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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Lharlotte als Philosophin

so vor einer Reise nach Italien fürchten; in Deutschland seien die Katholischen
viel abergläubischer als in Italien. Man braucht sich nur daran zu erinnern,
daß die gebildeten Italiener und Franzosen in der Renaissance größtenteils
Heiden und Philosophen geworden waren, und daß die äußerliche Rückkehr
zum Glauben ein Werk der Inquisition war, wozu die Reformation genötigt
hatte. Auch die Verfolgung der Reformirten in Frankreich, das sah Charlotte
deutlich, entsprang keineswegs einem Wiederaufflammen des Fanatismus im
Volk oder in den höhern Ständen, sondern nur dem Zusammentreffen des
hierarchischen Interesses mit dem Umstände, daß eine einzelne bigotte Person
den König ihrem Pantoffel unterworfen hatte.

Was die religiösen Spaltungen anlangt, so glaubte Elisabeth Charlotte,
daß alle vernünftigen Menschen, die Heiden inbegriffen, eigentlich dieselbe Re¬
ligion hätten, die darin bestehe, daß man Gott durch einen rechtschaffnen
Lebenswandel ehre; die äußern Formen, die gottesdienstlichen Gebräuche, seien
gleichgiltig und müßten notwendigerweise nach Zeiten und Länder" und nach
dem Grade der religiösen Erkenntnis verschieden sein; im Grunde genommen,
habe ein jeder seine eigne Religion "axg-re, nach seinem Humor." Diese Mannich-
faltigkeit sei an sich kein Hindernis der Eintracht. Die Mitglieder der ver-
schiednen Konfessionen könnten sich ganz gut mit einander vertragen, wenn
"die verfluchte Pfaffe" nicht wären, die aus Herrsucht Streit erregten und
die Versöhnung hintertrieben. Wegen der Macht der Geistlichkeit, und weil
auch die Regierungen die Spaltung beförderten, um unter dem Deckmantel der
Religion politische Zwecke zu verfolgen, hält sie die vom hannöverschen Hofe")
ausgehenden Einigungsbestrebungen für aussichtslos, stimmt aber mit der Tante
und mit Leibniz in der Ansicht überein, daß die Kirchenspaltung unnötig ge¬
wesen und vom Übel sei. "Ich bin persuadirt, schreibt sie an ihre Stief¬
schwester Luise, daß Dokter Luther besser gethan hätte, keine aparte Kirch zu
machen, sondern nur die päpstliche Irrtum als zu widerstreiten, so hätte er
vielmehr guts ausrichten können.... Dr. Luther ist gewesen wie alle Geistlich
in der Welt, so alle gern Meister sein wollen und regieren; aber hätte er ahn
das gemeine Beste der Christenheit gedacht, würde er sich nicht separirt haben.
Er und Calvin hätte tausendmal mehr guts ausgericht, wenn sie sich nicht
separirt hätten und, ohne geraß zu machen, unterrichtet hätten; die albersten
römische Instruktionen würden allgemach von sich selber vergangen sein. Wenig



Ranke erinnert daran, daß die Kurfürstin Sophie reformirt, ihr Gemahl lutherisch,
dessen Bruder und Vorgänger im Herzogtum Hannover, Johann Friedrich, katholisch war. Die
Kurwürde erhielt Sophiens Gemahl Ernst August erst Selbstverständlich hatte Elisabeth Charlotte viel von dem dort herrschenden Geiste in sich aufgenommen, aber die Grundzüge
ihres Charakters, auch der freie, vorurteilslose Sinn, waren ererbt; sie war darin ganz dus
Ebenbild ihres Vaters, des Kurfürsten Karl Ludwig, dessen gute Charakterzüge sie, wie Hauffer
in seiner Geschichte der Pfalz sagt, in sich vereinigte ohne die weniger guten.
Elisabeth Lharlotte als Philosophin

so vor einer Reise nach Italien fürchten; in Deutschland seien die Katholischen
viel abergläubischer als in Italien. Man braucht sich nur daran zu erinnern,
daß die gebildeten Italiener und Franzosen in der Renaissance größtenteils
Heiden und Philosophen geworden waren, und daß die äußerliche Rückkehr
zum Glauben ein Werk der Inquisition war, wozu die Reformation genötigt
hatte. Auch die Verfolgung der Reformirten in Frankreich, das sah Charlotte
deutlich, entsprang keineswegs einem Wiederaufflammen des Fanatismus im
Volk oder in den höhern Ständen, sondern nur dem Zusammentreffen des
hierarchischen Interesses mit dem Umstände, daß eine einzelne bigotte Person
den König ihrem Pantoffel unterworfen hatte.

Was die religiösen Spaltungen anlangt, so glaubte Elisabeth Charlotte,
daß alle vernünftigen Menschen, die Heiden inbegriffen, eigentlich dieselbe Re¬
ligion hätten, die darin bestehe, daß man Gott durch einen rechtschaffnen
Lebenswandel ehre; die äußern Formen, die gottesdienstlichen Gebräuche, seien
gleichgiltig und müßten notwendigerweise nach Zeiten und Länder» und nach
dem Grade der religiösen Erkenntnis verschieden sein; im Grunde genommen,
habe ein jeder seine eigne Religion „axg-re, nach seinem Humor." Diese Mannich-
faltigkeit sei an sich kein Hindernis der Eintracht. Die Mitglieder der ver-
schiednen Konfessionen könnten sich ganz gut mit einander vertragen, wenn
„die verfluchte Pfaffe" nicht wären, die aus Herrsucht Streit erregten und
die Versöhnung hintertrieben. Wegen der Macht der Geistlichkeit, und weil
auch die Regierungen die Spaltung beförderten, um unter dem Deckmantel der
Religion politische Zwecke zu verfolgen, hält sie die vom hannöverschen Hofe")
ausgehenden Einigungsbestrebungen für aussichtslos, stimmt aber mit der Tante
und mit Leibniz in der Ansicht überein, daß die Kirchenspaltung unnötig ge¬
wesen und vom Übel sei. „Ich bin persuadirt, schreibt sie an ihre Stief¬
schwester Luise, daß Dokter Luther besser gethan hätte, keine aparte Kirch zu
machen, sondern nur die päpstliche Irrtum als zu widerstreiten, so hätte er
vielmehr guts ausrichten können.... Dr. Luther ist gewesen wie alle Geistlich
in der Welt, so alle gern Meister sein wollen und regieren; aber hätte er ahn
das gemeine Beste der Christenheit gedacht, würde er sich nicht separirt haben.
Er und Calvin hätte tausendmal mehr guts ausgericht, wenn sie sich nicht
separirt hätten und, ohne geraß zu machen, unterrichtet hätten; die albersten
römische Instruktionen würden allgemach von sich selber vergangen sein. Wenig



Ranke erinnert daran, daß die Kurfürstin Sophie reformirt, ihr Gemahl lutherisch,
dessen Bruder und Vorgänger im Herzogtum Hannover, Johann Friedrich, katholisch war. Die
Kurwürde erhielt Sophiens Gemahl Ernst August erst Selbstverständlich hatte Elisabeth Charlotte viel von dem dort herrschenden Geiste in sich aufgenommen, aber die Grundzüge
ihres Charakters, auch der freie, vorurteilslose Sinn, waren ererbt; sie war darin ganz dus
Ebenbild ihres Vaters, des Kurfürsten Karl Ludwig, dessen gute Charakterzüge sie, wie Hauffer
in seiner Geschichte der Pfalz sagt, in sich vereinigte ohne die weniger guten.
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[0556] Elisabeth Lharlotte als Philosophin so vor einer Reise nach Italien fürchten; in Deutschland seien die Katholischen viel abergläubischer als in Italien. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß die gebildeten Italiener und Franzosen in der Renaissance größtenteils Heiden und Philosophen geworden waren, und daß die äußerliche Rückkehr zum Glauben ein Werk der Inquisition war, wozu die Reformation genötigt hatte. Auch die Verfolgung der Reformirten in Frankreich, das sah Charlotte deutlich, entsprang keineswegs einem Wiederaufflammen des Fanatismus im Volk oder in den höhern Ständen, sondern nur dem Zusammentreffen des hierarchischen Interesses mit dem Umstände, daß eine einzelne bigotte Person den König ihrem Pantoffel unterworfen hatte. Was die religiösen Spaltungen anlangt, so glaubte Elisabeth Charlotte, daß alle vernünftigen Menschen, die Heiden inbegriffen, eigentlich dieselbe Re¬ ligion hätten, die darin bestehe, daß man Gott durch einen rechtschaffnen Lebenswandel ehre; die äußern Formen, die gottesdienstlichen Gebräuche, seien gleichgiltig und müßten notwendigerweise nach Zeiten und Länder» und nach dem Grade der religiösen Erkenntnis verschieden sein; im Grunde genommen, habe ein jeder seine eigne Religion „axg-re, nach seinem Humor." Diese Mannich- faltigkeit sei an sich kein Hindernis der Eintracht. Die Mitglieder der ver- schiednen Konfessionen könnten sich ganz gut mit einander vertragen, wenn „die verfluchte Pfaffe" nicht wären, die aus Herrsucht Streit erregten und die Versöhnung hintertrieben. Wegen der Macht der Geistlichkeit, und weil auch die Regierungen die Spaltung beförderten, um unter dem Deckmantel der Religion politische Zwecke zu verfolgen, hält sie die vom hannöverschen Hofe") ausgehenden Einigungsbestrebungen für aussichtslos, stimmt aber mit der Tante und mit Leibniz in der Ansicht überein, daß die Kirchenspaltung unnötig ge¬ wesen und vom Übel sei. „Ich bin persuadirt, schreibt sie an ihre Stief¬ schwester Luise, daß Dokter Luther besser gethan hätte, keine aparte Kirch zu machen, sondern nur die päpstliche Irrtum als zu widerstreiten, so hätte er vielmehr guts ausrichten können.... Dr. Luther ist gewesen wie alle Geistlich in der Welt, so alle gern Meister sein wollen und regieren; aber hätte er ahn das gemeine Beste der Christenheit gedacht, würde er sich nicht separirt haben. Er und Calvin hätte tausendmal mehr guts ausgericht, wenn sie sich nicht separirt hätten und, ohne geraß zu machen, unterrichtet hätten; die albersten römische Instruktionen würden allgemach von sich selber vergangen sein. Wenig Ranke erinnert daran, daß die Kurfürstin Sophie reformirt, ihr Gemahl lutherisch, dessen Bruder und Vorgänger im Herzogtum Hannover, Johann Friedrich, katholisch war. Die Kurwürde erhielt Sophiens Gemahl Ernst August erst Selbstverständlich hatte Elisabeth Charlotte viel von dem dort herrschenden Geiste in sich aufgenommen, aber die Grundzüge ihres Charakters, auch der freie, vorurteilslose Sinn, waren ererbt; sie war darin ganz dus Ebenbild ihres Vaters, des Kurfürsten Karl Ludwig, dessen gute Charakterzüge sie, wie Hauffer in seiner Geschichte der Pfalz sagt, in sich vereinigte ohne die weniger guten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/556>, abgerufen am 01.09.2024.