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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Charlotte als Philosoph!"

aussprach. Aber eine Gelehrte, wie ihr "Patgen," die "Königin in Preußen,"
Sophiens Tochter und Leibnizens Freundin, war sie nicht. Wir müssen woll
von Bagatellen reden, schreibt sie einmal an Luise, "Staatssachen weiß ich
wahrlich nicht, Philosophie verstehe ich nicht und noch weniger die Theologie,
also muß man ja woll mit mir reden, worauf ich antworten kan." Ihre
eignen und der Verwandte" persönliche und häusliche Angelegenheiten und Hof¬
klatsch machen denn auch den Hauptinhalt ihrer Briefe aus. Sie studirte
nicht eigentlich, las überhaupt nicht gar viel -- außer der Bibel meistens nur
Unterhaltungsschriften -- und schrieb viel lieber, als daß sie las, weil ihr
lebhafter und mitteilsamer Geist der Unterhaltung bedürfte. Der Briefwechsel
ersetzte ihr die Unterhaltung mit Freunden, deren sie am Hofe sehr wenig
hatte; Unterhaltung mit Personen, die ihr gleichgiltig waren, oder die sie haßte,
bereitete ihr mehr Pein als Genuß. Alle Bücher über Religion, auch alle
Andachtsbücher fand sie fad und langweilig, wie sie denn auch in jeder Predigt
mit dem Schlafe zu kämpfen hatte, selbst wenn sie einer jener großen Kanzel¬
redner hielt, die Weltruf habe", und von denen sie selbst gestand, daß sie ganz
rüsonabel seien und nichts ridikulles sagten. Dabei war sie nichts weniger
als eine Schlafmütze; wenn es ihr im höhern Lebensalter einmal begegnete,
daß sie nach einem Spaziergang in großer Hitze ein wenig einnickte, schämte
sie sich. Die einzige theologische Angelegenheit, die sie aufmerksam verfolgte,
war der Streit zwischen Bossuet und Mu6lon wegen des Quietismus. Be¬
kanntlich lehrte Frau Guhv", daß man Gott ohne alles Interesse lieben, sich
in die Liebe Gottes versenken ""d ihn walten lassen müsse, ohne irgend etwas
zu thun, wofür sie in die Bastille gesperrt wurde. Fvuvlon billigte zwar nicht
den Quietismus, wohl aber die Auffassung der uneigennützige" Gottesliebe in
den Schriften der exaltirten Dame, und entwickelte seine eigne Ansicht darüber
in den Uaxlinös et<zö Laints. Dieses Buch benutzten seine Gegner, an deren
Spitze Bossuet stand, die Verba""ung des Prinzenerziehers vom Hofe in seine
Diözese zu bewirken und setzten schließlich die Verdammung der "Ketzereien"
Mnvlons in Rom durch. Am 17. Juli 1698 schreibt Charlotte an die Tante:
"Ich glaube, daß die Erfüllung der Gnaden von Mad. Gujon E. L. wird
lachen machen, es ist viel pvssirlicher, Mons. de Meaux ^Vossuet) diese Historien
verzehlen zu hören, als das Buch zu leßeu ^welches von den Büchern der
Guhon gemeint ist, läßt sich nicht erkennen^. Er hat mich zu Marly im
Spazierengehen recht divertirt, mir kompt Mad. Guhon wie eine rechte Nürin
vor, ich bin woll E. L. Meinung, daß man wenig Leütte find, so einerlei
Opinivn haben, wie ich in Frankreich komme, machte man mich mit vielten
Vischosfen und Erzbischöffe" sprechen, umb, wie man sagte, meinen katholischen
Glauben zu sterken, allein ich hatte Mühe, zu sehen, wo der katholische Glauben
war, in s'cmizrg.1 brachte man die Sach zwar gleich vor, in der Auslegung
aber war kein einziger, der die Sach wie der andere glaubte, daß machte mich


Elisabeth Charlotte als Philosoph!»

aussprach. Aber eine Gelehrte, wie ihr „Patgen," die „Königin in Preußen,"
Sophiens Tochter und Leibnizens Freundin, war sie nicht. Wir müssen woll
von Bagatellen reden, schreibt sie einmal an Luise, „Staatssachen weiß ich
wahrlich nicht, Philosophie verstehe ich nicht und noch weniger die Theologie,
also muß man ja woll mit mir reden, worauf ich antworten kan." Ihre
eignen und der Verwandte» persönliche und häusliche Angelegenheiten und Hof¬
klatsch machen denn auch den Hauptinhalt ihrer Briefe aus. Sie studirte
nicht eigentlich, las überhaupt nicht gar viel — außer der Bibel meistens nur
Unterhaltungsschriften — und schrieb viel lieber, als daß sie las, weil ihr
lebhafter und mitteilsamer Geist der Unterhaltung bedürfte. Der Briefwechsel
ersetzte ihr die Unterhaltung mit Freunden, deren sie am Hofe sehr wenig
hatte; Unterhaltung mit Personen, die ihr gleichgiltig waren, oder die sie haßte,
bereitete ihr mehr Pein als Genuß. Alle Bücher über Religion, auch alle
Andachtsbücher fand sie fad und langweilig, wie sie denn auch in jeder Predigt
mit dem Schlafe zu kämpfen hatte, selbst wenn sie einer jener großen Kanzel¬
redner hielt, die Weltruf habe», und von denen sie selbst gestand, daß sie ganz
rüsonabel seien und nichts ridikulles sagten. Dabei war sie nichts weniger
als eine Schlafmütze; wenn es ihr im höhern Lebensalter einmal begegnete,
daß sie nach einem Spaziergang in großer Hitze ein wenig einnickte, schämte
sie sich. Die einzige theologische Angelegenheit, die sie aufmerksam verfolgte,
war der Streit zwischen Bossuet und Mu6lon wegen des Quietismus. Be¬
kanntlich lehrte Frau Guhv», daß man Gott ohne alles Interesse lieben, sich
in die Liebe Gottes versenken »»d ihn walten lassen müsse, ohne irgend etwas
zu thun, wofür sie in die Bastille gesperrt wurde. Fvuvlon billigte zwar nicht
den Quietismus, wohl aber die Auffassung der uneigennützige» Gottesliebe in
den Schriften der exaltirten Dame, und entwickelte seine eigne Ansicht darüber
in den Uaxlinös et<zö Laints. Dieses Buch benutzten seine Gegner, an deren
Spitze Bossuet stand, die Verba»»ung des Prinzenerziehers vom Hofe in seine
Diözese zu bewirken und setzten schließlich die Verdammung der „Ketzereien"
Mnvlons in Rom durch. Am 17. Juli 1698 schreibt Charlotte an die Tante:
„Ich glaube, daß die Erfüllung der Gnaden von Mad. Gujon E. L. wird
lachen machen, es ist viel pvssirlicher, Mons. de Meaux ^Vossuet) diese Historien
verzehlen zu hören, als das Buch zu leßeu ^welches von den Büchern der
Guhon gemeint ist, läßt sich nicht erkennen^. Er hat mich zu Marly im
Spazierengehen recht divertirt, mir kompt Mad. Guhon wie eine rechte Nürin
vor, ich bin woll E. L. Meinung, daß man wenig Leütte find, so einerlei
Opinivn haben, wie ich in Frankreich komme, machte man mich mit vielten
Vischosfen und Erzbischöffe» sprechen, umb, wie man sagte, meinen katholischen
Glauben zu sterken, allein ich hatte Mühe, zu sehen, wo der katholische Glauben
war, in s'cmizrg.1 brachte man die Sach zwar gleich vor, in der Auslegung
aber war kein einziger, der die Sach wie der andere glaubte, daß machte mich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/562>, abgerufen am 01.09.2024.