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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Charlotte als Philosophin

von den Vornehmen mit der ausdrücklichen Beteuerung beobachtet wurden,
daß man nicht daran glaube?

Charlotte selbst war des jenseitigen Lebens keineswegs gewiß, aber im
Gegensatz zu ihrer französischen Umgebung zweifelt sie aus theoretischen und
glaubt sie, oder wünscht sie wenigstens glauben zu können, aus praktischen
Gründen. Mit dem Tode und dem, was dahinter kommen mag, oder vielleicht
mich nicht kommen mag, beschäftigt sie sich sehr viel, und das ist nun der
Punkt, wo ihre Religion ganz deutlich in Philosophie übergeht. Obwohl ihr
das Leben oft leid genug ist und ihr zuletzt nichts mehr Freude macht, findet
sie es doch visu äesobliASÄnt, daß jeder sterben muß. Bei Todesfällen von
Personen, die sie liebt, findet sie nicht im mindesten einen Trost darin, daß
man selbst sterben müsse, vielmehr das Gegenteil von Trost. Sie zitirt bei¬
fällig das Wort einer Dame, die beim Tode einer Bekannten bitterlich weint
und jemand, der sich über diese Teilnahme für eine der Weinenden sonst gleich-
giltige Person wundert, zur Antwort giebt: U011 aufn, ano w es sol, cle
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ni'en eine scwvsnir. Wenn sie ihre Stimmung bis auf den Grund erforscht,
so findet sie, daß sie den Tod weder fürchtet noch wünscht; da nun einmal
gestorben sein muß, so wünscht sie eines raschen Todes zu sterben, um nicht
lange von der Vorstellung des Bevorstehenden gequält zu werden. Die Be¬
sorgnis, die eine ihrer Schwestern äußert, die in Südfrankreich ausgebrochne
Pest möchte nach Paris kommen, fertigt sie kurz mit der Bemerkung ub: "Es
wird mir nur begegnen, was Gott der allmächtige über mich versehen hat.
Stirb ich von der Pest, so werde ich nicht von was änderst sterben." Den
Glauben an ein jenseitiges Leben findet sie nützlich, sowohl weil er die Laster
zu zügeln geeignet sei, als anch des Trostes wegen. "Ich finde, daß, wen
es gleich nicht wahr sein sollte, daß ein ander Leben seie nach dießem, so were
es doch woll gethan, sich solches einzubilden, umb sich zu trösten, den nichts
änderst zu sein, als der Würmer Speiß, ist gar etwas zu abscheulich." Aber
freilich, nichts gewisses weiß man nicht! "Alles, was man uns von jener
Welt sagt, ist gar unbegreiflich. Mir gefiele der mowinliooso^) nicht übel,
wen man sich dabei erinnern könte, was man gewesen were sonderbarer Ge¬
schmack! gerade das Erinnern wäre bei der Seelenwanderung durch Tierleiber
schrecklich!j, den zu sehen, daß mau nicht ganz abstirbt, wäre ein großer Trost
im Sterben, aber wie die Sachen beschaffen sein, ist es gar nicht ahngenehm."
Nach dem Tode ihres Mannes, am 30. Juni 1701, schreibt sie: "Wen man



*) Das I für s ist wohl nur Schreibfehler! Charlotte verschrieb sich oft und las das
Geschriebn" grundsätzlich niemals durch! die Frage der Metempsuchose scheint damals in Han¬
nover lebhaft erörtert worden zu sein.
Elisabeth Charlotte als Philosophin

von den Vornehmen mit der ausdrücklichen Beteuerung beobachtet wurden,
daß man nicht daran glaube?

Charlotte selbst war des jenseitigen Lebens keineswegs gewiß, aber im
Gegensatz zu ihrer französischen Umgebung zweifelt sie aus theoretischen und
glaubt sie, oder wünscht sie wenigstens glauben zu können, aus praktischen
Gründen. Mit dem Tode und dem, was dahinter kommen mag, oder vielleicht
mich nicht kommen mag, beschäftigt sie sich sehr viel, und das ist nun der
Punkt, wo ihre Religion ganz deutlich in Philosophie übergeht. Obwohl ihr
das Leben oft leid genug ist und ihr zuletzt nichts mehr Freude macht, findet
sie es doch visu äesobliASÄnt, daß jeder sterben muß. Bei Todesfällen von
Personen, die sie liebt, findet sie nicht im mindesten einen Trost darin, daß
man selbst sterben müsse, vielmehr das Gegenteil von Trost. Sie zitirt bei¬
fällig das Wort einer Dame, die beim Tode einer Bekannten bitterlich weint
und jemand, der sich über diese Teilnahme für eine der Weinenden sonst gleich-
giltige Person wundert, zur Antwort giebt: U011 aufn, ano w es sol, cle
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ni'en eine scwvsnir. Wenn sie ihre Stimmung bis auf den Grund erforscht,
so findet sie, daß sie den Tod weder fürchtet noch wünscht; da nun einmal
gestorben sein muß, so wünscht sie eines raschen Todes zu sterben, um nicht
lange von der Vorstellung des Bevorstehenden gequält zu werden. Die Be¬
sorgnis, die eine ihrer Schwestern äußert, die in Südfrankreich ausgebrochne
Pest möchte nach Paris kommen, fertigt sie kurz mit der Bemerkung ub: „Es
wird mir nur begegnen, was Gott der allmächtige über mich versehen hat.
Stirb ich von der Pest, so werde ich nicht von was änderst sterben." Den
Glauben an ein jenseitiges Leben findet sie nützlich, sowohl weil er die Laster
zu zügeln geeignet sei, als anch des Trostes wegen. „Ich finde, daß, wen
es gleich nicht wahr sein sollte, daß ein ander Leben seie nach dießem, so were
es doch woll gethan, sich solches einzubilden, umb sich zu trösten, den nichts
änderst zu sein, als der Würmer Speiß, ist gar etwas zu abscheulich." Aber
freilich, nichts gewisses weiß man nicht! „Alles, was man uns von jener
Welt sagt, ist gar unbegreiflich. Mir gefiele der mowinliooso^) nicht übel,
wen man sich dabei erinnern könte, was man gewesen were sonderbarer Ge¬
schmack! gerade das Erinnern wäre bei der Seelenwanderung durch Tierleiber
schrecklich!j, den zu sehen, daß mau nicht ganz abstirbt, wäre ein großer Trost
im Sterben, aber wie die Sachen beschaffen sein, ist es gar nicht ahngenehm."
Nach dem Tode ihres Mannes, am 30. Juni 1701, schreibt sie: „Wen man



*) Das I für s ist wohl nur Schreibfehler! Charlotte verschrieb sich oft und las das
Geschriebn« grundsätzlich niemals durch! die Frage der Metempsuchose scheint damals in Han¬
nover lebhaft erörtert worden zu sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/558>, abgerufen am 01.09.2024.