Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ballade und Romanze

"possirliche und drolligte Art der Erzählung" für die Romanze und setzt seiner
Sammlung ein Titelkupfer voran, das einen vor dem Volke deklamirenden
Bänkelsänger darstellt. Auch Götter, der zwar in seiner Vorrede (1787, I,
S. VII) die Bänkelsängerei eine Entwürdigung der Poesie nennt, hat in seiner
ersten Romanze "Tarquin und Lucretia" (1769) Schiebelers mhthologisirende
Art nachgeahmt; und seine zweite Romanze "Sibylle oder die strenge Mutter"
ist eine Parodie von Gimils- "Marianne." Und anch noch Bürger hat in
diesem Tone die "Prinzessin Europa," "Bacchus," "Menagerie der Götter"
und "Frau Schnips" gedichtet.

Da der Bänkelsängerton, den man ursprünglich als wesentliches Merkmal
im dem Begriffe der Romanze betrachtete, von vorn herein eine starke Neigung
zum Komischen hatte, so war es naturlich, den Begriff so fortzubilden, daß
man für diese Dichtungsart die humoristische Darstellung wählte. So schildert
Gleim in launiger Weise in dem Gedichte "Des Liebchens Geist" (Körte III,
190), wie der vermeintliche Geist, der in Liebchens Kammer eindrang und
es erschreckte, er selber war. Auch Hölty stellt in "Apoll und Daphne" mehr
humoristisch als in dem grausigen Ton der Mordgeschichten dar, wie Daphne
in einen Lorbeerbaum verwandelt wird und nun gar noch die Köche in ihrem
Haar zausen.

Ebenso natürlich ist es, daß sich der Begriff der Romanze dem der Satire
nähert, indem der Dichter das Komische der von ihm geschilderten Verhältnisse
von seinem Standpunkt aus verspottet. Schon Gleim liebte es, in seine
Romanzen satirische Bemerkungen einzustreuen. In der "Marianne" fügt er,
nachdem er die Vorbereitungen zur Hochzeit geschilderthat, hinzu: Ein Haufen
Anverwandter freut sich auf den Tanz, und Priester mit leerem Magen eilen
zum Schmaus. Noch weiter ging Götter. Seine Romanze "Die Trauer" ist
weiter nichts als eine Satire auf die Modesucht der Frauen, wie seine Blau-
bartromauze eine Satire auf ihre Neugier.

Gewöhnlicher aber war es, daß man, was die Satire nur verhüllt durch
Spott andeutet, als gute Lehre am Schluß offen aussprach, sodaß man damit
nach der Seite des Lehrgedichts hinüberschwankte. Wie in der ältern Zeit
Gleim fast alle Merkmale an dem Begriff der Romanze selber bestimmt hat,
so ist er auch in dieser Nachahmung der Fabel späteren Dichtern vorange¬
gangen. Am Schluß seiner "Marianne" warnt er davor, daß Eltern ihre
Kinder wider deren Willen zur Ehe zwingen. Ebenso fügt Schiebeler seiner
Romanze "Der Fall Vulkans" (Eschenburgs Ausgabe 1773^ S. 453) die Nutz¬
anwendung bei:


Ballade und Romanze

„possirliche und drolligte Art der Erzählung" für die Romanze und setzt seiner
Sammlung ein Titelkupfer voran, das einen vor dem Volke deklamirenden
Bänkelsänger darstellt. Auch Götter, der zwar in seiner Vorrede (1787, I,
S. VII) die Bänkelsängerei eine Entwürdigung der Poesie nennt, hat in seiner
ersten Romanze „Tarquin und Lucretia" (1769) Schiebelers mhthologisirende
Art nachgeahmt; und seine zweite Romanze „Sibylle oder die strenge Mutter"
ist eine Parodie von Gimils- „Marianne." Und anch noch Bürger hat in
diesem Tone die „Prinzessin Europa," „Bacchus," „Menagerie der Götter"
und „Frau Schnips" gedichtet.

Da der Bänkelsängerton, den man ursprünglich als wesentliches Merkmal
im dem Begriffe der Romanze betrachtete, von vorn herein eine starke Neigung
zum Komischen hatte, so war es naturlich, den Begriff so fortzubilden, daß
man für diese Dichtungsart die humoristische Darstellung wählte. So schildert
Gleim in launiger Weise in dem Gedichte „Des Liebchens Geist" (Körte III,
190), wie der vermeintliche Geist, der in Liebchens Kammer eindrang und
es erschreckte, er selber war. Auch Hölty stellt in „Apoll und Daphne" mehr
humoristisch als in dem grausigen Ton der Mordgeschichten dar, wie Daphne
in einen Lorbeerbaum verwandelt wird und nun gar noch die Köche in ihrem
Haar zausen.

Ebenso natürlich ist es, daß sich der Begriff der Romanze dem der Satire
nähert, indem der Dichter das Komische der von ihm geschilderten Verhältnisse
von seinem Standpunkt aus verspottet. Schon Gleim liebte es, in seine
Romanzen satirische Bemerkungen einzustreuen. In der „Marianne" fügt er,
nachdem er die Vorbereitungen zur Hochzeit geschilderthat, hinzu: Ein Haufen
Anverwandter freut sich auf den Tanz, und Priester mit leerem Magen eilen
zum Schmaus. Noch weiter ging Götter. Seine Romanze „Die Trauer" ist
weiter nichts als eine Satire auf die Modesucht der Frauen, wie seine Blau-
bartromauze eine Satire auf ihre Neugier.

Gewöhnlicher aber war es, daß man, was die Satire nur verhüllt durch
Spott andeutet, als gute Lehre am Schluß offen aussprach, sodaß man damit
nach der Seite des Lehrgedichts hinüberschwankte. Wie in der ältern Zeit
Gleim fast alle Merkmale an dem Begriff der Romanze selber bestimmt hat,
so ist er auch in dieser Nachahmung der Fabel späteren Dichtern vorange¬
gangen. Am Schluß seiner „Marianne" warnt er davor, daß Eltern ihre
Kinder wider deren Willen zur Ehe zwingen. Ebenso fügt Schiebeler seiner
Romanze „Der Fall Vulkans" (Eschenburgs Ausgabe 1773^ S. 453) die Nutz¬
anwendung bei:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223462"/>
          <fw type="header" place="top"> Ballade und Romanze</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1455" prev="#ID_1454"> &#x201E;possirliche und drolligte Art der Erzählung" für die Romanze und setzt seiner<lb/>
Sammlung ein Titelkupfer voran, das einen vor dem Volke deklamirenden<lb/>
Bänkelsänger darstellt. Auch Götter, der zwar in seiner Vorrede (1787, I,<lb/>
S. VII) die Bänkelsängerei eine Entwürdigung der Poesie nennt, hat in seiner<lb/>
ersten Romanze &#x201E;Tarquin und Lucretia" (1769) Schiebelers mhthologisirende<lb/>
Art nachgeahmt; und seine zweite Romanze &#x201E;Sibylle oder die strenge Mutter"<lb/>
ist eine Parodie von Gimils- &#x201E;Marianne." Und anch noch Bürger hat in<lb/>
diesem Tone die &#x201E;Prinzessin Europa," &#x201E;Bacchus," &#x201E;Menagerie der Götter"<lb/>
und &#x201E;Frau Schnips" gedichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1456"> Da der Bänkelsängerton, den man ursprünglich als wesentliches Merkmal<lb/>
im dem Begriffe der Romanze betrachtete, von vorn herein eine starke Neigung<lb/>
zum Komischen hatte, so war es naturlich, den Begriff so fortzubilden, daß<lb/>
man für diese Dichtungsart die humoristische Darstellung wählte. So schildert<lb/>
Gleim in launiger Weise in dem Gedichte &#x201E;Des Liebchens Geist" (Körte III,<lb/>
190), wie der vermeintliche Geist, der in Liebchens Kammer eindrang und<lb/>
es erschreckte, er selber war. Auch Hölty stellt in &#x201E;Apoll und Daphne" mehr<lb/>
humoristisch als in dem grausigen Ton der Mordgeschichten dar, wie Daphne<lb/>
in einen Lorbeerbaum verwandelt wird und nun gar noch die Köche in ihrem<lb/>
Haar zausen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1457"> Ebenso natürlich ist es, daß sich der Begriff der Romanze dem der Satire<lb/>
nähert, indem der Dichter das Komische der von ihm geschilderten Verhältnisse<lb/>
von seinem Standpunkt aus verspottet. Schon Gleim liebte es, in seine<lb/>
Romanzen satirische Bemerkungen einzustreuen. In der &#x201E;Marianne" fügt er,<lb/>
nachdem er die Vorbereitungen zur Hochzeit geschilderthat, hinzu: Ein Haufen<lb/>
Anverwandter freut sich auf den Tanz, und Priester mit leerem Magen eilen<lb/>
zum Schmaus. Noch weiter ging Götter. Seine Romanze &#x201E;Die Trauer" ist<lb/>
weiter nichts als eine Satire auf die Modesucht der Frauen, wie seine Blau-<lb/>
bartromauze eine Satire auf ihre Neugier.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1458"> Gewöhnlicher aber war es, daß man, was die Satire nur verhüllt durch<lb/>
Spott andeutet, als gute Lehre am Schluß offen aussprach, sodaß man damit<lb/>
nach der Seite des Lehrgedichts hinüberschwankte. Wie in der ältern Zeit<lb/>
Gleim fast alle Merkmale an dem Begriff der Romanze selber bestimmt hat,<lb/>
so ist er auch in dieser Nachahmung der Fabel späteren Dichtern vorange¬<lb/>
gangen. Am Schluß seiner &#x201E;Marianne" warnt er davor, daß Eltern ihre<lb/>
Kinder wider deren Willen zur Ehe zwingen. Ebenso fügt Schiebeler seiner<lb/>
Romanze &#x201E;Der Fall Vulkans" (Eschenburgs Ausgabe 1773^ S. 453) die Nutz¬<lb/>
anwendung bei:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_5" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Ballade und Romanze „possirliche und drolligte Art der Erzählung" für die Romanze und setzt seiner Sammlung ein Titelkupfer voran, das einen vor dem Volke deklamirenden Bänkelsänger darstellt. Auch Götter, der zwar in seiner Vorrede (1787, I, S. VII) die Bänkelsängerei eine Entwürdigung der Poesie nennt, hat in seiner ersten Romanze „Tarquin und Lucretia" (1769) Schiebelers mhthologisirende Art nachgeahmt; und seine zweite Romanze „Sibylle oder die strenge Mutter" ist eine Parodie von Gimils- „Marianne." Und anch noch Bürger hat in diesem Tone die „Prinzessin Europa," „Bacchus," „Menagerie der Götter" und „Frau Schnips" gedichtet. Da der Bänkelsängerton, den man ursprünglich als wesentliches Merkmal im dem Begriffe der Romanze betrachtete, von vorn herein eine starke Neigung zum Komischen hatte, so war es naturlich, den Begriff so fortzubilden, daß man für diese Dichtungsart die humoristische Darstellung wählte. So schildert Gleim in launiger Weise in dem Gedichte „Des Liebchens Geist" (Körte III, 190), wie der vermeintliche Geist, der in Liebchens Kammer eindrang und es erschreckte, er selber war. Auch Hölty stellt in „Apoll und Daphne" mehr humoristisch als in dem grausigen Ton der Mordgeschichten dar, wie Daphne in einen Lorbeerbaum verwandelt wird und nun gar noch die Köche in ihrem Haar zausen. Ebenso natürlich ist es, daß sich der Begriff der Romanze dem der Satire nähert, indem der Dichter das Komische der von ihm geschilderten Verhältnisse von seinem Standpunkt aus verspottet. Schon Gleim liebte es, in seine Romanzen satirische Bemerkungen einzustreuen. In der „Marianne" fügt er, nachdem er die Vorbereitungen zur Hochzeit geschilderthat, hinzu: Ein Haufen Anverwandter freut sich auf den Tanz, und Priester mit leerem Magen eilen zum Schmaus. Noch weiter ging Götter. Seine Romanze „Die Trauer" ist weiter nichts als eine Satire auf die Modesucht der Frauen, wie seine Blau- bartromauze eine Satire auf ihre Neugier. Gewöhnlicher aber war es, daß man, was die Satire nur verhüllt durch Spott andeutet, als gute Lehre am Schluß offen aussprach, sodaß man damit nach der Seite des Lehrgedichts hinüberschwankte. Wie in der ältern Zeit Gleim fast alle Merkmale an dem Begriff der Romanze selber bestimmt hat, so ist er auch in dieser Nachahmung der Fabel späteren Dichtern vorange¬ gangen. Am Schluß seiner „Marianne" warnt er davor, daß Eltern ihre Kinder wider deren Willen zur Ehe zwingen. Ebenso fügt Schiebeler seiner Romanze „Der Fall Vulkans" (Eschenburgs Ausgabe 1773^ S. 453) die Nutz¬ anwendung bei:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/520>, abgerufen am 01.09.2024.