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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Charlotte als philosophin

ein rechtes Zeichen, daß wir nicht begreifen können, was Gottes Gütte ist,
ist, daß unser Glaube uns weist, daß er zwei Menschen erstlich erschaffen,
denen er gerad einen Anstoß geben, umb zu fehlen, den was war es nötig,
einen Baum zu verhielten, hernach den Fluch auf alle die zu setzen, so nicht
gesündigt hatten, indem sie noch nicht geboren waren, nach unßer Rechnung
geht das gerad gegen Gütte und Gerechtigkeit, gegen Gütte, indem er das
ndet verhindern könnte, gegen Gerechtigkeit, indem die gestrafft werden, so
nichts davor können, und uicht gesündigt haben, weittcrs lehrt man uns, daß
Gott der Vatter seinen einzigen Sohn vor uns geben hat, daß war ja nach
unßer Rechnung auch nicht gerecht, den der Sohn hatte nie gesündigt! und
konte nicht sündigen, also deucht mich, daß es ohnmöglich ist, zu begreifen,
was Gott mit uns macht "msers Herrgotts Marionetten seien wir, schreibt sie
eimnalj, derowegen nur seine Allmacht zu admiriren ist, aber ohnmöglich von
seiner Gütte und Gerechtigkeit zu rnsoniren." Höchst merkwürdig ist auch
folgende Stelle: "Ich bin noch auf die hannoverische Manier und gar nicht
devot, ich glaube, daß es ein groß Glück ist, wenn man es in der That sein
kan, wie ich glaube, daß unßere Herzogin ist, nud alles, was unmöglich
scheinet, glauben kan, als wen man es sehen edele, auch sich mit dem ver¬
gnügen, und stets zu reden, mit was man nie sicht und welches uns nie kein
Antwort giebt, allein ich glaube auch, daß es eine gar elend Sache ist, sich
ahnzustellen, als wen man devot were, und daß man es nicht ist, den sich
Jahr und Tag zu langweilige Sachen zu zwingen, ohne persuadirt zu sein,
damit bringt man sein Leben liederlich zu, ich bin nicht glücklich genung, einen
so starken Glauben zu haben, umb Berge zu versetzen, und bin zu aufrichtig,
umb mich ahnzustellen, als wen ich devot were, ohne es zu sein, derowegen
kvntentire ich mich nur, mich nicht gröblich gegen die Gebotte zu versündigen und
meinem Nechsten nicht leid zu thun, Gott den allmächtigen den admirire ich,
ohne ihn zu begreifen, ich lobe und preiße ihn morgends und abends und
laß ihn ferners walten und ergebe mich in seinen Willen, den ohne das weiß
ich woll, daß nichts geschehen kan, da wissen E. L. nun alle meine Devotion."
Millionen Kirchgänger sind so unfähig wie Charlotte, an langen Gebeten innern
Anteil zu nehmen, aber wo die Frömmigkeit Mode ist. wagen sie es nicht zu
gestehen, gerade so wie sich Tausende in den Konzerten, die sie, Musikinteressc
heuchelnd, besuchen, zum Sterben langweilen.

Mit der Überschrift dieses Aufsatzes haben wir die wackre Liselotte nicht
etwa unter die zünftigen Philosophen einreihen wollen. Sie verdient den
Namen einer Philosophin, weil sie die Welt und die Menschen denkend beob¬
achtete, den Dingen auf den Grund ging und. was sie gefunden hatte, ehrlich



Der Prinz von Vourbon-Cents wurde gewöhnlich Monsieur le Duc, seine Frau dem¬
nach Madnme la Duchesse genannt.
Grenzboten III 1896 70
Elisabeth Charlotte als philosophin

ein rechtes Zeichen, daß wir nicht begreifen können, was Gottes Gütte ist,
ist, daß unser Glaube uns weist, daß er zwei Menschen erstlich erschaffen,
denen er gerad einen Anstoß geben, umb zu fehlen, den was war es nötig,
einen Baum zu verhielten, hernach den Fluch auf alle die zu setzen, so nicht
gesündigt hatten, indem sie noch nicht geboren waren, nach unßer Rechnung
geht das gerad gegen Gütte und Gerechtigkeit, gegen Gütte, indem er das
ndet verhindern könnte, gegen Gerechtigkeit, indem die gestrafft werden, so
nichts davor können, und uicht gesündigt haben, weittcrs lehrt man uns, daß
Gott der Vatter seinen einzigen Sohn vor uns geben hat, daß war ja nach
unßer Rechnung auch nicht gerecht, den der Sohn hatte nie gesündigt! und
konte nicht sündigen, also deucht mich, daß es ohnmöglich ist, zu begreifen,
was Gott mit uns macht »msers Herrgotts Marionetten seien wir, schreibt sie
eimnalj, derowegen nur seine Allmacht zu admiriren ist, aber ohnmöglich von
seiner Gütte und Gerechtigkeit zu rnsoniren." Höchst merkwürdig ist auch
folgende Stelle: „Ich bin noch auf die hannoverische Manier und gar nicht
devot, ich glaube, daß es ein groß Glück ist, wenn man es in der That sein
kan, wie ich glaube, daß unßere Herzogin ist, nud alles, was unmöglich
scheinet, glauben kan, als wen man es sehen edele, auch sich mit dem ver¬
gnügen, und stets zu reden, mit was man nie sicht und welches uns nie kein
Antwort giebt, allein ich glaube auch, daß es eine gar elend Sache ist, sich
ahnzustellen, als wen man devot were, und daß man es nicht ist, den sich
Jahr und Tag zu langweilige Sachen zu zwingen, ohne persuadirt zu sein,
damit bringt man sein Leben liederlich zu, ich bin nicht glücklich genung, einen
so starken Glauben zu haben, umb Berge zu versetzen, und bin zu aufrichtig,
umb mich ahnzustellen, als wen ich devot were, ohne es zu sein, derowegen
kvntentire ich mich nur, mich nicht gröblich gegen die Gebotte zu versündigen und
meinem Nechsten nicht leid zu thun, Gott den allmächtigen den admirire ich,
ohne ihn zu begreifen, ich lobe und preiße ihn morgends und abends und
laß ihn ferners walten und ergebe mich in seinen Willen, den ohne das weiß
ich woll, daß nichts geschehen kan, da wissen E. L. nun alle meine Devotion."
Millionen Kirchgänger sind so unfähig wie Charlotte, an langen Gebeten innern
Anteil zu nehmen, aber wo die Frömmigkeit Mode ist. wagen sie es nicht zu
gestehen, gerade so wie sich Tausende in den Konzerten, die sie, Musikinteressc
heuchelnd, besuchen, zum Sterben langweilen.

Mit der Überschrift dieses Aufsatzes haben wir die wackre Liselotte nicht
etwa unter die zünftigen Philosophen einreihen wollen. Sie verdient den
Namen einer Philosophin, weil sie die Welt und die Menschen denkend beob¬
achtete, den Dingen auf den Grund ging und. was sie gefunden hatte, ehrlich



Der Prinz von Vourbon-Cents wurde gewöhnlich Monsieur le Duc, seine Frau dem¬
nach Madnme la Duchesse genannt.
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[0561] Elisabeth Charlotte als philosophin ein rechtes Zeichen, daß wir nicht begreifen können, was Gottes Gütte ist, ist, daß unser Glaube uns weist, daß er zwei Menschen erstlich erschaffen, denen er gerad einen Anstoß geben, umb zu fehlen, den was war es nötig, einen Baum zu verhielten, hernach den Fluch auf alle die zu setzen, so nicht gesündigt hatten, indem sie noch nicht geboren waren, nach unßer Rechnung geht das gerad gegen Gütte und Gerechtigkeit, gegen Gütte, indem er das ndet verhindern könnte, gegen Gerechtigkeit, indem die gestrafft werden, so nichts davor können, und uicht gesündigt haben, weittcrs lehrt man uns, daß Gott der Vatter seinen einzigen Sohn vor uns geben hat, daß war ja nach unßer Rechnung auch nicht gerecht, den der Sohn hatte nie gesündigt! und konte nicht sündigen, also deucht mich, daß es ohnmöglich ist, zu begreifen, was Gott mit uns macht »msers Herrgotts Marionetten seien wir, schreibt sie eimnalj, derowegen nur seine Allmacht zu admiriren ist, aber ohnmöglich von seiner Gütte und Gerechtigkeit zu rnsoniren." Höchst merkwürdig ist auch folgende Stelle: „Ich bin noch auf die hannoverische Manier und gar nicht devot, ich glaube, daß es ein groß Glück ist, wenn man es in der That sein kan, wie ich glaube, daß unßere Herzogin ist, nud alles, was unmöglich scheinet, glauben kan, als wen man es sehen edele, auch sich mit dem ver¬ gnügen, und stets zu reden, mit was man nie sicht und welches uns nie kein Antwort giebt, allein ich glaube auch, daß es eine gar elend Sache ist, sich ahnzustellen, als wen man devot were, und daß man es nicht ist, den sich Jahr und Tag zu langweilige Sachen zu zwingen, ohne persuadirt zu sein, damit bringt man sein Leben liederlich zu, ich bin nicht glücklich genung, einen so starken Glauben zu haben, umb Berge zu versetzen, und bin zu aufrichtig, umb mich ahnzustellen, als wen ich devot were, ohne es zu sein, derowegen kvntentire ich mich nur, mich nicht gröblich gegen die Gebotte zu versündigen und meinem Nechsten nicht leid zu thun, Gott den allmächtigen den admirire ich, ohne ihn zu begreifen, ich lobe und preiße ihn morgends und abends und laß ihn ferners walten und ergebe mich in seinen Willen, den ohne das weiß ich woll, daß nichts geschehen kan, da wissen E. L. nun alle meine Devotion." Millionen Kirchgänger sind so unfähig wie Charlotte, an langen Gebeten innern Anteil zu nehmen, aber wo die Frömmigkeit Mode ist. wagen sie es nicht zu gestehen, gerade so wie sich Tausende in den Konzerten, die sie, Musikinteressc heuchelnd, besuchen, zum Sterben langweilen. Mit der Überschrift dieses Aufsatzes haben wir die wackre Liselotte nicht etwa unter die zünftigen Philosophen einreihen wollen. Sie verdient den Namen einer Philosophin, weil sie die Welt und die Menschen denkend beob¬ achtete, den Dingen auf den Grund ging und. was sie gefunden hatte, ehrlich Der Prinz von Vourbon-Cents wurde gewöhnlich Monsieur le Duc, seine Frau dem¬ nach Madnme la Duchesse genannt. Grenzboten III 1896 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/561>, abgerufen am 01.09.2024.