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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die geographische Lage Deutschlands
(Schluß)

inter Frankreich liegt der Atlantische Ozean, ja man kann sagen
die ganze neue Welt. Frankreich trennt uns zwar ans dem
geraden Wege davon, aber die Nordsee öffnet uns einen eignen
Zugang. Und dieser Zugang hat sogar für den Verkehr mit
England und Nordamerika seine geographischen Vorteile. So ist
also Frankreich für uns kein Hindernis auf dieser Seite. Anders liegt für uns
Osterreich auf den Wegen nach Osten und Süden. Zur Adria und zu den
Donauinündungen führen von Deutschland aus keine andern bequemen Wege
als durch Osterreich und Ungarn. Der Seeweg um ganz Europa herum ist uns
kein Ersatz für die durch Eisenbahnen immer kürzer werdenden Landwege. Es
ist also eins der größten politischen Probleme, wie Deutschland in den zum
selbständigen Eintreten geradezu auffordernden Hinterländern Österreichs bis
nach Kleinasien hin seine Interessen geltend machen kann, ohne sich allzu stark
an Osterreich zu reiben. Wird die Allianz aushalten, wenn sich Deutschland
bei der türkischen Erbteilung einen seiner Weltstellung und ausdehnungs¬
bedürftigen Volkszahl entsprechenden Anteil über Österreich weg sichern wollte?
Werden beide gemeinsame Sache machen, oder wird sich Deutschland seinen
eignen Weg zum östlichen Mittelmeer bahnen? Genau dieselben Probleme
stellt uns der Weg zur Adria, vielleicht noch näher und dringender.

Noch in anderm Sinne ist die Lage Österreichs zu Deutschland wesent¬
lich anders als die Frankreichs. Dentschland und Österreich verraten beide
in der Art, wie sie zu einander liegen, den alten geschichtlichen Zusammenhang.
Ihre Grenze ist nicht ein tiefer, zweckmäßig geführter Schnitt, wie die deutsch¬
französische, sondern mehr nur eine Fuge oder ein Riß. Daß Österreichs
Westseite höchst unregelmäßig gestaltet ist, muß natürlich eine entsprechende
Unregelmäßigkeit der Gestalt Deutschlands hervorrufen. Österreich-Ungarns
Westseite läuft in drei Teile aus, von denen einer, Böhmen, tief nach Deutsch¬
land hineindringt und die größte Verschmälerung Deutschlands und des
deutschen Sprachgebiets zwischen Taus und Avrieourt bewirkt, während der
andre, der aus den österreichischen Alpenländern besteht, Deutschland im Süden
umfaßt und von Italien trennt. Der dritte endlich, der am Adriatischen Meer
liegt und Jstrien, das Küstenland und Dalmatien umfaßt, ist für Deutschland

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Die geographische Lage Deutschlands
(Schluß)

inter Frankreich liegt der Atlantische Ozean, ja man kann sagen
die ganze neue Welt. Frankreich trennt uns zwar ans dem
geraden Wege davon, aber die Nordsee öffnet uns einen eignen
Zugang. Und dieser Zugang hat sogar für den Verkehr mit
England und Nordamerika seine geographischen Vorteile. So ist
also Frankreich für uns kein Hindernis auf dieser Seite. Anders liegt für uns
Osterreich auf den Wegen nach Osten und Süden. Zur Adria und zu den
Donauinündungen führen von Deutschland aus keine andern bequemen Wege
als durch Osterreich und Ungarn. Der Seeweg um ganz Europa herum ist uns
kein Ersatz für die durch Eisenbahnen immer kürzer werdenden Landwege. Es
ist also eins der größten politischen Probleme, wie Deutschland in den zum
selbständigen Eintreten geradezu auffordernden Hinterländern Österreichs bis
nach Kleinasien hin seine Interessen geltend machen kann, ohne sich allzu stark
an Osterreich zu reiben. Wird die Allianz aushalten, wenn sich Deutschland
bei der türkischen Erbteilung einen seiner Weltstellung und ausdehnungs¬
bedürftigen Volkszahl entsprechenden Anteil über Österreich weg sichern wollte?
Werden beide gemeinsame Sache machen, oder wird sich Deutschland seinen
eignen Weg zum östlichen Mittelmeer bahnen? Genau dieselben Probleme
stellt uns der Weg zur Adria, vielleicht noch näher und dringender.

Noch in anderm Sinne ist die Lage Österreichs zu Deutschland wesent¬
lich anders als die Frankreichs. Dentschland und Österreich verraten beide
in der Art, wie sie zu einander liegen, den alten geschichtlichen Zusammenhang.
Ihre Grenze ist nicht ein tiefer, zweckmäßig geführter Schnitt, wie die deutsch¬
französische, sondern mehr nur eine Fuge oder ein Riß. Daß Österreichs
Westseite höchst unregelmäßig gestaltet ist, muß natürlich eine entsprechende
Unregelmäßigkeit der Gestalt Deutschlands hervorrufen. Österreich-Ungarns
Westseite läuft in drei Teile aus, von denen einer, Böhmen, tief nach Deutsch¬
land hineindringt und die größte Verschmälerung Deutschlands und des
deutschen Sprachgebiets zwischen Taus und Avrieourt bewirkt, während der
andre, der aus den österreichischen Alpenländern besteht, Deutschland im Süden
umfaßt und von Italien trennt. Der dritte endlich, der am Adriatischen Meer
liegt und Jstrien, das Küstenland und Dalmatien umfaßt, ist für Deutschland

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[0458] [Abbildung] Die geographische Lage Deutschlands (Schluß) inter Frankreich liegt der Atlantische Ozean, ja man kann sagen die ganze neue Welt. Frankreich trennt uns zwar ans dem geraden Wege davon, aber die Nordsee öffnet uns einen eignen Zugang. Und dieser Zugang hat sogar für den Verkehr mit England und Nordamerika seine geographischen Vorteile. So ist also Frankreich für uns kein Hindernis auf dieser Seite. Anders liegt für uns Osterreich auf den Wegen nach Osten und Süden. Zur Adria und zu den Donauinündungen führen von Deutschland aus keine andern bequemen Wege als durch Osterreich und Ungarn. Der Seeweg um ganz Europa herum ist uns kein Ersatz für die durch Eisenbahnen immer kürzer werdenden Landwege. Es ist also eins der größten politischen Probleme, wie Deutschland in den zum selbständigen Eintreten geradezu auffordernden Hinterländern Österreichs bis nach Kleinasien hin seine Interessen geltend machen kann, ohne sich allzu stark an Osterreich zu reiben. Wird die Allianz aushalten, wenn sich Deutschland bei der türkischen Erbteilung einen seiner Weltstellung und ausdehnungs¬ bedürftigen Volkszahl entsprechenden Anteil über Österreich weg sichern wollte? Werden beide gemeinsame Sache machen, oder wird sich Deutschland seinen eignen Weg zum östlichen Mittelmeer bahnen? Genau dieselben Probleme stellt uns der Weg zur Adria, vielleicht noch näher und dringender. Noch in anderm Sinne ist die Lage Österreichs zu Deutschland wesent¬ lich anders als die Frankreichs. Dentschland und Österreich verraten beide in der Art, wie sie zu einander liegen, den alten geschichtlichen Zusammenhang. Ihre Grenze ist nicht ein tiefer, zweckmäßig geführter Schnitt, wie die deutsch¬ französische, sondern mehr nur eine Fuge oder ein Riß. Daß Österreichs Westseite höchst unregelmäßig gestaltet ist, muß natürlich eine entsprechende Unregelmäßigkeit der Gestalt Deutschlands hervorrufen. Österreich-Ungarns Westseite läuft in drei Teile aus, von denen einer, Böhmen, tief nach Deutsch¬ land hineindringt und die größte Verschmälerung Deutschlands und des deutschen Sprachgebiets zwischen Taus und Avrieourt bewirkt, während der andre, der aus den österreichischen Alpenländern besteht, Deutschland im Süden umfaßt und von Italien trennt. Der dritte endlich, der am Adriatischen Meer liegt und Jstrien, das Küstenland und Dalmatien umfaßt, ist für Deutschland e

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/458>, abgerufen am 01.09.2024.