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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

Überzeugung von der Notwendigkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung. Statt
dieser folgt eine innige Waffenbrüderschaft in Schleswig-Holstein, dann kommt die
Auseinandersetzung, und dann die ungetrübte Bundesgenossenschaft. Virchow
glaubte die Politik Vismarcks mit den Worten abthun zu können, daß dieser auf
dem Staatsschiff die Segel nach dem Winde spanne. Bismarck nahm den Vorwurf
auf und erwiderte, wie er denn anders fahren solle? Aber so dankbar wir auch
dein Schicksal sein müssen, daß sich Bismarck nicht von festen Grundsätzen leiten
ließ, so werden wir doch zugeben müssen, daß auch in der Politik die Grundsatz-
losigkeit ein schlechtes Erbe ist, wenn sie sich nicht mit der unvergleichlichen Meister¬
schaft des eisernen Kanzlers zu paaren versteht. Vollends unentbehrlich sind aber
die leitenden Grundsätze im Rechtsleben, nicht nur für den Inhalt der Gesetze,
sondern auch für die Einrichtungen der Rechtspflege. Mau muß sich mit kühnem
Mute dem dunkeln Drang entwinden, um die Grenze des Erkennens zu erreichen;
dann weiß man, was man will, und was sich erreichen läßt, dann kann jede Arbeit
auch zum Fortschritt führen. Man muß wissen, was man von einem Recht fordert,
was es leisten kann, ob man Laien- oder Gelehrtenrecht sucht, ob Laien- oder Ge-
lehrtensprnch vorzuziehen sei. Hat man leitende Grundsätze für die besten Bürg¬
schaften einer befriedigenden Rechtsprechung, so wird man es much in der Einrichtung
der Rechtspflege zu einer gewissen Einheitlichkeit und Stetigkeit bringen können.

Mit großer Begeisterung hat das deutsche Volk einem neuen bürgerlichen
Gesetzbuch entgegengesehen. Das Wort: Gleiches Recht für jeden Deutschen!
gewann einen neuen und volkstümlichen Sinn, dessen Anziehungskraft felbst
Partikularisten nicht zu widerstehen vermochten. Auch der Jurist sah mit
Sehnsucht einer Zeit entgegen, wo er aufhörte in seinem eignen Vaterlande
ein einer oft sehr nahe gelegnen Grenze ein Fremder im Recht zu sein. Trotz
dieser Sehnsucht und obgleich man sich an leitender Stelle die größte Mühe
gab, die Kritik möglichst fernzuhalten, wurde der erste Entwurf als unbrauchbar
Zurückgewiesen. Das ist keine harmlose Erscheinung, sie läßt vermuten, daß
nicht die richtigen Kräfte zur Ausarbeitung des Entwurfs gewählt worden
waren, mithin unsre Justizverwaltung nicht auf gleicher Höhe stand wie die
des Kriegswesens, die stets den richtigen Mann an die richtige Stelle zu setzen
weiß. Wenn jetzt das Gesetzbuch angenommen worden ist, so können wir uns
nicht verhehlen, daß an die Stelle der Begeisterung eine allgemeine Ernüchterung
getreten ist. Die Hast, mit der die Annahme beschlossen wurde, läßt deutlich
"kennen, daß man sich vor seiner eignen Kritik fürchtete, man wollte sich mit
dem Sperling in der Hand begnügen, weil man das Zutrauen zu sich selber
verloren hatte, einen Habicht zu erjagen. Woher kommt diese Hoffnungslosig¬
keit und dieser niederdrückende Verzicht? Das Bessere ist der Feind des Guten,
das Vollkommne ist aber der Feind jedes thatkräftigen Schaffens. So schwärme¬
risch sind wir doch nicht mehr angelegt, daß wir den Himmel stürmen wollten.
Allerdings ist vereinzelt von dem bürgerlichen Gesetzbuch gewünscht worden,


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

Überzeugung von der Notwendigkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung. Statt
dieser folgt eine innige Waffenbrüderschaft in Schleswig-Holstein, dann kommt die
Auseinandersetzung, und dann die ungetrübte Bundesgenossenschaft. Virchow
glaubte die Politik Vismarcks mit den Worten abthun zu können, daß dieser auf
dem Staatsschiff die Segel nach dem Winde spanne. Bismarck nahm den Vorwurf
auf und erwiderte, wie er denn anders fahren solle? Aber so dankbar wir auch
dein Schicksal sein müssen, daß sich Bismarck nicht von festen Grundsätzen leiten
ließ, so werden wir doch zugeben müssen, daß auch in der Politik die Grundsatz-
losigkeit ein schlechtes Erbe ist, wenn sie sich nicht mit der unvergleichlichen Meister¬
schaft des eisernen Kanzlers zu paaren versteht. Vollends unentbehrlich sind aber
die leitenden Grundsätze im Rechtsleben, nicht nur für den Inhalt der Gesetze,
sondern auch für die Einrichtungen der Rechtspflege. Mau muß sich mit kühnem
Mute dem dunkeln Drang entwinden, um die Grenze des Erkennens zu erreichen;
dann weiß man, was man will, und was sich erreichen läßt, dann kann jede Arbeit
auch zum Fortschritt führen. Man muß wissen, was man von einem Recht fordert,
was es leisten kann, ob man Laien- oder Gelehrtenrecht sucht, ob Laien- oder Ge-
lehrtensprnch vorzuziehen sei. Hat man leitende Grundsätze für die besten Bürg¬
schaften einer befriedigenden Rechtsprechung, so wird man es much in der Einrichtung
der Rechtspflege zu einer gewissen Einheitlichkeit und Stetigkeit bringen können.

Mit großer Begeisterung hat das deutsche Volk einem neuen bürgerlichen
Gesetzbuch entgegengesehen. Das Wort: Gleiches Recht für jeden Deutschen!
gewann einen neuen und volkstümlichen Sinn, dessen Anziehungskraft felbst
Partikularisten nicht zu widerstehen vermochten. Auch der Jurist sah mit
Sehnsucht einer Zeit entgegen, wo er aufhörte in seinem eignen Vaterlande
ein einer oft sehr nahe gelegnen Grenze ein Fremder im Recht zu sein. Trotz
dieser Sehnsucht und obgleich man sich an leitender Stelle die größte Mühe
gab, die Kritik möglichst fernzuhalten, wurde der erste Entwurf als unbrauchbar
Zurückgewiesen. Das ist keine harmlose Erscheinung, sie läßt vermuten, daß
nicht die richtigen Kräfte zur Ausarbeitung des Entwurfs gewählt worden
waren, mithin unsre Justizverwaltung nicht auf gleicher Höhe stand wie die
des Kriegswesens, die stets den richtigen Mann an die richtige Stelle zu setzen
weiß. Wenn jetzt das Gesetzbuch angenommen worden ist, so können wir uns
nicht verhehlen, daß an die Stelle der Begeisterung eine allgemeine Ernüchterung
getreten ist. Die Hast, mit der die Annahme beschlossen wurde, läßt deutlich
»kennen, daß man sich vor seiner eignen Kritik fürchtete, man wollte sich mit
dem Sperling in der Hand begnügen, weil man das Zutrauen zu sich selber
verloren hatte, einen Habicht zu erjagen. Woher kommt diese Hoffnungslosig¬
keit und dieser niederdrückende Verzicht? Das Bessere ist der Feind des Guten,
das Vollkommne ist aber der Feind jedes thatkräftigen Schaffens. So schwärme¬
risch sind wir doch nicht mehr angelegt, daß wir den Himmel stürmen wollten.
Allerdings ist vereinzelt von dem bürgerlichen Gesetzbuch gewünscht worden,


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[0587] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg Überzeugung von der Notwendigkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung. Statt dieser folgt eine innige Waffenbrüderschaft in Schleswig-Holstein, dann kommt die Auseinandersetzung, und dann die ungetrübte Bundesgenossenschaft. Virchow glaubte die Politik Vismarcks mit den Worten abthun zu können, daß dieser auf dem Staatsschiff die Segel nach dem Winde spanne. Bismarck nahm den Vorwurf auf und erwiderte, wie er denn anders fahren solle? Aber so dankbar wir auch dein Schicksal sein müssen, daß sich Bismarck nicht von festen Grundsätzen leiten ließ, so werden wir doch zugeben müssen, daß auch in der Politik die Grundsatz- losigkeit ein schlechtes Erbe ist, wenn sie sich nicht mit der unvergleichlichen Meister¬ schaft des eisernen Kanzlers zu paaren versteht. Vollends unentbehrlich sind aber die leitenden Grundsätze im Rechtsleben, nicht nur für den Inhalt der Gesetze, sondern auch für die Einrichtungen der Rechtspflege. Mau muß sich mit kühnem Mute dem dunkeln Drang entwinden, um die Grenze des Erkennens zu erreichen; dann weiß man, was man will, und was sich erreichen läßt, dann kann jede Arbeit auch zum Fortschritt führen. Man muß wissen, was man von einem Recht fordert, was es leisten kann, ob man Laien- oder Gelehrtenrecht sucht, ob Laien- oder Ge- lehrtensprnch vorzuziehen sei. Hat man leitende Grundsätze für die besten Bürg¬ schaften einer befriedigenden Rechtsprechung, so wird man es much in der Einrichtung der Rechtspflege zu einer gewissen Einheitlichkeit und Stetigkeit bringen können. Mit großer Begeisterung hat das deutsche Volk einem neuen bürgerlichen Gesetzbuch entgegengesehen. Das Wort: Gleiches Recht für jeden Deutschen! gewann einen neuen und volkstümlichen Sinn, dessen Anziehungskraft felbst Partikularisten nicht zu widerstehen vermochten. Auch der Jurist sah mit Sehnsucht einer Zeit entgegen, wo er aufhörte in seinem eignen Vaterlande ein einer oft sehr nahe gelegnen Grenze ein Fremder im Recht zu sein. Trotz dieser Sehnsucht und obgleich man sich an leitender Stelle die größte Mühe gab, die Kritik möglichst fernzuhalten, wurde der erste Entwurf als unbrauchbar Zurückgewiesen. Das ist keine harmlose Erscheinung, sie läßt vermuten, daß nicht die richtigen Kräfte zur Ausarbeitung des Entwurfs gewählt worden waren, mithin unsre Justizverwaltung nicht auf gleicher Höhe stand wie die des Kriegswesens, die stets den richtigen Mann an die richtige Stelle zu setzen weiß. Wenn jetzt das Gesetzbuch angenommen worden ist, so können wir uns nicht verhehlen, daß an die Stelle der Begeisterung eine allgemeine Ernüchterung getreten ist. Die Hast, mit der die Annahme beschlossen wurde, läßt deutlich »kennen, daß man sich vor seiner eignen Kritik fürchtete, man wollte sich mit dem Sperling in der Hand begnügen, weil man das Zutrauen zu sich selber verloren hatte, einen Habicht zu erjagen. Woher kommt diese Hoffnungslosig¬ keit und dieser niederdrückende Verzicht? Das Bessere ist der Feind des Guten, das Vollkommne ist aber der Feind jedes thatkräftigen Schaffens. So schwärme¬ risch sind wir doch nicht mehr angelegt, daß wir den Himmel stürmen wollten. Allerdings ist vereinzelt von dem bürgerlichen Gesetzbuch gewünscht worden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/587>, abgerufen am 28.11.2024.