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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die geographische Lage Deutschlands

Deutschland zusteht. Als auch hier Deutschland wieder in seine natürlichen
Rechte eintrat, mußte es also wesentlich unter Zurückdrängung des dänischen
Einflusses geschehen.

Daß ein so zentraler Staat wie Deutschland eine europäische Notwendigkeit
sei, ist nicht bloß oft ausgesprochen worden, die Geschichte hat es schlagend
bewiesen. Wenn es in großen geschichtlichen Auseinandersetzungen darauf
ankam, unsicher gewordne Staatsverhältnisse Europas neu zu ordnen, ins
Schwanken gekommne Einrichtungen neu zu befestigen, hat sich der Eindruck
dieser Lage auf die' umgebenden Mächte immer deutlich gezeigt. Jedesmal
wenn Frankreich zu mächtig geworden war. haben es die andern großen Mächte
nötig gefunden, das Reich, später Preußen oder den deutschen Bund zu
stützen. Deswegen standen Ludwig dem XIV. wie Napoleon dem I., wenn
Deutschland in Gefahr war, den Kürzern zu ziehen, endlich doch immer
europäische Koalitionen gegenüber, und besonders der Abschluß der letzten
großen Kämpfe Europas gegen Napoleon I. von 1813 bis 1815 drehte sich
meist um die Wiederherstellung Preußens und in irgend einem blassen Nach¬
glanz" um die des deutschen Reichs. Nur reichte natürlich das Wohlwollen
oder die Einsicht der fremden Mächte nie dazu aus, Deutschland so stark zu
machen, wie es zu diesem Zwecke sein sollte und mußte. Das konnte nur
aus ihm selbst kommen. Aber gerade zu der in dieser Lage doppelt not¬
wendigen Zusammenfassung kam es so schwer, denn die außenliegenden Nach¬
barn erkannten gar wohl die Bedeutung dieser mittlern Lage für sich selbst.
Nach der Mitte zu drängt ganz Europa in Krieg und Frieden. Hier treffen sich
Völker-, Heeres- und Warenzüge. Die politischen Mächte wollen hier ihren
Bestrebungen einen Rückhalt sichern, hier ihre Macht gleichsam vor Anker
legen, von hier aus vor allem auf andre Peripherien wirken. Hannover
und Helgoland in den Händen Englands, Schleswig-Holstein und Lauenburg
in denen Dänemarks, Vorpommern und Bremen in denen Schwedens, Luxem¬
burg und Limburg in denen der Niederlande, Lothringen und Elsaß in denen
Frankreichs, Mülhausen und Rottenburg mit der Schweiz, die deutsch-öster¬
reichische Länder mit slawischen, magyarischen und italienischen verbunden,
von Polen und dann von Rußland aus die Weichsel- und Pregclländer
besetzt oder bedroht -- es giebt kein deutsches Grenzland, das nicht in fremden
Händen gewesen wäre, und viele ost und lange. Zu einer Zeit waren die
Mündungen aller deutschen Ströme an die Fremden verloren vom Rhein bis
Zur Weichsel. Ein Wunder, daß noch ein deutscher Kern übrig blieb! Und
dieser Kern, man denke an Baiern und Sachsen, wußte nichts von deutscher,
sondern trieb französische, römische, polnische Politik! Und endlich, welcher
Tummelplatz politischer Pläne auf diesem Boden, wo nicht bloß Frankreich
seine Republik und Rußland seine Autokratie, sondern selbst Schweden und die
Schweiz ihre "besten Verfassungen" anzupflanzen suchten.


Die geographische Lage Deutschlands

Deutschland zusteht. Als auch hier Deutschland wieder in seine natürlichen
Rechte eintrat, mußte es also wesentlich unter Zurückdrängung des dänischen
Einflusses geschehen.

Daß ein so zentraler Staat wie Deutschland eine europäische Notwendigkeit
sei, ist nicht bloß oft ausgesprochen worden, die Geschichte hat es schlagend
bewiesen. Wenn es in großen geschichtlichen Auseinandersetzungen darauf
ankam, unsicher gewordne Staatsverhältnisse Europas neu zu ordnen, ins
Schwanken gekommne Einrichtungen neu zu befestigen, hat sich der Eindruck
dieser Lage auf die' umgebenden Mächte immer deutlich gezeigt. Jedesmal
wenn Frankreich zu mächtig geworden war. haben es die andern großen Mächte
nötig gefunden, das Reich, später Preußen oder den deutschen Bund zu
stützen. Deswegen standen Ludwig dem XIV. wie Napoleon dem I., wenn
Deutschland in Gefahr war, den Kürzern zu ziehen, endlich doch immer
europäische Koalitionen gegenüber, und besonders der Abschluß der letzten
großen Kämpfe Europas gegen Napoleon I. von 1813 bis 1815 drehte sich
meist um die Wiederherstellung Preußens und in irgend einem blassen Nach¬
glanz« um die des deutschen Reichs. Nur reichte natürlich das Wohlwollen
oder die Einsicht der fremden Mächte nie dazu aus, Deutschland so stark zu
machen, wie es zu diesem Zwecke sein sollte und mußte. Das konnte nur
aus ihm selbst kommen. Aber gerade zu der in dieser Lage doppelt not¬
wendigen Zusammenfassung kam es so schwer, denn die außenliegenden Nach¬
barn erkannten gar wohl die Bedeutung dieser mittlern Lage für sich selbst.
Nach der Mitte zu drängt ganz Europa in Krieg und Frieden. Hier treffen sich
Völker-, Heeres- und Warenzüge. Die politischen Mächte wollen hier ihren
Bestrebungen einen Rückhalt sichern, hier ihre Macht gleichsam vor Anker
legen, von hier aus vor allem auf andre Peripherien wirken. Hannover
und Helgoland in den Händen Englands, Schleswig-Holstein und Lauenburg
in denen Dänemarks, Vorpommern und Bremen in denen Schwedens, Luxem¬
burg und Limburg in denen der Niederlande, Lothringen und Elsaß in denen
Frankreichs, Mülhausen und Rottenburg mit der Schweiz, die deutsch-öster¬
reichische Länder mit slawischen, magyarischen und italienischen verbunden,
von Polen und dann von Rußland aus die Weichsel- und Pregclländer
besetzt oder bedroht — es giebt kein deutsches Grenzland, das nicht in fremden
Händen gewesen wäre, und viele ost und lange. Zu einer Zeit waren die
Mündungen aller deutschen Ströme an die Fremden verloren vom Rhein bis
Zur Weichsel. Ein Wunder, daß noch ein deutscher Kern übrig blieb! Und
dieser Kern, man denke an Baiern und Sachsen, wußte nichts von deutscher,
sondern trieb französische, römische, polnische Politik! Und endlich, welcher
Tummelplatz politischer Pläne auf diesem Boden, wo nicht bloß Frankreich
seine Republik und Rußland seine Autokratie, sondern selbst Schweden und die
Schweiz ihre „besten Verfassungen" anzupflanzen suchten.


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[0463] Die geographische Lage Deutschlands Deutschland zusteht. Als auch hier Deutschland wieder in seine natürlichen Rechte eintrat, mußte es also wesentlich unter Zurückdrängung des dänischen Einflusses geschehen. Daß ein so zentraler Staat wie Deutschland eine europäische Notwendigkeit sei, ist nicht bloß oft ausgesprochen worden, die Geschichte hat es schlagend bewiesen. Wenn es in großen geschichtlichen Auseinandersetzungen darauf ankam, unsicher gewordne Staatsverhältnisse Europas neu zu ordnen, ins Schwanken gekommne Einrichtungen neu zu befestigen, hat sich der Eindruck dieser Lage auf die' umgebenden Mächte immer deutlich gezeigt. Jedesmal wenn Frankreich zu mächtig geworden war. haben es die andern großen Mächte nötig gefunden, das Reich, später Preußen oder den deutschen Bund zu stützen. Deswegen standen Ludwig dem XIV. wie Napoleon dem I., wenn Deutschland in Gefahr war, den Kürzern zu ziehen, endlich doch immer europäische Koalitionen gegenüber, und besonders der Abschluß der letzten großen Kämpfe Europas gegen Napoleon I. von 1813 bis 1815 drehte sich meist um die Wiederherstellung Preußens und in irgend einem blassen Nach¬ glanz« um die des deutschen Reichs. Nur reichte natürlich das Wohlwollen oder die Einsicht der fremden Mächte nie dazu aus, Deutschland so stark zu machen, wie es zu diesem Zwecke sein sollte und mußte. Das konnte nur aus ihm selbst kommen. Aber gerade zu der in dieser Lage doppelt not¬ wendigen Zusammenfassung kam es so schwer, denn die außenliegenden Nach¬ barn erkannten gar wohl die Bedeutung dieser mittlern Lage für sich selbst. Nach der Mitte zu drängt ganz Europa in Krieg und Frieden. Hier treffen sich Völker-, Heeres- und Warenzüge. Die politischen Mächte wollen hier ihren Bestrebungen einen Rückhalt sichern, hier ihre Macht gleichsam vor Anker legen, von hier aus vor allem auf andre Peripherien wirken. Hannover und Helgoland in den Händen Englands, Schleswig-Holstein und Lauenburg in denen Dänemarks, Vorpommern und Bremen in denen Schwedens, Luxem¬ burg und Limburg in denen der Niederlande, Lothringen und Elsaß in denen Frankreichs, Mülhausen und Rottenburg mit der Schweiz, die deutsch-öster¬ reichische Länder mit slawischen, magyarischen und italienischen verbunden, von Polen und dann von Rußland aus die Weichsel- und Pregclländer besetzt oder bedroht — es giebt kein deutsches Grenzland, das nicht in fremden Händen gewesen wäre, und viele ost und lange. Zu einer Zeit waren die Mündungen aller deutschen Ströme an die Fremden verloren vom Rhein bis Zur Weichsel. Ein Wunder, daß noch ein deutscher Kern übrig blieb! Und dieser Kern, man denke an Baiern und Sachsen, wußte nichts von deutscher, sondern trieb französische, römische, polnische Politik! Und endlich, welcher Tummelplatz politischer Pläne auf diesem Boden, wo nicht bloß Frankreich seine Republik und Rußland seine Autokratie, sondern selbst Schweden und die Schweiz ihre „besten Verfassungen" anzupflanzen suchten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/463>, abgerufen am 01.09.2024.