Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Elisabeth Charlotte als philosophin

zu glauben. Allerdings, gesteht sie bei andern Gelegenheiten, verlegten sich in
Paris viele Herren und Damen auf Zauberkünste und wollten alle "ehrliche
Hexenmeister" werden; aber zu diesen Narrheiten verleiteten nur der Luxus
und die Geldnot; weil es auf keine andre Weise mehr gehe, wolle man es noch
mit der Kabbala versuchen und xisrre xliilosoxlmls finde". Auch die reli¬
giöse Vorurteilslosigkeit der Franzosen lobt sie wiederholt. "Man sagt, daß
die Katholischen uoch ahn etlichen Orten die Bibel nicht lesen dürfen, aber zu
Paris ist es ganz erlaubet, wie ich in Frankreich bin kommen, war es nicht
die raoäö, die Bibel zu lesen, hernach aber kam es auf einmal, wie es zu¬
gangen, habe ich niemalen erfahre" können." Wahrscheinlich hat sie selbst es
in die Mode gebracht, wie sie eimual die Pelzmäntel in Mode gebracht hat.
Anfänglich hatte man sie wegen ihres Pelzes ausgelacht, dann aber, als des
Königs Gunst anfing, sie zu bestrahlen, und zwar gerade zu einer Zeit, wo
sie den Pelz trug, ließe" sich alle Damen am Hofe genan solche Pelze machen.
Sie lachte über die Närrinnen, die alles nachahmten, das vernünftigste wie
das verrückteste, was sie an einer Person sähe", die beim König in Gunst
stehe; sie selbst ist nur darauf bedacht, sich nach dein Wetter warm oder leicht
anzuziehen, achtet aber im übrigen so wenig ans ihre Kleidung, daß sie meistens
gar nicht weiß, welches Kleid sie anhat. Man darf daher auch keine" Wider¬
spruch darin finden, wenn sie ein andermal schreibt, niemand läse in Paris
die Bibel; die Mode wechselte eben auch darin, wie in allem; auch das Siegen
und vor dem Feinde Fortlaufen sei bei den Franzosen Modesache, spottet sie
uach der unglücklichen Wendung im spanischen Erbfolgekricge. Das wesent¬
liche ist, daß man nicht daran dachte, das Bibellesen zu verbieten, wie man
denn auch Melange" gegenüber tolerant war. In Frankreich, schreibt sie
1698, also schon unter der Herrschaft der "alten Zoll," wie sie die Maintenou
gewöhnlich nennt, "lest ^läW man die ovinionsn, wie man will, wenn man
nur keine Bücher macht, in die Meß und ins salut fleißig geht, in kein Partei
von der Kaballe ist, denn kann man glauben, was man will, man bekümmert
sich ganz nicht drumb." Das Meß- und Salntbesnchen aber geschah -- den
kleinen Kreis der aufrichtig gläubigen Maintenon ausgenommen -- bloß des
"Popels" wegen, denn von den Gebildeten gab, wie Charlotte wiederholt ver¬
sichert, niemand etwas auf das "lateinische Geplärr." An ihre Schwester
Amalie Elisabeth schreibt sie 1705: "Die französche Katholische seind bei weitem
uicht wie die Deutsche, Spanier, Portugiesen und Italiener. Erstlich so kann
man sie nicht vor Papisten schelten, denn sie fragen den Papst gar nichts
uach und halten ihn nicht vor unfehlbar, sondern nur vor das Haupt der
Geistlichen. Man liest fleißig die heilige Schrift hier, und es ist gar nicht
verboten. Der popel hat Aberglauben, aber die ehrliche Leüte und Leüte von
eomMon gar nicht." Aber auch von den Italienern weiß sie, daß sie auf¬
geklärter sind als die Deutschen. Sie lacht darüber, daß sich hessische Prinzen


Elisabeth Charlotte als philosophin

zu glauben. Allerdings, gesteht sie bei andern Gelegenheiten, verlegten sich in
Paris viele Herren und Damen auf Zauberkünste und wollten alle „ehrliche
Hexenmeister" werden; aber zu diesen Narrheiten verleiteten nur der Luxus
und die Geldnot; weil es auf keine andre Weise mehr gehe, wolle man es noch
mit der Kabbala versuchen und xisrre xliilosoxlmls finde». Auch die reli¬
giöse Vorurteilslosigkeit der Franzosen lobt sie wiederholt. „Man sagt, daß
die Katholischen uoch ahn etlichen Orten die Bibel nicht lesen dürfen, aber zu
Paris ist es ganz erlaubet, wie ich in Frankreich bin kommen, war es nicht
die raoäö, die Bibel zu lesen, hernach aber kam es auf einmal, wie es zu¬
gangen, habe ich niemalen erfahre» können." Wahrscheinlich hat sie selbst es
in die Mode gebracht, wie sie eimual die Pelzmäntel in Mode gebracht hat.
Anfänglich hatte man sie wegen ihres Pelzes ausgelacht, dann aber, als des
Königs Gunst anfing, sie zu bestrahlen, und zwar gerade zu einer Zeit, wo
sie den Pelz trug, ließe» sich alle Damen am Hofe genan solche Pelze machen.
Sie lachte über die Närrinnen, die alles nachahmten, das vernünftigste wie
das verrückteste, was sie an einer Person sähe», die beim König in Gunst
stehe; sie selbst ist nur darauf bedacht, sich nach dein Wetter warm oder leicht
anzuziehen, achtet aber im übrigen so wenig ans ihre Kleidung, daß sie meistens
gar nicht weiß, welches Kleid sie anhat. Man darf daher auch keine» Wider¬
spruch darin finden, wenn sie ein andermal schreibt, niemand läse in Paris
die Bibel; die Mode wechselte eben auch darin, wie in allem; auch das Siegen
und vor dem Feinde Fortlaufen sei bei den Franzosen Modesache, spottet sie
uach der unglücklichen Wendung im spanischen Erbfolgekricge. Das wesent¬
liche ist, daß man nicht daran dachte, das Bibellesen zu verbieten, wie man
denn auch Melange» gegenüber tolerant war. In Frankreich, schreibt sie
1698, also schon unter der Herrschaft der „alten Zoll," wie sie die Maintenou
gewöhnlich nennt, „lest ^läW man die ovinionsn, wie man will, wenn man
nur keine Bücher macht, in die Meß und ins salut fleißig geht, in kein Partei
von der Kaballe ist, denn kann man glauben, was man will, man bekümmert
sich ganz nicht drumb." Das Meß- und Salntbesnchen aber geschah — den
kleinen Kreis der aufrichtig gläubigen Maintenon ausgenommen — bloß des
»Popels" wegen, denn von den Gebildeten gab, wie Charlotte wiederholt ver¬
sichert, niemand etwas auf das „lateinische Geplärr." An ihre Schwester
Amalie Elisabeth schreibt sie 1705: „Die französche Katholische seind bei weitem
uicht wie die Deutsche, Spanier, Portugiesen und Italiener. Erstlich so kann
man sie nicht vor Papisten schelten, denn sie fragen den Papst gar nichts
uach und halten ihn nicht vor unfehlbar, sondern nur vor das Haupt der
Geistlichen. Man liest fleißig die heilige Schrift hier, und es ist gar nicht
verboten. Der popel hat Aberglauben, aber die ehrliche Leüte und Leüte von
eomMon gar nicht." Aber auch von den Italienern weiß sie, daß sie auf¬
geklärter sind als die Deutschen. Sie lacht darüber, daß sich hessische Prinzen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223497"/>
          <fw type="header" place="top"> Elisabeth Charlotte als philosophin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1555" prev="#ID_1554" next="#ID_1556"> zu glauben. Allerdings, gesteht sie bei andern Gelegenheiten, verlegten sich in<lb/>
Paris viele Herren und Damen auf Zauberkünste und wollten alle &#x201E;ehrliche<lb/>
Hexenmeister" werden; aber zu diesen Narrheiten verleiteten nur der Luxus<lb/>
und die Geldnot; weil es auf keine andre Weise mehr gehe, wolle man es noch<lb/>
mit der Kabbala versuchen und xisrre xliilosoxlmls finde». Auch die reli¬<lb/>
giöse Vorurteilslosigkeit der Franzosen lobt sie wiederholt. &#x201E;Man sagt, daß<lb/>
die Katholischen uoch ahn etlichen Orten die Bibel nicht lesen dürfen, aber zu<lb/>
Paris ist es ganz erlaubet, wie ich in Frankreich bin kommen, war es nicht<lb/>
die raoäö, die Bibel zu lesen, hernach aber kam es auf einmal, wie es zu¬<lb/>
gangen, habe ich niemalen erfahre» können." Wahrscheinlich hat sie selbst es<lb/>
in die Mode gebracht, wie sie eimual die Pelzmäntel in Mode gebracht hat.<lb/>
Anfänglich hatte man sie wegen ihres Pelzes ausgelacht, dann aber, als des<lb/>
Königs Gunst anfing, sie zu bestrahlen, und zwar gerade zu einer Zeit, wo<lb/>
sie den Pelz trug, ließe» sich alle Damen am Hofe genan solche Pelze machen.<lb/>
Sie lachte über die Närrinnen, die alles nachahmten, das vernünftigste wie<lb/>
das verrückteste, was sie an einer Person sähe», die beim König in Gunst<lb/>
stehe; sie selbst ist nur darauf bedacht, sich nach dein Wetter warm oder leicht<lb/>
anzuziehen, achtet aber im übrigen so wenig ans ihre Kleidung, daß sie meistens<lb/>
gar nicht weiß, welches Kleid sie anhat. Man darf daher auch keine» Wider¬<lb/>
spruch darin finden, wenn sie ein andermal schreibt, niemand läse in Paris<lb/>
die Bibel; die Mode wechselte eben auch darin, wie in allem; auch das Siegen<lb/>
und vor dem Feinde Fortlaufen sei bei den Franzosen Modesache, spottet sie<lb/>
uach der unglücklichen Wendung im spanischen Erbfolgekricge. Das wesent¬<lb/>
liche ist, daß man nicht daran dachte, das Bibellesen zu verbieten, wie man<lb/>
denn auch Melange» gegenüber tolerant war. In Frankreich, schreibt sie<lb/>
1698, also schon unter der Herrschaft der &#x201E;alten Zoll," wie sie die Maintenou<lb/>
gewöhnlich nennt, &#x201E;lest ^läW man die ovinionsn, wie man will, wenn man<lb/>
nur keine Bücher macht, in die Meß und ins salut fleißig geht, in kein Partei<lb/>
von der Kaballe ist, denn kann man glauben, was man will, man bekümmert<lb/>
sich ganz nicht drumb." Das Meß- und Salntbesnchen aber geschah &#x2014; den<lb/>
kleinen Kreis der aufrichtig gläubigen Maintenon ausgenommen &#x2014; bloß des<lb/>
»Popels" wegen, denn von den Gebildeten gab, wie Charlotte wiederholt ver¬<lb/>
sichert, niemand etwas auf das &#x201E;lateinische Geplärr." An ihre Schwester<lb/>
Amalie Elisabeth schreibt sie 1705: &#x201E;Die französche Katholische seind bei weitem<lb/>
uicht wie die Deutsche, Spanier, Portugiesen und Italiener. Erstlich so kann<lb/>
man sie nicht vor Papisten schelten, denn sie fragen den Papst gar nichts<lb/>
uach und halten ihn nicht vor unfehlbar, sondern nur vor das Haupt der<lb/>
Geistlichen. Man liest fleißig die heilige Schrift hier, und es ist gar nicht<lb/>
verboten. Der popel hat Aberglauben, aber die ehrliche Leüte und Leüte von<lb/>
eomMon gar nicht." Aber auch von den Italienern weiß sie, daß sie auf¬<lb/>
geklärter sind als die Deutschen. Sie lacht darüber, daß sich hessische Prinzen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] Elisabeth Charlotte als philosophin zu glauben. Allerdings, gesteht sie bei andern Gelegenheiten, verlegten sich in Paris viele Herren und Damen auf Zauberkünste und wollten alle „ehrliche Hexenmeister" werden; aber zu diesen Narrheiten verleiteten nur der Luxus und die Geldnot; weil es auf keine andre Weise mehr gehe, wolle man es noch mit der Kabbala versuchen und xisrre xliilosoxlmls finde». Auch die reli¬ giöse Vorurteilslosigkeit der Franzosen lobt sie wiederholt. „Man sagt, daß die Katholischen uoch ahn etlichen Orten die Bibel nicht lesen dürfen, aber zu Paris ist es ganz erlaubet, wie ich in Frankreich bin kommen, war es nicht die raoäö, die Bibel zu lesen, hernach aber kam es auf einmal, wie es zu¬ gangen, habe ich niemalen erfahre» können." Wahrscheinlich hat sie selbst es in die Mode gebracht, wie sie eimual die Pelzmäntel in Mode gebracht hat. Anfänglich hatte man sie wegen ihres Pelzes ausgelacht, dann aber, als des Königs Gunst anfing, sie zu bestrahlen, und zwar gerade zu einer Zeit, wo sie den Pelz trug, ließe» sich alle Damen am Hofe genan solche Pelze machen. Sie lachte über die Närrinnen, die alles nachahmten, das vernünftigste wie das verrückteste, was sie an einer Person sähe», die beim König in Gunst stehe; sie selbst ist nur darauf bedacht, sich nach dein Wetter warm oder leicht anzuziehen, achtet aber im übrigen so wenig ans ihre Kleidung, daß sie meistens gar nicht weiß, welches Kleid sie anhat. Man darf daher auch keine» Wider¬ spruch darin finden, wenn sie ein andermal schreibt, niemand läse in Paris die Bibel; die Mode wechselte eben auch darin, wie in allem; auch das Siegen und vor dem Feinde Fortlaufen sei bei den Franzosen Modesache, spottet sie uach der unglücklichen Wendung im spanischen Erbfolgekricge. Das wesent¬ liche ist, daß man nicht daran dachte, das Bibellesen zu verbieten, wie man denn auch Melange» gegenüber tolerant war. In Frankreich, schreibt sie 1698, also schon unter der Herrschaft der „alten Zoll," wie sie die Maintenou gewöhnlich nennt, „lest ^läW man die ovinionsn, wie man will, wenn man nur keine Bücher macht, in die Meß und ins salut fleißig geht, in kein Partei von der Kaballe ist, denn kann man glauben, was man will, man bekümmert sich ganz nicht drumb." Das Meß- und Salntbesnchen aber geschah — den kleinen Kreis der aufrichtig gläubigen Maintenon ausgenommen — bloß des »Popels" wegen, denn von den Gebildeten gab, wie Charlotte wiederholt ver¬ sichert, niemand etwas auf das „lateinische Geplärr." An ihre Schwester Amalie Elisabeth schreibt sie 1705: „Die französche Katholische seind bei weitem uicht wie die Deutsche, Spanier, Portugiesen und Italiener. Erstlich so kann man sie nicht vor Papisten schelten, denn sie fragen den Papst gar nichts uach und halten ihn nicht vor unfehlbar, sondern nur vor das Haupt der Geistlichen. Man liest fleißig die heilige Schrift hier, und es ist gar nicht verboten. Der popel hat Aberglauben, aber die ehrliche Leüte und Leüte von eomMon gar nicht." Aber auch von den Italienern weiß sie, daß sie auf¬ geklärter sind als die Deutschen. Sie lacht darüber, daß sich hessische Prinzen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/555>, abgerufen am 01.09.2024.