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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ballade und Romanze

Wie Echtermeyer den Inhalt, glaubte Bischer den Stilunterschied der
beiden Dichtungsgattungen, wie er sich bei den Engländern und Spaniern
gebildet hat, zum Grundsatz der Teilung wählen zu müssen. Da die Ballade
einen bewegtem, ahnungsvollem, mehr andeutenden als zeichnenden Ton und
einen stoßartigen Gang hat, die spanische Romanze aber eine hellere, ruhigere,
mehr episch entwickelnde Behandlung, so muß man nach Bischer diesen Stil¬
gegensatz auch innerhalb der deutschen Litteratur mit jenen Namen bezeichnen.
Aber unsre Dichter haben meistenteils nicht einmal ein klares Bewußtsein von
jenem Stilgegensatz gehabt. Und selbst wenn das der Fall wäre, so müßte
man zunächst untersuchen, ob sie jenen Gegensatz in der Ausführung auch
wirklich beachtet haben oder nicht.

Einen noch unsichrem Weg schlägt Gottschall (Poetik, 1858, S. 286 und
376) ein. Im allgemeinen stimmt er zwar mit Bischer überein, aber dann
legt er den größern Nachdruck darauf, daß die Ballade wesentlich lyrisch, die
Romanze vorwiegend episch sei. Umgekehrt nennt wieder Götzinger (Deutsche
Dichter erläutert I, 33) die Ballade ein episch-lyrisches, die Romanze ein
lyrisch-episches Gedicht und spricht von ganz lyrischen Romanzen, denen die
epische Grundlage der Begebenheit, die wir doch in der Ballade fordern, fehle.
Endlich wollte Wackernagel (Poetik S. 99 ff.) das Versmaß als Merkmal der
Unterscheidung betrachtet wissen. Gedichte, die in dem spanischen Maß der
trochäischen Tetrameter mit durchlaufender Assonanz verfaßt sind, können nach
seiner Meinung nur Romanzen heißen, da die Ballade die Strophenform vor¬
zieht. Aber Wackernagel neigt trotzdem schon der Meinung zu, daß die beiden
Namen Ballade und Romanze im Grunde dasselbe bedeuten, nnr sei der
eine spanisch, der andere englisch. So blieb nur noch der einzige Ausweg
übrig, den Düntzer wählt. Nach seiner Ansicht ist auch das Merkmal des
Versmaßes unzureichend, um Ballade und Romanze von einander zu sondern
(Erläuterung zu Goethes lyrischen Gedichten II, 277); beide Dichtungsformen
lassen überhaupt gar keine Scheidung zu.

Dieser ganze Streit über den Begriff der Ballade und der Romanze läßt
sich nur dadurch entscheiden, daß man feststellt, wie unsre Dichter des acht¬
zehnten Jahrhunderts, um die es sich doch hier zunächst handelt, die beiden
Bezeichnungen verwendet haben. Man muß sich fragen: haben sie jene beiden
fremdländischen Dichtungsformen klar gesondert, oder haben sie die Merkmale
so vermischt und mit eigentümlich deutschem Wesen so durchsetzt, daß eine
Scheidung unmöglich erscheint? Jedenfalls müssen wir uns die Autwort auf
diese Frage bei unsern eignen Dichtern holen.

In der Entwicklung der episch-lyrischen Dichtung des achtzehnten Jahr¬
hunderts lassen sich zwei Perioden von einander trennen. Die erste wird ein¬
geleitet durch Gleims in den Jahren 1756 und 1758 erschienene Romanzen,
die er selbst mit- Recht (Vorrede bei Körte III, 91) die ersten Romanzen in


Ballade und Romanze

Wie Echtermeyer den Inhalt, glaubte Bischer den Stilunterschied der
beiden Dichtungsgattungen, wie er sich bei den Engländern und Spaniern
gebildet hat, zum Grundsatz der Teilung wählen zu müssen. Da die Ballade
einen bewegtem, ahnungsvollem, mehr andeutenden als zeichnenden Ton und
einen stoßartigen Gang hat, die spanische Romanze aber eine hellere, ruhigere,
mehr episch entwickelnde Behandlung, so muß man nach Bischer diesen Stil¬
gegensatz auch innerhalb der deutschen Litteratur mit jenen Namen bezeichnen.
Aber unsre Dichter haben meistenteils nicht einmal ein klares Bewußtsein von
jenem Stilgegensatz gehabt. Und selbst wenn das der Fall wäre, so müßte
man zunächst untersuchen, ob sie jenen Gegensatz in der Ausführung auch
wirklich beachtet haben oder nicht.

Einen noch unsichrem Weg schlägt Gottschall (Poetik, 1858, S. 286 und
376) ein. Im allgemeinen stimmt er zwar mit Bischer überein, aber dann
legt er den größern Nachdruck darauf, daß die Ballade wesentlich lyrisch, die
Romanze vorwiegend episch sei. Umgekehrt nennt wieder Götzinger (Deutsche
Dichter erläutert I, 33) die Ballade ein episch-lyrisches, die Romanze ein
lyrisch-episches Gedicht und spricht von ganz lyrischen Romanzen, denen die
epische Grundlage der Begebenheit, die wir doch in der Ballade fordern, fehle.
Endlich wollte Wackernagel (Poetik S. 99 ff.) das Versmaß als Merkmal der
Unterscheidung betrachtet wissen. Gedichte, die in dem spanischen Maß der
trochäischen Tetrameter mit durchlaufender Assonanz verfaßt sind, können nach
seiner Meinung nur Romanzen heißen, da die Ballade die Strophenform vor¬
zieht. Aber Wackernagel neigt trotzdem schon der Meinung zu, daß die beiden
Namen Ballade und Romanze im Grunde dasselbe bedeuten, nnr sei der
eine spanisch, der andere englisch. So blieb nur noch der einzige Ausweg
übrig, den Düntzer wählt. Nach seiner Ansicht ist auch das Merkmal des
Versmaßes unzureichend, um Ballade und Romanze von einander zu sondern
(Erläuterung zu Goethes lyrischen Gedichten II, 277); beide Dichtungsformen
lassen überhaupt gar keine Scheidung zu.

Dieser ganze Streit über den Begriff der Ballade und der Romanze läßt
sich nur dadurch entscheiden, daß man feststellt, wie unsre Dichter des acht¬
zehnten Jahrhunderts, um die es sich doch hier zunächst handelt, die beiden
Bezeichnungen verwendet haben. Man muß sich fragen: haben sie jene beiden
fremdländischen Dichtungsformen klar gesondert, oder haben sie die Merkmale
so vermischt und mit eigentümlich deutschem Wesen so durchsetzt, daß eine
Scheidung unmöglich erscheint? Jedenfalls müssen wir uns die Autwort auf
diese Frage bei unsern eignen Dichtern holen.

In der Entwicklung der episch-lyrischen Dichtung des achtzehnten Jahr¬
hunderts lassen sich zwei Perioden von einander trennen. Die erste wird ein¬
geleitet durch Gleims in den Jahren 1756 und 1758 erschienene Romanzen,
die er selbst mit- Recht (Vorrede bei Körte III, 91) die ersten Romanzen in


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[0518] Ballade und Romanze Wie Echtermeyer den Inhalt, glaubte Bischer den Stilunterschied der beiden Dichtungsgattungen, wie er sich bei den Engländern und Spaniern gebildet hat, zum Grundsatz der Teilung wählen zu müssen. Da die Ballade einen bewegtem, ahnungsvollem, mehr andeutenden als zeichnenden Ton und einen stoßartigen Gang hat, die spanische Romanze aber eine hellere, ruhigere, mehr episch entwickelnde Behandlung, so muß man nach Bischer diesen Stil¬ gegensatz auch innerhalb der deutschen Litteratur mit jenen Namen bezeichnen. Aber unsre Dichter haben meistenteils nicht einmal ein klares Bewußtsein von jenem Stilgegensatz gehabt. Und selbst wenn das der Fall wäre, so müßte man zunächst untersuchen, ob sie jenen Gegensatz in der Ausführung auch wirklich beachtet haben oder nicht. Einen noch unsichrem Weg schlägt Gottschall (Poetik, 1858, S. 286 und 376) ein. Im allgemeinen stimmt er zwar mit Bischer überein, aber dann legt er den größern Nachdruck darauf, daß die Ballade wesentlich lyrisch, die Romanze vorwiegend episch sei. Umgekehrt nennt wieder Götzinger (Deutsche Dichter erläutert I, 33) die Ballade ein episch-lyrisches, die Romanze ein lyrisch-episches Gedicht und spricht von ganz lyrischen Romanzen, denen die epische Grundlage der Begebenheit, die wir doch in der Ballade fordern, fehle. Endlich wollte Wackernagel (Poetik S. 99 ff.) das Versmaß als Merkmal der Unterscheidung betrachtet wissen. Gedichte, die in dem spanischen Maß der trochäischen Tetrameter mit durchlaufender Assonanz verfaßt sind, können nach seiner Meinung nur Romanzen heißen, da die Ballade die Strophenform vor¬ zieht. Aber Wackernagel neigt trotzdem schon der Meinung zu, daß die beiden Namen Ballade und Romanze im Grunde dasselbe bedeuten, nnr sei der eine spanisch, der andere englisch. So blieb nur noch der einzige Ausweg übrig, den Düntzer wählt. Nach seiner Ansicht ist auch das Merkmal des Versmaßes unzureichend, um Ballade und Romanze von einander zu sondern (Erläuterung zu Goethes lyrischen Gedichten II, 277); beide Dichtungsformen lassen überhaupt gar keine Scheidung zu. Dieser ganze Streit über den Begriff der Ballade und der Romanze läßt sich nur dadurch entscheiden, daß man feststellt, wie unsre Dichter des acht¬ zehnten Jahrhunderts, um die es sich doch hier zunächst handelt, die beiden Bezeichnungen verwendet haben. Man muß sich fragen: haben sie jene beiden fremdländischen Dichtungsformen klar gesondert, oder haben sie die Merkmale so vermischt und mit eigentümlich deutschem Wesen so durchsetzt, daß eine Scheidung unmöglich erscheint? Jedenfalls müssen wir uns die Autwort auf diese Frage bei unsern eignen Dichtern holen. In der Entwicklung der episch-lyrischen Dichtung des achtzehnten Jahr¬ hunderts lassen sich zwei Perioden von einander trennen. Die erste wird ein¬ geleitet durch Gleims in den Jahren 1756 und 1758 erschienene Romanzen, die er selbst mit- Recht (Vorrede bei Körte III, 91) die ersten Romanzen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/518>, abgerufen am 23.11.2024.