerkbar oder nachzu¬
weisen sei.

Lehmann bringt, um seine Behauptung zu beweisen, eine Reihe von Einzel¬
heiten und einige Äußerungen des Königs bei. Er sagt unter anderm, Friedrich
habe schon 1752 und 1753 einen Krieg der Türken gegen Rußland und Öster¬
reich betrieben, 1754 gar die Franzosen zum Angriff auf Hannover und die
Niederlande aufgefordert. Das beweise keine Friedensliebe. Daraus ist zu
erwidern- Der Krieg der Ostmächte gegen die Türken sollte seinem Lande gerade
den Frieden erhalten, und der französische Einfall in Hannover die Russen
von seinen Grenzen fernhalten. Aber auch aus den bei Friedensverhandlungen
zu Tage tretenden Plänen ohne weiteres auf die Ursachen des Krieges zu
schließen, ist verfehlt. Man könnte sonst auch fragen, ob die Eroberung von
Hannover und Elsaß-Lothringen der Zweck der Kriege von 1866 und 1870
gewesen sei. Insbesondre ist die Annahme Lehmanns, daß Friedrich im Herbst
1759, selbst mit Verlust seiner rheinischen Besitzungen und Ostpreußens, Sachsen
habe gewinnen wollen, dnrch Koser und Vallieu mit voller Sicherheit zurück¬
gewiesen worden. Der Fall ist so merkwürdig, daß wir bei ihm einen Augen¬
blick verweilen wollen.

Als im Oktober 1759 der Abfall Frankreichs von dem Dreibünde bevor¬
stand, übersandte der König seinem Gesandten in London einen vanvVÄ8,
den er für den Fall von Friedensverhandlungen seinen Vesprechnnqen mit dem
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renzboten III 1896
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[0073] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges abgesehen davon, daß die Nückerwerbung von Westpreußen und Schwedisch- Pommern auch im deutschen Interesse lag, so würe doch Friedrich nicht der sorgsame Staatsmann gewesen, der er war, wenn er nicht die Nachteile seines damaligen Reichs schmerzlich empfunden hätte. Reinste doch n. a. die Grenze des natürlichen Nebenbuhlers Sachsen sast unmittelbar an seine Hauptstadt heran und bedrohte, namentlich im Falle eines österreichischen Krieges, die Sicherheit des Staates. Es war also geradezu der Trieb der Selbsterhaltung — wir können heute über diese Dinge um so unbefangner sprechen, als sie längst der Geschichte angehören —, der Preußen zwang, fortwährend auf Er¬ oberungen bedacht zu sein. In der Staatskunst und Völkerpolitik haben be¬ kanntlich die Gefühle der Großmut, der Ritterlichkeit und der Romantik keine Geltung. Hier haben nur kluge Benutzung der günstigen Lage und Gelegen¬ heit, praktische Berechnung der realen Verhältnisse und wirksames Eingreifen mit gewaffneter Hand Geltung und Erfolg. Auch Lehmann steht nicht an, den König in Bezug auf Sachsen mit seinen eignen Worten als eonciuerg-ut xin- nsosssitL zu bezeichnen. Die Erkenntnis also von der Notwendigkeit jener Eroberungen hat Friedrich gehabt; das steht, seitdem das IZxxoss nu Zonver- nömönt. veröffentlicht ist (1848), fest. Zuzugeben ist auch, daß Friedrich im Sommer 1756 an die Erwerbung von Westpreußen gedacht hat. Mit aller Entschiedenheit aber muß bestritten werdeu, daß ein Einfluß dieser Bestrebungen auf Friedrichs Entschließungen im Sommer 1756 bemerkbar oder nachzu¬ weisen sei. Lehmann bringt, um seine Behauptung zu beweisen, eine Reihe von Einzel¬ heiten und einige Äußerungen des Königs bei. Er sagt unter anderm, Friedrich habe schon 1752 und 1753 einen Krieg der Türken gegen Rußland und Öster¬ reich betrieben, 1754 gar die Franzosen zum Angriff auf Hannover und die Niederlande aufgefordert. Das beweise keine Friedensliebe. Daraus ist zu erwidern- Der Krieg der Ostmächte gegen die Türken sollte seinem Lande gerade den Frieden erhalten, und der französische Einfall in Hannover die Russen von seinen Grenzen fernhalten. Aber auch aus den bei Friedensverhandlungen zu Tage tretenden Plänen ohne weiteres auf die Ursachen des Krieges zu schließen, ist verfehlt. Man könnte sonst auch fragen, ob die Eroberung von Hannover und Elsaß-Lothringen der Zweck der Kriege von 1866 und 1870 gewesen sei. Insbesondre ist die Annahme Lehmanns, daß Friedrich im Herbst 1759, selbst mit Verlust seiner rheinischen Besitzungen und Ostpreußens, Sachsen habe gewinnen wollen, dnrch Koser und Vallieu mit voller Sicherheit zurück¬ gewiesen worden. Der Fall ist so merkwürdig, daß wir bei ihm einen Augen¬ blick verweilen wollen. Als im Oktober 1759 der Abfall Frankreichs von dem Dreibünde bevor¬ stand, übersandte der König seinem Gesandten in London einen vanvVÄ8, den er für den Fall von Friedensverhandlungen seinen Vesprechnnqen mit dem G renzboten III 1896

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/73>, abgerufen am 27.11.2024.