Indem diese Übergriffe in eine Zeit hineinragen, wo unser Volk geistig und wirtschaftlich wieder zu erstarken begann, trat dann der eigentümliche Zu¬ stand ein, daß sich Deutschland jenseits seiner eignen Sphäre kräftig und frei zur Geltung brachte, während es sich in deren engem Kreis in der mühseligsten Weise um Licht und Luft zu quälen hatte. Im atlantischen Verkehr die Niederlande und Frankreich hinter sich zu lassen, ganz zu schweigen von Dänemark und den längst zurückgegangnen iberischen Mächten, und dabei in seinem wichtigsten Seeplatz Hamburg, durch Dünemark und England unmittelbar eingeengt, ja bedroht zu sein -- dieser Widerspruch konnte nicht auf die Dauer bestehen. Ganz naturgemäß gingen daher von geistigen und wirtschaftlichen Gebieten die Bestrebungen nach Erstarkung im Heimatsgebiet aus, und zum Teil so, daß sie von außen zurückkehrten und zurückwirkten. Während Dichter, Germanisten, Historiker an dem Ideal eines wiedererstandnen, d. h. der Vorteile seiner Lage wieder mächtig gewordnen Deutschlands bauten, forderte die Wirt¬ schaft Zollverein und Flotte. Ein glücklicher Zufall ließ diese Bewegungen in das beginnende Zeitalter der Eisenbahnen fallen, die den Vorzug der mittel¬ europäischen Verkehrslage und zugleich die Befestigung des innern Zusammen¬ hangs durch Förderung des Verkehrs zum Bewußtsein brachten.
Mitten in dieser Bewegung blieb Deutschland noch immer der geistige Markt, wo die Gedanken von Europa ausgeboten und umgesetzt wurden. Das ist freilich auch in seiner Lage begründet. Deutschland hat zwischen Ost und West und Nord und Süd auf geistigem Gebiet immer den Vermittler gespielt. Noch in unserm Jahrhundert gewann von den jungen Litteraturen des Ostens der Westen zuerst Kunde von Deutschland her. Wenn auch tief wurzelnde Verwandtschaft die Rumänen nach Frankreich, die Südslawen nach Rußland zog, der deutsche Einfluß auf sie ist doch mächtig gewesen. Von keinem Lande wurde aber auch soviel aufgenommen, in keinem soviel übersetzt, nirgends ist die Übersetzungskunst so hoch gediehen. Von hier ist der Gedanke der Welt¬ litteratur ausgegangen, ebenso wie die Würdigung der "Völkerstimmen." Herder hat mit gleicher Liebe die Volksseele der Lappen wie die der Spanier aus ihren Liedern herauszufühlen gesucht, und viel schönes wäre von denen zu berichten, die ihm nach durch die Wälder und Büsche der Volksdichtung strichen und fremde Stimmen verdolmetschten, das Beste von denen, die, wie Rückert, im Wiedergeben ihr Eignes zu bringen nicht verlernten.
Mag es so bleiben. Denn zum Glück ist nun die Notwendigkeit des Zu¬ sammenhangs der geistigen Aufgeschlosfenheit mit der politischen Grenz- und Schutzlosigkeit, die die Fremden so gern nachweisen wollten, widerlegt. Nicht zu einem unselbständigen Organ der geistigen Vermittlung, sondern zu einem Politisch starken und geistig freien Kernland ist Deutschlnud in Europa berufen.
Die geographische Lage Deutschlands
Indem diese Übergriffe in eine Zeit hineinragen, wo unser Volk geistig und wirtschaftlich wieder zu erstarken begann, trat dann der eigentümliche Zu¬ stand ein, daß sich Deutschland jenseits seiner eignen Sphäre kräftig und frei zur Geltung brachte, während es sich in deren engem Kreis in der mühseligsten Weise um Licht und Luft zu quälen hatte. Im atlantischen Verkehr die Niederlande und Frankreich hinter sich zu lassen, ganz zu schweigen von Dänemark und den längst zurückgegangnen iberischen Mächten, und dabei in seinem wichtigsten Seeplatz Hamburg, durch Dünemark und England unmittelbar eingeengt, ja bedroht zu sein — dieser Widerspruch konnte nicht auf die Dauer bestehen. Ganz naturgemäß gingen daher von geistigen und wirtschaftlichen Gebieten die Bestrebungen nach Erstarkung im Heimatsgebiet aus, und zum Teil so, daß sie von außen zurückkehrten und zurückwirkten. Während Dichter, Germanisten, Historiker an dem Ideal eines wiedererstandnen, d. h. der Vorteile seiner Lage wieder mächtig gewordnen Deutschlands bauten, forderte die Wirt¬ schaft Zollverein und Flotte. Ein glücklicher Zufall ließ diese Bewegungen in das beginnende Zeitalter der Eisenbahnen fallen, die den Vorzug der mittel¬ europäischen Verkehrslage und zugleich die Befestigung des innern Zusammen¬ hangs durch Förderung des Verkehrs zum Bewußtsein brachten.
Mitten in dieser Bewegung blieb Deutschland noch immer der geistige Markt, wo die Gedanken von Europa ausgeboten und umgesetzt wurden. Das ist freilich auch in seiner Lage begründet. Deutschland hat zwischen Ost und West und Nord und Süd auf geistigem Gebiet immer den Vermittler gespielt. Noch in unserm Jahrhundert gewann von den jungen Litteraturen des Ostens der Westen zuerst Kunde von Deutschland her. Wenn auch tief wurzelnde Verwandtschaft die Rumänen nach Frankreich, die Südslawen nach Rußland zog, der deutsche Einfluß auf sie ist doch mächtig gewesen. Von keinem Lande wurde aber auch soviel aufgenommen, in keinem soviel übersetzt, nirgends ist die Übersetzungskunst so hoch gediehen. Von hier ist der Gedanke der Welt¬ litteratur ausgegangen, ebenso wie die Würdigung der „Völkerstimmen." Herder hat mit gleicher Liebe die Volksseele der Lappen wie die der Spanier aus ihren Liedern herauszufühlen gesucht, und viel schönes wäre von denen zu berichten, die ihm nach durch die Wälder und Büsche der Volksdichtung strichen und fremde Stimmen verdolmetschten, das Beste von denen, die, wie Rückert, im Wiedergeben ihr Eignes zu bringen nicht verlernten.
Mag es so bleiben. Denn zum Glück ist nun die Notwendigkeit des Zu¬ sammenhangs der geistigen Aufgeschlosfenheit mit der politischen Grenz- und Schutzlosigkeit, die die Fremden so gern nachweisen wollten, widerlegt. Nicht zu einem unselbständigen Organ der geistigen Vermittlung, sondern zu einem Politisch starken und geistig freien Kernland ist Deutschlnud in Europa berufen.
<TEI><text><body><div><divn="1"><pbfacs="#f0464"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223406"/><fwtype="header"place="top"> Die geographische Lage Deutschlands</fw><lb/><pxml:id="ID_1313"> Indem diese Übergriffe in eine Zeit hineinragen, wo unser Volk geistig<lb/>
und wirtschaftlich wieder zu erstarken begann, trat dann der eigentümliche Zu¬<lb/>
stand ein, daß sich Deutschland jenseits seiner eignen Sphäre kräftig und frei zur<lb/>
Geltung brachte, während es sich in deren engem Kreis in der mühseligsten<lb/>
Weise um Licht und Luft zu quälen hatte. Im atlantischen Verkehr die<lb/>
Niederlande und Frankreich hinter sich zu lassen, ganz zu schweigen von<lb/>
Dänemark und den längst zurückgegangnen iberischen Mächten, und dabei in<lb/>
seinem wichtigsten Seeplatz Hamburg, durch Dünemark und England unmittelbar<lb/>
eingeengt, ja bedroht zu sein — dieser Widerspruch konnte nicht auf die Dauer<lb/>
bestehen. Ganz naturgemäß gingen daher von geistigen und wirtschaftlichen<lb/>
Gebieten die Bestrebungen nach Erstarkung im Heimatsgebiet aus, und zum<lb/>
Teil so, daß sie von außen zurückkehrten und zurückwirkten. Während Dichter,<lb/>
Germanisten, Historiker an dem Ideal eines wiedererstandnen, d. h. der Vorteile<lb/>
seiner Lage wieder mächtig gewordnen Deutschlands bauten, forderte die Wirt¬<lb/>
schaft Zollverein und Flotte. Ein glücklicher Zufall ließ diese Bewegungen in<lb/>
das beginnende Zeitalter der Eisenbahnen fallen, die den Vorzug der mittel¬<lb/>
europäischen Verkehrslage und zugleich die Befestigung des innern Zusammen¬<lb/>
hangs durch Förderung des Verkehrs zum Bewußtsein brachten.</p><lb/><pxml:id="ID_1314"> Mitten in dieser Bewegung blieb Deutschland noch immer der geistige<lb/>
Markt, wo die Gedanken von Europa ausgeboten und umgesetzt wurden. Das<lb/>
ist freilich auch in seiner Lage begründet. Deutschland hat zwischen Ost und<lb/>
West und Nord und Süd auf geistigem Gebiet immer den Vermittler gespielt.<lb/>
Noch in unserm Jahrhundert gewann von den jungen Litteraturen des Ostens<lb/>
der Westen zuerst Kunde von Deutschland her. Wenn auch tief wurzelnde<lb/>
Verwandtschaft die Rumänen nach Frankreich, die Südslawen nach Rußland<lb/>
zog, der deutsche Einfluß auf sie ist doch mächtig gewesen. Von keinem Lande<lb/>
wurde aber auch soviel aufgenommen, in keinem soviel übersetzt, nirgends ist<lb/>
die Übersetzungskunst so hoch gediehen. Von hier ist der Gedanke der Welt¬<lb/>
litteratur ausgegangen, ebenso wie die Würdigung der „Völkerstimmen." Herder<lb/>
hat mit gleicher Liebe die Volksseele der Lappen wie die der Spanier aus ihren<lb/>
Liedern herauszufühlen gesucht, und viel schönes wäre von denen zu berichten,<lb/>
die ihm nach durch die Wälder und Büsche der Volksdichtung strichen und<lb/>
fremde Stimmen verdolmetschten, das Beste von denen, die, wie Rückert, im<lb/>
Wiedergeben ihr Eignes zu bringen nicht verlernten.</p><lb/><pxml:id="ID_1315"> Mag es so bleiben. Denn zum Glück ist nun die Notwendigkeit des Zu¬<lb/>
sammenhangs der geistigen Aufgeschlosfenheit mit der politischen Grenz- und<lb/>
Schutzlosigkeit, die die Fremden so gern nachweisen wollten, widerlegt. Nicht<lb/>
zu einem unselbständigen Organ der geistigen Vermittlung, sondern zu einem<lb/>
Politisch starken und geistig freien Kernland ist Deutschlnud in Europa berufen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0464]
Die geographische Lage Deutschlands
Indem diese Übergriffe in eine Zeit hineinragen, wo unser Volk geistig
und wirtschaftlich wieder zu erstarken begann, trat dann der eigentümliche Zu¬
stand ein, daß sich Deutschland jenseits seiner eignen Sphäre kräftig und frei zur
Geltung brachte, während es sich in deren engem Kreis in der mühseligsten
Weise um Licht und Luft zu quälen hatte. Im atlantischen Verkehr die
Niederlande und Frankreich hinter sich zu lassen, ganz zu schweigen von
Dänemark und den längst zurückgegangnen iberischen Mächten, und dabei in
seinem wichtigsten Seeplatz Hamburg, durch Dünemark und England unmittelbar
eingeengt, ja bedroht zu sein — dieser Widerspruch konnte nicht auf die Dauer
bestehen. Ganz naturgemäß gingen daher von geistigen und wirtschaftlichen
Gebieten die Bestrebungen nach Erstarkung im Heimatsgebiet aus, und zum
Teil so, daß sie von außen zurückkehrten und zurückwirkten. Während Dichter,
Germanisten, Historiker an dem Ideal eines wiedererstandnen, d. h. der Vorteile
seiner Lage wieder mächtig gewordnen Deutschlands bauten, forderte die Wirt¬
schaft Zollverein und Flotte. Ein glücklicher Zufall ließ diese Bewegungen in
das beginnende Zeitalter der Eisenbahnen fallen, die den Vorzug der mittel¬
europäischen Verkehrslage und zugleich die Befestigung des innern Zusammen¬
hangs durch Förderung des Verkehrs zum Bewußtsein brachten.
Mitten in dieser Bewegung blieb Deutschland noch immer der geistige
Markt, wo die Gedanken von Europa ausgeboten und umgesetzt wurden. Das
ist freilich auch in seiner Lage begründet. Deutschland hat zwischen Ost und
West und Nord und Süd auf geistigem Gebiet immer den Vermittler gespielt.
Noch in unserm Jahrhundert gewann von den jungen Litteraturen des Ostens
der Westen zuerst Kunde von Deutschland her. Wenn auch tief wurzelnde
Verwandtschaft die Rumänen nach Frankreich, die Südslawen nach Rußland
zog, der deutsche Einfluß auf sie ist doch mächtig gewesen. Von keinem Lande
wurde aber auch soviel aufgenommen, in keinem soviel übersetzt, nirgends ist
die Übersetzungskunst so hoch gediehen. Von hier ist der Gedanke der Welt¬
litteratur ausgegangen, ebenso wie die Würdigung der „Völkerstimmen." Herder
hat mit gleicher Liebe die Volksseele der Lappen wie die der Spanier aus ihren
Liedern herauszufühlen gesucht, und viel schönes wäre von denen zu berichten,
die ihm nach durch die Wälder und Büsche der Volksdichtung strichen und
fremde Stimmen verdolmetschten, das Beste von denen, die, wie Rückert, im
Wiedergeben ihr Eignes zu bringen nicht verlernten.
Mag es so bleiben. Denn zum Glück ist nun die Notwendigkeit des Zu¬
sammenhangs der geistigen Aufgeschlosfenheit mit der politischen Grenz- und
Schutzlosigkeit, die die Fremden so gern nachweisen wollten, widerlegt. Nicht
zu einem unselbständigen Organ der geistigen Vermittlung, sondern zu einem
Politisch starken und geistig freien Kernland ist Deutschlnud in Europa berufen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/464>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.