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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

in vornehmen Kreisen das Ansetzn eines Berufes, der ihnen nicht mehr
die gleichen Aussichten auf Beförderung gewährt, herabgegangen sein mag.
Die Achtung, die das Volk dem Richter entgegenbringt, hat mit dem
Glänze seiner Geburt, mit seiner vornehmen Erscheinung, seinen gewandten
gesellschaftlichen Formen nichts oder fast nichts zu schaffen, sie beruht haupt¬
sächlich auf seiner unbestechlichen Überzeugungstreue und Vorurteilslosigkeit.
Diese beiden Eigenschaftan zeichnen aber unsern Richterstand in einem so hohen
Maße ans, daß man Unrecht thut, ihn aus kleinlichen Gründen vor der
Nation, die stolz auf ihn ist und stolz auf ihn zu sein Ursache hat, herabzu¬
setzen. Ganz anders fällt das Urteil aus, wenn nicht das gesellschaftliche
Ansehen des Richterstandes, nicht sein guter Wille, sondern seine wissenschaft¬
liche Befähigung und seine Leistungen in Betracht gezogen werden. Da mag
eine herbe Kritik noch viel zu milde sein, solchen Übelstande würde doch aber
sicherlich auch durch die vornehmsten verwandtschaftlichen Beziehungen der
Richter nicht im geringsten abgeholfen. Es muß wenigstens der Schein ge¬
wahrt werden, daß der Richterstand keiner besonders bevorzugten Gesellschafts¬
klasse angehört, indem jedem, der seine Prüfungen besteht und keine sittlichen
Gebrechen hat. das Richtcrcimt offensteht. Dies ist bei keinem andern Berufe
von solchen politischer Wichtigkeit wie bei dem des Richters. da sonst der
Rechtsprechung, und namentlich der nicht befriedigenden, das unerträgliche Ge¬
präge der Klassenjustiz aufgedrückt werden wird. Man verschließe sich doch
nicht, auch nicht auf ministerieller Seite, dem Zwange der logischen Folge¬
rungen. Entweder ist die allgemein verbreitete Unzufriedenheit überhaupt un¬
berechtigt, oder sie geht viel tiefer, als daß ihr mit dem kleinen Mittel der
Hebung des äußerlichen Ansehens des Richterstandes abgeholfen werden könnte.
Es ist ein sehr erklärliches, aber ganz vergebliches Bemühe" der Spitzen der
Justizverwaltung, die Schuld an der bestehenden Unzufriedenheit auf die untern
Instanzen abwälzen zu wollen. Die öffentliche Kritik richtet sich doch gerade
vorzugsweise gegen die Urteile des Reichsgerichts und Kammergerichts und
gegen die bei der Leitung der Verhandlungen von Schwurgerichten und Straf¬
kammern hervortretenden Persönlichkeiten, also nicht gegen die ohne besondre
Auswahl in den Richterstand aufgenommnen Männer, sondern gerade gegen
die zu hervorragenden Stellungen erwählten. Man wird gewiß ant thun, in
erster Linie nicht die Personen, sondern die Gesetze sür die hervorgetrctnen
Mängel verantwortlich zu machen, aber dann wird man doch noch einen Schritt
weiter gehen müssen. Als leitende Grundsätze für die zunächst erstrebenswerten
Ziele müssen sich ergeben: die Hebung des Verantwortlichkeitsgefühls des
gelehrten und Laienrichters vor sich selbst und vor der öffentlichen Meinung
und die Schulung dieser Meinung zu einer maßgebenden Mitwirkung in unserm
gesamten Rechtsleben. Sind unsre Gesetze so grundsatzlos und widerspruchs¬
voll, wie es an Beispielen aus unserm Strafverfahren zu zeigen versucht


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

in vornehmen Kreisen das Ansetzn eines Berufes, der ihnen nicht mehr
die gleichen Aussichten auf Beförderung gewährt, herabgegangen sein mag.
Die Achtung, die das Volk dem Richter entgegenbringt, hat mit dem
Glänze seiner Geburt, mit seiner vornehmen Erscheinung, seinen gewandten
gesellschaftlichen Formen nichts oder fast nichts zu schaffen, sie beruht haupt¬
sächlich auf seiner unbestechlichen Überzeugungstreue und Vorurteilslosigkeit.
Diese beiden Eigenschaftan zeichnen aber unsern Richterstand in einem so hohen
Maße ans, daß man Unrecht thut, ihn aus kleinlichen Gründen vor der
Nation, die stolz auf ihn ist und stolz auf ihn zu sein Ursache hat, herabzu¬
setzen. Ganz anders fällt das Urteil aus, wenn nicht das gesellschaftliche
Ansehen des Richterstandes, nicht sein guter Wille, sondern seine wissenschaft¬
liche Befähigung und seine Leistungen in Betracht gezogen werden. Da mag
eine herbe Kritik noch viel zu milde sein, solchen Übelstande würde doch aber
sicherlich auch durch die vornehmsten verwandtschaftlichen Beziehungen der
Richter nicht im geringsten abgeholfen. Es muß wenigstens der Schein ge¬
wahrt werden, daß der Richterstand keiner besonders bevorzugten Gesellschafts¬
klasse angehört, indem jedem, der seine Prüfungen besteht und keine sittlichen
Gebrechen hat. das Richtcrcimt offensteht. Dies ist bei keinem andern Berufe
von solchen politischer Wichtigkeit wie bei dem des Richters. da sonst der
Rechtsprechung, und namentlich der nicht befriedigenden, das unerträgliche Ge¬
präge der Klassenjustiz aufgedrückt werden wird. Man verschließe sich doch
nicht, auch nicht auf ministerieller Seite, dem Zwange der logischen Folge¬
rungen. Entweder ist die allgemein verbreitete Unzufriedenheit überhaupt un¬
berechtigt, oder sie geht viel tiefer, als daß ihr mit dem kleinen Mittel der
Hebung des äußerlichen Ansehens des Richterstandes abgeholfen werden könnte.
Es ist ein sehr erklärliches, aber ganz vergebliches Bemühe» der Spitzen der
Justizverwaltung, die Schuld an der bestehenden Unzufriedenheit auf die untern
Instanzen abwälzen zu wollen. Die öffentliche Kritik richtet sich doch gerade
vorzugsweise gegen die Urteile des Reichsgerichts und Kammergerichts und
gegen die bei der Leitung der Verhandlungen von Schwurgerichten und Straf¬
kammern hervortretenden Persönlichkeiten, also nicht gegen die ohne besondre
Auswahl in den Richterstand aufgenommnen Männer, sondern gerade gegen
die zu hervorragenden Stellungen erwählten. Man wird gewiß ant thun, in
erster Linie nicht die Personen, sondern die Gesetze sür die hervorgetrctnen
Mängel verantwortlich zu machen, aber dann wird man doch noch einen Schritt
weiter gehen müssen. Als leitende Grundsätze für die zunächst erstrebenswerten
Ziele müssen sich ergeben: die Hebung des Verantwortlichkeitsgefühls des
gelehrten und Laienrichters vor sich selbst und vor der öffentlichen Meinung
und die Schulung dieser Meinung zu einer maßgebenden Mitwirkung in unserm
gesamten Rechtsleben. Sind unsre Gesetze so grundsatzlos und widerspruchs¬
voll, wie es an Beispielen aus unserm Strafverfahren zu zeigen versucht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/595>, abgerufen am 27.11.2024.