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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Lharlotte als Philosophin

in jener Welt wissen könte, was in dieser vorgeht, glaube ich, daß I. L. S.
lÄhre Liebden selig^ Monsieur sehr vontönt von mir würden sein, den in den
Kisten habe ich alle Brieffe, so die Buben ^seine Günstlings ihm geschrieben,
aufgesucht und ungeleßen verbrennt, damit es nicht in andre Hand kommen
mogte." Aber sie hält es nicht für wahrscheinlich. Wollte Gott, schreibt sie
zu einer andern Zeit an Luise, daß man sich in jener Welt wiedersehen und
kennen könnte, so würde ihr der Tod leichter ankommen. Allein weil in jener
Welt sein wird, was kein Aug gesehen, kein Ohr gehört und nie in keines
Menschen Herz gekommen, so sei nicht zu glauben, "daß etwas dort wie hier
sein wird. Zudem, so glaube ich, daß, wenn man sich in jener Welt dieser
erinnern könen würde, man nicht durchaus glücklich in der Seligkeit, noch
durchaus unglücklich in der Verdammnis sein könne! den man würde sich doch
immer vor die interessiren, so mau lieb hat, und Part nehmen, wers ihnen
woll oder übel gehen würde. Also schließe ich, daß jene Welt ganz was änderst
sein müsse, und daß man ahn nichts mehr gedenken wird als unsern Herrgott
und den zu loben. Also kan mich mein eigen Tod nicht trösten über die, so
ich verloren habe; und kann mich nur trösten, alles was hier bös und ver¬
drießlich ist, zu verlassen und eine ewige Ruhe zu genießen." Charlotte scheint
nicht gewahr zu werden, daß durch diese Annahme der Glaube an die per¬
sönliche Fortdauer nach dem Tode allen praktischen Wert verliert. Die Person,
in die ich mich nach dem Tode verwandle, mag immerhin stofflich dieselbe sein
wie mein irdisches Ich, wenn zwischen uns beiden die Kontinuität des Be¬
wußtseins aufgehoben ist, dann ist sie eine andre Person als ich, und ihre
Seligkeit oder Verdmnnis ist mir so gleichgiltig wie das Schicksal irgend
welcher jetzt lebender Mongolen, von deren Existenz ich nichts weiß. Der Trost,
wie sie ihn am Ende der obigen Stelle beschreibt, unterscheidet sich nicht von
der Hoffnung des Hindu auf Nirwana.

Am merkwürdigsten sind zwei Äußerungen aus den Jahren 1698 und
1699 an die Kurfürstin Sophie. "Ich finde, daß E. L. über die Maßen schonn
und woll über dies alles räsoniren und kann nicht glauben, daß jemandes was
dagegen zu sagen kan finden, den es ist ja soncnklar, daß nichts böses ge¬
schieht in der Welt ohne bös Naturell, und daß man das Gutte nicht teilen
könte. wenn kein bößes were ^die beiden Frauen halten also das Böse für
naturnotwendig), worinen die Pfaffen nicht so einig mit E. L. aber sein würden
(wenn jemand dieses gnädige Schreiben sehen sollten), ist, daß E. L. die ewige
Verdamnüs in Zweifel stellen, welche sie doch absoluto haben wollen, es ist
auch ihr Interesse, das mans glaubt." Der Gedanke an die Hölle an sich
ist ihr unheimlich, wenn sie auch wieder der ihr verhaßten Personen, besonders
Louvois wegen, nicht gern darauf verzichten möchte. "Es graust mich recht, heißt
es in einem Brief an Luise, wen ich ahn alles gedenke, so Monsieur de Louvois
hat brennen lassen. Ich glaube, er breue braff in jener Welt davor, den er


Elisabeth Lharlotte als Philosophin

in jener Welt wissen könte, was in dieser vorgeht, glaube ich, daß I. L. S.
lÄhre Liebden selig^ Monsieur sehr vontönt von mir würden sein, den in den
Kisten habe ich alle Brieffe, so die Buben ^seine Günstlings ihm geschrieben,
aufgesucht und ungeleßen verbrennt, damit es nicht in andre Hand kommen
mogte." Aber sie hält es nicht für wahrscheinlich. Wollte Gott, schreibt sie
zu einer andern Zeit an Luise, daß man sich in jener Welt wiedersehen und
kennen könnte, so würde ihr der Tod leichter ankommen. Allein weil in jener
Welt sein wird, was kein Aug gesehen, kein Ohr gehört und nie in keines
Menschen Herz gekommen, so sei nicht zu glauben, „daß etwas dort wie hier
sein wird. Zudem, so glaube ich, daß, wenn man sich in jener Welt dieser
erinnern könen würde, man nicht durchaus glücklich in der Seligkeit, noch
durchaus unglücklich in der Verdammnis sein könne! den man würde sich doch
immer vor die interessiren, so mau lieb hat, und Part nehmen, wers ihnen
woll oder übel gehen würde. Also schließe ich, daß jene Welt ganz was änderst
sein müsse, und daß man ahn nichts mehr gedenken wird als unsern Herrgott
und den zu loben. Also kan mich mein eigen Tod nicht trösten über die, so
ich verloren habe; und kann mich nur trösten, alles was hier bös und ver¬
drießlich ist, zu verlassen und eine ewige Ruhe zu genießen." Charlotte scheint
nicht gewahr zu werden, daß durch diese Annahme der Glaube an die per¬
sönliche Fortdauer nach dem Tode allen praktischen Wert verliert. Die Person,
in die ich mich nach dem Tode verwandle, mag immerhin stofflich dieselbe sein
wie mein irdisches Ich, wenn zwischen uns beiden die Kontinuität des Be¬
wußtseins aufgehoben ist, dann ist sie eine andre Person als ich, und ihre
Seligkeit oder Verdmnnis ist mir so gleichgiltig wie das Schicksal irgend
welcher jetzt lebender Mongolen, von deren Existenz ich nichts weiß. Der Trost,
wie sie ihn am Ende der obigen Stelle beschreibt, unterscheidet sich nicht von
der Hoffnung des Hindu auf Nirwana.

Am merkwürdigsten sind zwei Äußerungen aus den Jahren 1698 und
1699 an die Kurfürstin Sophie. „Ich finde, daß E. L. über die Maßen schonn
und woll über dies alles räsoniren und kann nicht glauben, daß jemandes was
dagegen zu sagen kan finden, den es ist ja soncnklar, daß nichts böses ge¬
schieht in der Welt ohne bös Naturell, und daß man das Gutte nicht teilen
könte. wenn kein bößes were ^die beiden Frauen halten also das Böse für
naturnotwendig), worinen die Pfaffen nicht so einig mit E. L. aber sein würden
(wenn jemand dieses gnädige Schreiben sehen sollten), ist, daß E. L. die ewige
Verdamnüs in Zweifel stellen, welche sie doch absoluto haben wollen, es ist
auch ihr Interesse, das mans glaubt." Der Gedanke an die Hölle an sich
ist ihr unheimlich, wenn sie auch wieder der ihr verhaßten Personen, besonders
Louvois wegen, nicht gern darauf verzichten möchte. „Es graust mich recht, heißt
es in einem Brief an Luise, wen ich ahn alles gedenke, so Monsieur de Louvois
hat brennen lassen. Ich glaube, er breue braff in jener Welt davor, den er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/559>, abgerufen am 01.09.2024.