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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ballade und Romanze

deutscher Sprache nennt, da man für die episch-lyrischen Dichtungen des Mittel¬
alters in Deutschland diese Benennung nicht anwandte. Da er aber nur den
Namen der Romanze aus seinen französischen oder spanischen Vorbildern
herübergenommen hatte, so blieb diese Bezeichnung allein in Gebrauch, bis
Bürger durch die Nachahmung der englischen Balladen, die von Percy 1765
herausgegeben waren, nicht allein den Namen der Ballade aufbrachte, sondern
auch für diese Dichtungsgattung der Urheber einer neuen Entwicklung wurde.
Er konnte daher mit gutem Grunde von sich sagen: "Alle, die nach mir Balladen
machen, werden meine ungezweifelten Vasallen sein und ihren Ton von mir
zu Lehen tragen." (Briefwechsel bei Strodtmaun I, 132).

Für jene erste Periode, in der die Romanze Gimils herrscht, und für
alle seine Nachahmer ist es nun bezeichnend, daß das Volkstümliche nicht als
ein eigner würdiger Inhalt der Dichtung betrachtet, sondern nur dazu ver¬
wandt wurde, das Lachen der Gebildeten zu erregen. Das Volkstümliche
wird, wie Prutz (Göttinger Dichterbund S. 257) treffend sagt, in jenen
Gedichten irvnisirt. Gleim hatte sich nach seiner eigenen Aussage die Romanzen
Mvnerifs zum Muster genommen und in ihnen ein "falsches, durch Über¬
treibung ins Komische umschlagende Pathos" gefunden, das ihn an die Gassen-
lieder der Jahrmärkte erinnerte. Dieselbe burlesk-satirische Darstellungsweise
sah er in den Romanzen Gongoras angewandt, die er mit I. G. Jacoby las
(Jacoby, Romanzen aus dem Spanischen des Gongora, Halle, 1767, S. 4);
daher glaubte er als der Romanze eigentümlich einen übertriebnen Bänkel-
sängcrtou, der komisch wirken soll, betrachten zu müssen. Freilich hatte er
anch das Naive an Gongoras Romanzen mit Jacoby bewundert. Er sagt
sogar: "Sie werdeu den Gongora desto höher schützen, wenn Sie in ver-
schiednen Romanzen die feinsten Empfindungen, die gar nichts ausschweifendes
haben, auf die simpelste Art ausgedrückt finden" (S. 35). Trotzdem war er
in seiner Auffassung des Nomcmzentons so fest, daß er in den Romanzen
"Der gute Tag" (Körte III, 174) und "Der schöne Bräutigam" (III, 163)
das Burleske erst durch eigue Zuthat hinzugefügt hat im Gegensatz zu seinen
spanischen Vorbildern. In einer Schlußnachricht erklärt er offen (bei Prutz
S- 258): "Je öfter dieser Versuch von den rühmlichen Virtuosen mit den
Stäben in der Hand künftig wird gesungen werden, je mehr wird der Ver¬
sasser glauben, daß er die rechte Sprache dieser Dichtart getroffen habe."

Dieser von Gleim in die Litteratur eingeführte Vänkelsängerton fand da¬
mals so großen Beifall, daß er lange Zeit herrschend war. Auch die Theore¬
tiker fanden ihn vollkommen berechtigt. So urteilt ein Rezensent in der
Bibliothek der schönen Wissenschaften (1767. IV, 2, S. 283) über die Romanzen
bon I. F. Löwen: "Die Erzählung ist drollicht, die Bersifikation leicht und
schicklich, der Nomanzenton ist getroffen." In gleicher Weise fordert der
Herausgeber der "Romanzen der Deutschen" (Leipzig, 1774, S. XI) eine


Ballade und Romanze

deutscher Sprache nennt, da man für die episch-lyrischen Dichtungen des Mittel¬
alters in Deutschland diese Benennung nicht anwandte. Da er aber nur den
Namen der Romanze aus seinen französischen oder spanischen Vorbildern
herübergenommen hatte, so blieb diese Bezeichnung allein in Gebrauch, bis
Bürger durch die Nachahmung der englischen Balladen, die von Percy 1765
herausgegeben waren, nicht allein den Namen der Ballade aufbrachte, sondern
auch für diese Dichtungsgattung der Urheber einer neuen Entwicklung wurde.
Er konnte daher mit gutem Grunde von sich sagen: „Alle, die nach mir Balladen
machen, werden meine ungezweifelten Vasallen sein und ihren Ton von mir
zu Lehen tragen." (Briefwechsel bei Strodtmaun I, 132).

Für jene erste Periode, in der die Romanze Gimils herrscht, und für
alle seine Nachahmer ist es nun bezeichnend, daß das Volkstümliche nicht als
ein eigner würdiger Inhalt der Dichtung betrachtet, sondern nur dazu ver¬
wandt wurde, das Lachen der Gebildeten zu erregen. Das Volkstümliche
wird, wie Prutz (Göttinger Dichterbund S. 257) treffend sagt, in jenen
Gedichten irvnisirt. Gleim hatte sich nach seiner eigenen Aussage die Romanzen
Mvnerifs zum Muster genommen und in ihnen ein „falsches, durch Über¬
treibung ins Komische umschlagende Pathos" gefunden, das ihn an die Gassen-
lieder der Jahrmärkte erinnerte. Dieselbe burlesk-satirische Darstellungsweise
sah er in den Romanzen Gongoras angewandt, die er mit I. G. Jacoby las
(Jacoby, Romanzen aus dem Spanischen des Gongora, Halle, 1767, S. 4);
daher glaubte er als der Romanze eigentümlich einen übertriebnen Bänkel-
sängcrtou, der komisch wirken soll, betrachten zu müssen. Freilich hatte er
anch das Naive an Gongoras Romanzen mit Jacoby bewundert. Er sagt
sogar: „Sie werdeu den Gongora desto höher schützen, wenn Sie in ver-
schiednen Romanzen die feinsten Empfindungen, die gar nichts ausschweifendes
haben, auf die simpelste Art ausgedrückt finden" (S. 35). Trotzdem war er
in seiner Auffassung des Nomcmzentons so fest, daß er in den Romanzen
"Der gute Tag" (Körte III, 174) und „Der schöne Bräutigam" (III, 163)
das Burleske erst durch eigue Zuthat hinzugefügt hat im Gegensatz zu seinen
spanischen Vorbildern. In einer Schlußnachricht erklärt er offen (bei Prutz
S- 258): „Je öfter dieser Versuch von den rühmlichen Virtuosen mit den
Stäben in der Hand künftig wird gesungen werden, je mehr wird der Ver¬
sasser glauben, daß er die rechte Sprache dieser Dichtart getroffen habe."

Dieser von Gleim in die Litteratur eingeführte Vänkelsängerton fand da¬
mals so großen Beifall, daß er lange Zeit herrschend war. Auch die Theore¬
tiker fanden ihn vollkommen berechtigt. So urteilt ein Rezensent in der
Bibliothek der schönen Wissenschaften (1767. IV, 2, S. 283) über die Romanzen
bon I. F. Löwen: „Die Erzählung ist drollicht, die Bersifikation leicht und
schicklich, der Nomanzenton ist getroffen." In gleicher Weise fordert der
Herausgeber der „Romanzen der Deutschen" (Leipzig, 1774, S. XI) eine


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[0519] Ballade und Romanze deutscher Sprache nennt, da man für die episch-lyrischen Dichtungen des Mittel¬ alters in Deutschland diese Benennung nicht anwandte. Da er aber nur den Namen der Romanze aus seinen französischen oder spanischen Vorbildern herübergenommen hatte, so blieb diese Bezeichnung allein in Gebrauch, bis Bürger durch die Nachahmung der englischen Balladen, die von Percy 1765 herausgegeben waren, nicht allein den Namen der Ballade aufbrachte, sondern auch für diese Dichtungsgattung der Urheber einer neuen Entwicklung wurde. Er konnte daher mit gutem Grunde von sich sagen: „Alle, die nach mir Balladen machen, werden meine ungezweifelten Vasallen sein und ihren Ton von mir zu Lehen tragen." (Briefwechsel bei Strodtmaun I, 132). Für jene erste Periode, in der die Romanze Gimils herrscht, und für alle seine Nachahmer ist es nun bezeichnend, daß das Volkstümliche nicht als ein eigner würdiger Inhalt der Dichtung betrachtet, sondern nur dazu ver¬ wandt wurde, das Lachen der Gebildeten zu erregen. Das Volkstümliche wird, wie Prutz (Göttinger Dichterbund S. 257) treffend sagt, in jenen Gedichten irvnisirt. Gleim hatte sich nach seiner eigenen Aussage die Romanzen Mvnerifs zum Muster genommen und in ihnen ein „falsches, durch Über¬ treibung ins Komische umschlagende Pathos" gefunden, das ihn an die Gassen- lieder der Jahrmärkte erinnerte. Dieselbe burlesk-satirische Darstellungsweise sah er in den Romanzen Gongoras angewandt, die er mit I. G. Jacoby las (Jacoby, Romanzen aus dem Spanischen des Gongora, Halle, 1767, S. 4); daher glaubte er als der Romanze eigentümlich einen übertriebnen Bänkel- sängcrtou, der komisch wirken soll, betrachten zu müssen. Freilich hatte er anch das Naive an Gongoras Romanzen mit Jacoby bewundert. Er sagt sogar: „Sie werdeu den Gongora desto höher schützen, wenn Sie in ver- schiednen Romanzen die feinsten Empfindungen, die gar nichts ausschweifendes haben, auf die simpelste Art ausgedrückt finden" (S. 35). Trotzdem war er in seiner Auffassung des Nomcmzentons so fest, daß er in den Romanzen "Der gute Tag" (Körte III, 174) und „Der schöne Bräutigam" (III, 163) das Burleske erst durch eigue Zuthat hinzugefügt hat im Gegensatz zu seinen spanischen Vorbildern. In einer Schlußnachricht erklärt er offen (bei Prutz S- 258): „Je öfter dieser Versuch von den rühmlichen Virtuosen mit den Stäben in der Hand künftig wird gesungen werden, je mehr wird der Ver¬ sasser glauben, daß er die rechte Sprache dieser Dichtart getroffen habe." Dieser von Gleim in die Litteratur eingeführte Vänkelsängerton fand da¬ mals so großen Beifall, daß er lange Zeit herrschend war. Auch die Theore¬ tiker fanden ihn vollkommen berechtigt. So urteilt ein Rezensent in der Bibliothek der schönen Wissenschaften (1767. IV, 2, S. 283) über die Romanzen bon I. F. Löwen: „Die Erzählung ist drollicht, die Bersifikation leicht und schicklich, der Nomanzenton ist getroffen." In gleicher Weise fordert der Herausgeber der „Romanzen der Deutschen" (Leipzig, 1774, S. XI) eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/519>, abgerufen am 06.10.2024.