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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Eine französische Hochschule für Staatswissenschaften

Einige Lehrstühle beruhen auf besondern Stiftungen und tragen dann,
wie es in England seit Jahrhunderten und neuerdings auch in den Vereinigten
Staaten Gebrauch ist, die Namen der Stifter. Die Berufung zum Lehramt
erfolgt auf Lebenszeit oder auf zwanzig Jahre; das Einkommen der Professoren
beträgt für eine wöchentliche Vorlesung 3400 Francs, für zwei wöchentliche
Lehrstunden 5400 Francs jährlich. Da sämtliche Lehrer durch ihren Haupt¬
beruf in Anspruch genommen und hier nur im Nebenamt thätig sind, so kann
die Anzahl der Lehrstunden jedes einzelnen immer nur beschränkt sein; sie pflegt
zwei wöchentliche Vorlesungen oder Übungen nicht zu übersteigen. Im übrigen
entsprechen die Einrichtungen denen unsrer Universitäten.

Auf den Plan der Vorlesungen näher einzugehen ist hier nicht am Platze;
er ergiebt sich aus den Zielen und zeigt natürlich, wie an allen Hochschulen,
jedes Jahr ein etwas andres Bild. Doch sei bemerkt, daß mit Rücksicht aus
die praktischen Ziele der Hochschule die geschichtlichen Übersichten und Ent¬
wicklungen in der Regel von dem Jahre 1739 als dem Beginn der Ent¬
wicklung des heutigen Frankreichs ausgehen; nur ausnahmsweise greifen
die geschichtlichen Vorlesungen weiter zurück. Es entspricht das ganz dein
praktischen, mehr auf die Dinge der Gegenwart als auf ihr Gewordensein ge¬
richteten Sinn der Franzosen.

Damit dürfte das Bild der freien Hochschule für Staatswissenschaften
in der stillen Rue Saint-Guillaume zu Paris in den Hauptzügen gegeben
sein. Es bleibt noch übrig, einen Blick auf die Erfolge der Anstalt zu werfen.
Einige Andeutungen sind schon zu Anfang gegeben worden. Die Hochschule ist
heute, nach fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens, finanziell als private,
unabhängige Anstalt gesichert, erfreut sich eines festen, in der Praxis bereits
erprobten Gefüges und einer beträchtlichen Schar von Studenten. Die Sta¬
tistik zeigt auch, daß die Zöglinge ihre Ziele erreichen. Anfangs gänzlich
unbekannt, liefert die Hochschule seit 1877 den einschlägigen Behörden den
größten Teil ihres Bedarfs an jungen Kräften, der Finanzinspektion seit 1880,
dem Rechnungshof seit 1890 ganz ausschließlich. Im Stantsrat sind seit
1890 von sechzehn eintretenden Hilfsarbeitern vierzehn, im Ministerium des
Äußern neunundzwanzig von einunddreißig aus ihr hervorgegangen. Diese
Zahlen zeigen, daß die Anstalt ihr engeres Gebiet sozusagen beherrscht. Die
schon erwähnte Anerkennung ihres Zeugnisses, das auf einer ohne alle Kon¬
trolle der staatlichen Organe vor sich gehenden Prüfung beruht, beweist auch,
daß sich die aus der Rue Saint-Guillaume hervorgegangnen jungen Männer
in der Praxis bewährt haben. Auch von den jüngern Parlamentariern ist
ein nicht geringer Teil durch die staatswissenschaftliche Hochschule gegangen,
darunter der Vizepräsident der Kammer Deschanel, ferner vier Mitglieder des
letzten Ministeriums, neben dem schon genannten Lebon noch Barthou, Turrel
und Cochery. . . . ^ -


Eine französische Hochschule für Staatswissenschaften

Einige Lehrstühle beruhen auf besondern Stiftungen und tragen dann,
wie es in England seit Jahrhunderten und neuerdings auch in den Vereinigten
Staaten Gebrauch ist, die Namen der Stifter. Die Berufung zum Lehramt
erfolgt auf Lebenszeit oder auf zwanzig Jahre; das Einkommen der Professoren
beträgt für eine wöchentliche Vorlesung 3400 Francs, für zwei wöchentliche
Lehrstunden 5400 Francs jährlich. Da sämtliche Lehrer durch ihren Haupt¬
beruf in Anspruch genommen und hier nur im Nebenamt thätig sind, so kann
die Anzahl der Lehrstunden jedes einzelnen immer nur beschränkt sein; sie pflegt
zwei wöchentliche Vorlesungen oder Übungen nicht zu übersteigen. Im übrigen
entsprechen die Einrichtungen denen unsrer Universitäten.

Auf den Plan der Vorlesungen näher einzugehen ist hier nicht am Platze;
er ergiebt sich aus den Zielen und zeigt natürlich, wie an allen Hochschulen,
jedes Jahr ein etwas andres Bild. Doch sei bemerkt, daß mit Rücksicht aus
die praktischen Ziele der Hochschule die geschichtlichen Übersichten und Ent¬
wicklungen in der Regel von dem Jahre 1739 als dem Beginn der Ent¬
wicklung des heutigen Frankreichs ausgehen; nur ausnahmsweise greifen
die geschichtlichen Vorlesungen weiter zurück. Es entspricht das ganz dein
praktischen, mehr auf die Dinge der Gegenwart als auf ihr Gewordensein ge¬
richteten Sinn der Franzosen.

Damit dürfte das Bild der freien Hochschule für Staatswissenschaften
in der stillen Rue Saint-Guillaume zu Paris in den Hauptzügen gegeben
sein. Es bleibt noch übrig, einen Blick auf die Erfolge der Anstalt zu werfen.
Einige Andeutungen sind schon zu Anfang gegeben worden. Die Hochschule ist
heute, nach fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens, finanziell als private,
unabhängige Anstalt gesichert, erfreut sich eines festen, in der Praxis bereits
erprobten Gefüges und einer beträchtlichen Schar von Studenten. Die Sta¬
tistik zeigt auch, daß die Zöglinge ihre Ziele erreichen. Anfangs gänzlich
unbekannt, liefert die Hochschule seit 1877 den einschlägigen Behörden den
größten Teil ihres Bedarfs an jungen Kräften, der Finanzinspektion seit 1880,
dem Rechnungshof seit 1890 ganz ausschließlich. Im Stantsrat sind seit
1890 von sechzehn eintretenden Hilfsarbeitern vierzehn, im Ministerium des
Äußern neunundzwanzig von einunddreißig aus ihr hervorgegangen. Diese
Zahlen zeigen, daß die Anstalt ihr engeres Gebiet sozusagen beherrscht. Die
schon erwähnte Anerkennung ihres Zeugnisses, das auf einer ohne alle Kon¬
trolle der staatlichen Organe vor sich gehenden Prüfung beruht, beweist auch,
daß sich die aus der Rue Saint-Guillaume hervorgegangnen jungen Männer
in der Praxis bewährt haben. Auch von den jüngern Parlamentariern ist
ein nicht geringer Teil durch die staatswissenschaftliche Hochschule gegangen,
darunter der Vizepräsident der Kammer Deschanel, ferner vier Mitglieder des
letzten Ministeriums, neben dem schon genannten Lebon noch Barthou, Turrel
und Cochery. . . . ^ -


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[0612] Eine französische Hochschule für Staatswissenschaften Einige Lehrstühle beruhen auf besondern Stiftungen und tragen dann, wie es in England seit Jahrhunderten und neuerdings auch in den Vereinigten Staaten Gebrauch ist, die Namen der Stifter. Die Berufung zum Lehramt erfolgt auf Lebenszeit oder auf zwanzig Jahre; das Einkommen der Professoren beträgt für eine wöchentliche Vorlesung 3400 Francs, für zwei wöchentliche Lehrstunden 5400 Francs jährlich. Da sämtliche Lehrer durch ihren Haupt¬ beruf in Anspruch genommen und hier nur im Nebenamt thätig sind, so kann die Anzahl der Lehrstunden jedes einzelnen immer nur beschränkt sein; sie pflegt zwei wöchentliche Vorlesungen oder Übungen nicht zu übersteigen. Im übrigen entsprechen die Einrichtungen denen unsrer Universitäten. Auf den Plan der Vorlesungen näher einzugehen ist hier nicht am Platze; er ergiebt sich aus den Zielen und zeigt natürlich, wie an allen Hochschulen, jedes Jahr ein etwas andres Bild. Doch sei bemerkt, daß mit Rücksicht aus die praktischen Ziele der Hochschule die geschichtlichen Übersichten und Ent¬ wicklungen in der Regel von dem Jahre 1739 als dem Beginn der Ent¬ wicklung des heutigen Frankreichs ausgehen; nur ausnahmsweise greifen die geschichtlichen Vorlesungen weiter zurück. Es entspricht das ganz dein praktischen, mehr auf die Dinge der Gegenwart als auf ihr Gewordensein ge¬ richteten Sinn der Franzosen. Damit dürfte das Bild der freien Hochschule für Staatswissenschaften in der stillen Rue Saint-Guillaume zu Paris in den Hauptzügen gegeben sein. Es bleibt noch übrig, einen Blick auf die Erfolge der Anstalt zu werfen. Einige Andeutungen sind schon zu Anfang gegeben worden. Die Hochschule ist heute, nach fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens, finanziell als private, unabhängige Anstalt gesichert, erfreut sich eines festen, in der Praxis bereits erprobten Gefüges und einer beträchtlichen Schar von Studenten. Die Sta¬ tistik zeigt auch, daß die Zöglinge ihre Ziele erreichen. Anfangs gänzlich unbekannt, liefert die Hochschule seit 1877 den einschlägigen Behörden den größten Teil ihres Bedarfs an jungen Kräften, der Finanzinspektion seit 1880, dem Rechnungshof seit 1890 ganz ausschließlich. Im Stantsrat sind seit 1890 von sechzehn eintretenden Hilfsarbeitern vierzehn, im Ministerium des Äußern neunundzwanzig von einunddreißig aus ihr hervorgegangen. Diese Zahlen zeigen, daß die Anstalt ihr engeres Gebiet sozusagen beherrscht. Die schon erwähnte Anerkennung ihres Zeugnisses, das auf einer ohne alle Kon¬ trolle der staatlichen Organe vor sich gehenden Prüfung beruht, beweist auch, daß sich die aus der Rue Saint-Guillaume hervorgegangnen jungen Männer in der Praxis bewährt haben. Auch von den jüngern Parlamentariern ist ein nicht geringer Teil durch die staatswissenschaftliche Hochschule gegangen, darunter der Vizepräsident der Kammer Deschanel, ferner vier Mitglieder des letzten Ministeriums, neben dem schon genannten Lebon noch Barthou, Turrel und Cochery. . . . ^ -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/612>, abgerufen am 29.07.2024.