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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Charlotte als Philosophin

Geldklemme keine Schulden machte und sich von dieser Handlungsweise durch
niemand und nichts auch nur vorübergehend abbringen ließ. Das reformirte
Christentum hatte am entschiedensten sowohl mit allem symbolischen und allem
Zeremonienwesen ini Gottesdienst wie mit aller Spekulation über jenseitige
Mächte, die sich in der Phantasie der Völker zwischen Gott und die sichtbare
Welt einschieben, gebrochen. Damit war zwar eine Phantasiethätigkeit gehemmt,
der die Kunst und das Gemüt viel zu verdanken haben, aber dafür war sreie
Bahn geschaffen für die Beseitigung alles Aberglaubens, wenn auch ganze
kalvinistische Gemeinden, namentlich die schottischen, infolge ihres tiefen Bil¬
dungsstandes dem düstersten Aberglauben, dem Hexenwahne, noch lange er¬
geben blieben. Da ist es nun interessant, zu erfahren, wie völlig frei von
allein Aberglauben "Madame" schon in der Zeit war, wo in Deutschland und
Schottland noch die Hexenbrande rauchten. Sie hört gern Märchen und Ge¬
spenstergeschichten, versichert aber, sie glaube weder an Gespenster "noch tollet"
noch nichts dergleichen." Sie freut sich, daß es gelungen sei, die Erscheinung
"blutiger" Ähren natürlich zu erklären, "denn zu unsern Zeiten verändern sich
die Menschen nicht mehr in Pflanzen, als wie zu Äneas Zeiten, da er des
?c>1iäorö Blut noch in einem abgerissenen Ast fand von einem Baum." Wo
man an Geister glaubt, erwidert sie auf die Mitteilung einer Spukgeschichte,
sieht man allzeit welche; hier (in Paris) glaubt man, nicht daran, also sieht
man keine. Geister, gestehe ich, schreibt sie am 26. Juli 1699 an ihre liebe
hannöversche Tante Sophie, "habe ich große Mühe zu glauben, denn wäre
etwas so uns unbekannt und sich doch weißen ^weisen, offenbaren^ könnte,
würde man mehr Gewißheit davon haben können, den^ oräinariö die Geister
erscheinen nur ahn abcrglänbliche Leütte, ahn trunkene oder ahn betrübten, so
mit dem Milz geplagt sein, auf was die sagen, kann kein Grund gesetzt werden,
oxamwirt, man weiter, findt man Betrug, Dieb oder Aglg-ntoric;."*)

Sie stand, zumal in Frankreich, keineswegs allein mit diesen aufgeklärten
Ansichten. Als die Wundergeschichten der Rosenkreuzer Aufsehen erregten,
meinte sie, in Frankreich sei der xoxc-l nicht mehr so einfältig, solchen Schwindel
zu glauben. Am 19. September 1713 erzählt sie der Tante, zwei verstündige
Männer hätten in einer Gesellschaft bei Mademoiselle de Dotar erklärt, sie
hätten nie an Geister geglaubt, seien aber jetzt davon überzeugt; der eine sei
ihres Sohnes Lehrer, der Abbs Dubois, der andre Fontenelle von der Aka¬
demie. Ihr Sohn jedoch meine, Fontenelle habe nur einmal die Gelegenheit
wahrgenommen, sich gläubig zu stellen, um sich vor den Verfolgungen der ihm
feindlichen Jesuiten zu sichern, die ihn als einen Ungläubige" verschrieen, was
aber Dubois anbetrifft -- das sagt nicht mehr ihr Sohn, sondern sie selbst --,
so sei er der größte tourds und Betrüger von Paris und sei ihm kein Wort



") Galanterien nannte man damals die illegitimen Liebesverhältnisse.
Elisabeth Charlotte als Philosophin

Geldklemme keine Schulden machte und sich von dieser Handlungsweise durch
niemand und nichts auch nur vorübergehend abbringen ließ. Das reformirte
Christentum hatte am entschiedensten sowohl mit allem symbolischen und allem
Zeremonienwesen ini Gottesdienst wie mit aller Spekulation über jenseitige
Mächte, die sich in der Phantasie der Völker zwischen Gott und die sichtbare
Welt einschieben, gebrochen. Damit war zwar eine Phantasiethätigkeit gehemmt,
der die Kunst und das Gemüt viel zu verdanken haben, aber dafür war sreie
Bahn geschaffen für die Beseitigung alles Aberglaubens, wenn auch ganze
kalvinistische Gemeinden, namentlich die schottischen, infolge ihres tiefen Bil¬
dungsstandes dem düstersten Aberglauben, dem Hexenwahne, noch lange er¬
geben blieben. Da ist es nun interessant, zu erfahren, wie völlig frei von
allein Aberglauben „Madame" schon in der Zeit war, wo in Deutschland und
Schottland noch die Hexenbrande rauchten. Sie hört gern Märchen und Ge¬
spenstergeschichten, versichert aber, sie glaube weder an Gespenster „noch tollet«
noch nichts dergleichen." Sie freut sich, daß es gelungen sei, die Erscheinung
„blutiger" Ähren natürlich zu erklären, „denn zu unsern Zeiten verändern sich
die Menschen nicht mehr in Pflanzen, als wie zu Äneas Zeiten, da er des
?c>1iäorö Blut noch in einem abgerissenen Ast fand von einem Baum." Wo
man an Geister glaubt, erwidert sie auf die Mitteilung einer Spukgeschichte,
sieht man allzeit welche; hier (in Paris) glaubt man, nicht daran, also sieht
man keine. Geister, gestehe ich, schreibt sie am 26. Juli 1699 an ihre liebe
hannöversche Tante Sophie, „habe ich große Mühe zu glauben, denn wäre
etwas so uns unbekannt und sich doch weißen ^weisen, offenbaren^ könnte,
würde man mehr Gewißheit davon haben können, den^ oräinariö die Geister
erscheinen nur ahn abcrglänbliche Leütte, ahn trunkene oder ahn betrübten, so
mit dem Milz geplagt sein, auf was die sagen, kann kein Grund gesetzt werden,
oxamwirt, man weiter, findt man Betrug, Dieb oder Aglg-ntoric;."*)

Sie stand, zumal in Frankreich, keineswegs allein mit diesen aufgeklärten
Ansichten. Als die Wundergeschichten der Rosenkreuzer Aufsehen erregten,
meinte sie, in Frankreich sei der xoxc-l nicht mehr so einfältig, solchen Schwindel
zu glauben. Am 19. September 1713 erzählt sie der Tante, zwei verstündige
Männer hätten in einer Gesellschaft bei Mademoiselle de Dotar erklärt, sie
hätten nie an Geister geglaubt, seien aber jetzt davon überzeugt; der eine sei
ihres Sohnes Lehrer, der Abbs Dubois, der andre Fontenelle von der Aka¬
demie. Ihr Sohn jedoch meine, Fontenelle habe nur einmal die Gelegenheit
wahrgenommen, sich gläubig zu stellen, um sich vor den Verfolgungen der ihm
feindlichen Jesuiten zu sichern, die ihn als einen Ungläubige» verschrieen, was
aber Dubois anbetrifft — das sagt nicht mehr ihr Sohn, sondern sie selbst —,
so sei er der größte tourds und Betrüger von Paris und sei ihm kein Wort



") Galanterien nannte man damals die illegitimen Liebesverhältnisse.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/554>, abgerufen am 01.09.2024.