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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zum deutsch-dänischen Streit

1. Unterstufe: 6 halbe Anschauungs- und Sprechstunden; 2. Mittelstufe:
3 Stunden Lesen, 2 Stunden Anschauung, 1 Stunde Schreiben, 1 Stunde
Singen. 3. Oberstufe: 3 Stunden Lesen, 2 Stunden Schreiben, 1 Stunde
Sprachlehre, 1 Stunde Singen. Deutsche Unterrichtssprache wurde eingeführt
auf der Mittelstufe für 2 Stunden Heimatskunde, 1 Stunde Kopfrechnen, auf
der Oberstufe für 2 Stunden Geographie, 2 Stunden Geschichte, 1 Stunde
Kopfrechnen und auf beiden Stufen für Turnen. Die letzte Verfügung endlich,
die vielbesprochne vom 18. Dezember 1883, bestimmte, daß überall, wo dänische
Kirchensprache herrscht, der Religionsunterricht in dänischer Sprache erteilt, im
übrigen die deutsche Sprache zur Unterrichtssprache gemacht werden solle. Die
Ober- und die Mittelstufe erhielten 4 Stunden dänischen Religionsunterricht,
und 2 Stunden wurden zur Wiederholung des Pensums in deutscher Sprache
angesetzt. So liegen die Verhältnisse noch jetzt, nur daß viele Gemeinden
darum eingekommen sind, auch den Religionsunterricht ganz deutsch zu erteilen.

Jeder Unbefangne wird gestehen, daß das Deutsche in sehr gemäßigtem
Tempo eingeführt worden ist. Man bedenke die Zeiträume 1864--1871 --
1878--1888. Aber die Protestblätter haben gegen die Ausschließung des
Dünischen anhaltende Klagerufe erhoben, indem sie von "Sprachmord" faselten.
Nun, von "Sprachmord," von Ausrottung des Dänischen als Landessprache,
kaun gar nicht die Rede sein. Die dünische Sprache, die in den Schulen
nicht mehr oder nur in vier Religionsstunden gebraucht werden soll, ist ja
nicht die Landessprache, sondern wird im täglichen Leben kaum von ein bis
zwei Prozent gesprochen. Die Sprache der Bevölkerung ist ein "Niederdeutsch-
skandinavisch" (v. Pfister-Schwaighusen) und wird in den letzten Jahrzehnten
mehr und mehr mit deutschen Wörtern und Wendungen durchsetzt. Diese
Sprache will sicherlich keine Behörde und kein einheimischer Deutscher ausrotten.
Es handelt sich einfach darum: die Schüler sollen mit solcher Kenntnis des
Deutschen aus der Schule gehen, daß ihnen die deutsche Kultur zugänglich
wird. Des Dänischen, d. h. des Schriftdänischen, können die Schüler im
Durchschnitt ganz entbehren. Im täglichen Leben auf der heimatlichen Scholle
kommt der Bauer mit seinem "Platt" aus, auf seinen Geschäftsreisen, die ihn
zur nahen Stadt führen, meistens auch, höchstens fühlt er einmal den Mangel,
nicht deutsch sprechen zu können, nie aber den, im Hochdänischeu nicht ganz
fest zu sein. Auf größern Märkten muß sich jeder, so gut es geht, ans
Deutsche, wenn auch aus mundartliche gewöhnen. Es ist ein Irrtum, in dem
sich freilich oft die südlicher wohnenden Landsleute befinden, daß hier im
Norden so gut wie niemand Deutsch sprechen könne. Gerade umgekehrt liegt
es: es würde an manchen Stellen schwer sein, Leute zu finden, die kein Wort
deutsch sprechen oder doch verstehen können, wenn sie -- wollen.

Die Protestler fordern immerfort die Einschaltung von zwei dänischen
Sprachstunden, weil die Kinder nicht mit Nutzen am Religionsunterricht und


Zum deutsch-dänischen Streit

1. Unterstufe: 6 halbe Anschauungs- und Sprechstunden; 2. Mittelstufe:
3 Stunden Lesen, 2 Stunden Anschauung, 1 Stunde Schreiben, 1 Stunde
Singen. 3. Oberstufe: 3 Stunden Lesen, 2 Stunden Schreiben, 1 Stunde
Sprachlehre, 1 Stunde Singen. Deutsche Unterrichtssprache wurde eingeführt
auf der Mittelstufe für 2 Stunden Heimatskunde, 1 Stunde Kopfrechnen, auf
der Oberstufe für 2 Stunden Geographie, 2 Stunden Geschichte, 1 Stunde
Kopfrechnen und auf beiden Stufen für Turnen. Die letzte Verfügung endlich,
die vielbesprochne vom 18. Dezember 1883, bestimmte, daß überall, wo dänische
Kirchensprache herrscht, der Religionsunterricht in dänischer Sprache erteilt, im
übrigen die deutsche Sprache zur Unterrichtssprache gemacht werden solle. Die
Ober- und die Mittelstufe erhielten 4 Stunden dänischen Religionsunterricht,
und 2 Stunden wurden zur Wiederholung des Pensums in deutscher Sprache
angesetzt. So liegen die Verhältnisse noch jetzt, nur daß viele Gemeinden
darum eingekommen sind, auch den Religionsunterricht ganz deutsch zu erteilen.

Jeder Unbefangne wird gestehen, daß das Deutsche in sehr gemäßigtem
Tempo eingeführt worden ist. Man bedenke die Zeiträume 1864—1871 —
1878—1888. Aber die Protestblätter haben gegen die Ausschließung des
Dünischen anhaltende Klagerufe erhoben, indem sie von „Sprachmord" faselten.
Nun, von „Sprachmord," von Ausrottung des Dänischen als Landessprache,
kaun gar nicht die Rede sein. Die dünische Sprache, die in den Schulen
nicht mehr oder nur in vier Religionsstunden gebraucht werden soll, ist ja
nicht die Landessprache, sondern wird im täglichen Leben kaum von ein bis
zwei Prozent gesprochen. Die Sprache der Bevölkerung ist ein „Niederdeutsch-
skandinavisch" (v. Pfister-Schwaighusen) und wird in den letzten Jahrzehnten
mehr und mehr mit deutschen Wörtern und Wendungen durchsetzt. Diese
Sprache will sicherlich keine Behörde und kein einheimischer Deutscher ausrotten.
Es handelt sich einfach darum: die Schüler sollen mit solcher Kenntnis des
Deutschen aus der Schule gehen, daß ihnen die deutsche Kultur zugänglich
wird. Des Dänischen, d. h. des Schriftdänischen, können die Schüler im
Durchschnitt ganz entbehren. Im täglichen Leben auf der heimatlichen Scholle
kommt der Bauer mit seinem „Platt" aus, auf seinen Geschäftsreisen, die ihn
zur nahen Stadt führen, meistens auch, höchstens fühlt er einmal den Mangel,
nicht deutsch sprechen zu können, nie aber den, im Hochdänischeu nicht ganz
fest zu sein. Auf größern Märkten muß sich jeder, so gut es geht, ans
Deutsche, wenn auch aus mundartliche gewöhnen. Es ist ein Irrtum, in dem
sich freilich oft die südlicher wohnenden Landsleute befinden, daß hier im
Norden so gut wie niemand Deutsch sprechen könne. Gerade umgekehrt liegt
es: es würde an manchen Stellen schwer sein, Leute zu finden, die kein Wort
deutsch sprechen oder doch verstehen können, wenn sie — wollen.

Die Protestler fordern immerfort die Einschaltung von zwei dänischen
Sprachstunden, weil die Kinder nicht mit Nutzen am Religionsunterricht und


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[0444] Zum deutsch-dänischen Streit 1. Unterstufe: 6 halbe Anschauungs- und Sprechstunden; 2. Mittelstufe: 3 Stunden Lesen, 2 Stunden Anschauung, 1 Stunde Schreiben, 1 Stunde Singen. 3. Oberstufe: 3 Stunden Lesen, 2 Stunden Schreiben, 1 Stunde Sprachlehre, 1 Stunde Singen. Deutsche Unterrichtssprache wurde eingeführt auf der Mittelstufe für 2 Stunden Heimatskunde, 1 Stunde Kopfrechnen, auf der Oberstufe für 2 Stunden Geographie, 2 Stunden Geschichte, 1 Stunde Kopfrechnen und auf beiden Stufen für Turnen. Die letzte Verfügung endlich, die vielbesprochne vom 18. Dezember 1883, bestimmte, daß überall, wo dänische Kirchensprache herrscht, der Religionsunterricht in dänischer Sprache erteilt, im übrigen die deutsche Sprache zur Unterrichtssprache gemacht werden solle. Die Ober- und die Mittelstufe erhielten 4 Stunden dänischen Religionsunterricht, und 2 Stunden wurden zur Wiederholung des Pensums in deutscher Sprache angesetzt. So liegen die Verhältnisse noch jetzt, nur daß viele Gemeinden darum eingekommen sind, auch den Religionsunterricht ganz deutsch zu erteilen. Jeder Unbefangne wird gestehen, daß das Deutsche in sehr gemäßigtem Tempo eingeführt worden ist. Man bedenke die Zeiträume 1864—1871 — 1878—1888. Aber die Protestblätter haben gegen die Ausschließung des Dünischen anhaltende Klagerufe erhoben, indem sie von „Sprachmord" faselten. Nun, von „Sprachmord," von Ausrottung des Dänischen als Landessprache, kaun gar nicht die Rede sein. Die dünische Sprache, die in den Schulen nicht mehr oder nur in vier Religionsstunden gebraucht werden soll, ist ja nicht die Landessprache, sondern wird im täglichen Leben kaum von ein bis zwei Prozent gesprochen. Die Sprache der Bevölkerung ist ein „Niederdeutsch- skandinavisch" (v. Pfister-Schwaighusen) und wird in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr mit deutschen Wörtern und Wendungen durchsetzt. Diese Sprache will sicherlich keine Behörde und kein einheimischer Deutscher ausrotten. Es handelt sich einfach darum: die Schüler sollen mit solcher Kenntnis des Deutschen aus der Schule gehen, daß ihnen die deutsche Kultur zugänglich wird. Des Dänischen, d. h. des Schriftdänischen, können die Schüler im Durchschnitt ganz entbehren. Im täglichen Leben auf der heimatlichen Scholle kommt der Bauer mit seinem „Platt" aus, auf seinen Geschäftsreisen, die ihn zur nahen Stadt führen, meistens auch, höchstens fühlt er einmal den Mangel, nicht deutsch sprechen zu können, nie aber den, im Hochdänischeu nicht ganz fest zu sein. Auf größern Märkten muß sich jeder, so gut es geht, ans Deutsche, wenn auch aus mundartliche gewöhnen. Es ist ein Irrtum, in dem sich freilich oft die südlicher wohnenden Landsleute befinden, daß hier im Norden so gut wie niemand Deutsch sprechen könne. Gerade umgekehrt liegt es: es würde an manchen Stellen schwer sein, Leute zu finden, die kein Wort deutsch sprechen oder doch verstehen können, wenn sie — wollen. Die Protestler fordern immerfort die Einschaltung von zwei dänischen Sprachstunden, weil die Kinder nicht mit Nutzen am Religionsunterricht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/444>, abgerufen am 01.09.2024.