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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zum deutsch-dänischen Streit

oder auch nur müßig zusehen würde, wie das Deutschtum allmählich an
Boden gewinne. Es soll nur damit bewiesen werden, daß die weitergehende
Sprachverfügung des Oberpräsidenten vom 18. Dezember 1888 an dem An¬
schwellen der Agitation nicht schuld gewesen sein kann. Als sie erschien,
war die Organisation schon da. Früher oder später mußte es zu einem
heftigen Kampfe kommen. Die deutsche Sprache, vierzehn bis zwanzig Jahre
lang mit Gewalt niedergehalten, hatte "Bahn frei" bekommen und rückte
wieder langsam gegen Norden vor. Nach 1864 waren viele Beamte, Staats¬
beamte wie Gemeindebeamte, aus dem Süden Schleswigs, aus Holstein oder
ausandern Provinzen ins Land gekommen. Es siedelten sich deutsche Landleute
und Gewerbetreibende an. Die vorher ziemlich alleinstehenden Deutschen fingen
an, aus ihrer Passivität herauszutreten, und unterstützten einer den andern.
Sie traten mit an die Wahlurne. Als dann gar einzelne Gemeinden, besonders
in den Kreisen Apenrade und Tondern um die Entführung der deutschen Schul¬
sprache baten, und die Regierung den Gesuchen entsprach, weil sie von der
Mehrheit unterzeichnet waren, da merkte man im Lager der Dänen, daß ihnen
das Gebiet, das bisher ihre Domäne gewesen war, langsam entrissen und
ihrer Macht entrückt wurde. Dazu hatten noch andre Umstände Einfluß
gewonnen: die Militärdienstzeit, von der Flensborg Avis in einer Betrachtung
über deu "Sedantag in Flensburg" 1895 sagt: "Die preußischen Schulen
und das Militärwesen verschlucken unsre Jugend und geben sie nicht unbeschädigt
zurück," die Kampfgenossen- und Kriegervereine, die deutsche Presse, der ganze
nach Süden gehende Zug im gewerblichen Leben -- all diese Einflüsse machten
eS den Dünen klar: man nimmt uns allmählich das Heft aus der Hand, wir
müssen uns kräftig wehren, müssen uns "organisiren"! Also nicht die Behörde
war schuld durch ihren "unleidlichen Zwang," nicht einzelne Vereine, die etwa
angriffsweise gegen die politischen Gegner vorgegangen waren; als die dänischen
Vereine gegründet wurden, bestand der so sehr nugefochteue "Deutsche Verein
für das nördliche Schleswig" noch gar nicht. Der Fortschritt der deutschen
Sprache, des deutschen Wesens und der ganzen deutschen Kultur nach Norden
drohte dem Dünentum den Boden unter den Füßen zu entziehen. Und doch
ist dieser Fortschritt der deutschen Sprache auf die Dauer wohl nicht aufzuhalten.

Um den häufigsten Beschwerden der angeblich vergewaltigten Dänen ent-
gegenzutreten, will ich uun auf einige etwas näher eingehen. Wie steht es
in Schule und Kirche?

Die Instruktion der Königlichen Regierung zu Schleswig vom 17. Angust
1871 für die Erteilung des Unterrichts im Deutschen in den dänischen Schulen
Nordschleswigs bestimmte, daß im ersten und zweiten Schuljahre kein Unter¬
richt im Deutschen, vom dritten Jahre an 6 Stunden Deutsch gegeben werden
sollten. Der Religionsunterricht blieb dänisch. Am 9. März 1878 fand durch
Instruktion der Regierung eine Neuordnung statt, und zwar in folgender Weise:


Zum deutsch-dänischen Streit

oder auch nur müßig zusehen würde, wie das Deutschtum allmählich an
Boden gewinne. Es soll nur damit bewiesen werden, daß die weitergehende
Sprachverfügung des Oberpräsidenten vom 18. Dezember 1888 an dem An¬
schwellen der Agitation nicht schuld gewesen sein kann. Als sie erschien,
war die Organisation schon da. Früher oder später mußte es zu einem
heftigen Kampfe kommen. Die deutsche Sprache, vierzehn bis zwanzig Jahre
lang mit Gewalt niedergehalten, hatte „Bahn frei" bekommen und rückte
wieder langsam gegen Norden vor. Nach 1864 waren viele Beamte, Staats¬
beamte wie Gemeindebeamte, aus dem Süden Schleswigs, aus Holstein oder
ausandern Provinzen ins Land gekommen. Es siedelten sich deutsche Landleute
und Gewerbetreibende an. Die vorher ziemlich alleinstehenden Deutschen fingen
an, aus ihrer Passivität herauszutreten, und unterstützten einer den andern.
Sie traten mit an die Wahlurne. Als dann gar einzelne Gemeinden, besonders
in den Kreisen Apenrade und Tondern um die Entführung der deutschen Schul¬
sprache baten, und die Regierung den Gesuchen entsprach, weil sie von der
Mehrheit unterzeichnet waren, da merkte man im Lager der Dänen, daß ihnen
das Gebiet, das bisher ihre Domäne gewesen war, langsam entrissen und
ihrer Macht entrückt wurde. Dazu hatten noch andre Umstände Einfluß
gewonnen: die Militärdienstzeit, von der Flensborg Avis in einer Betrachtung
über deu „Sedantag in Flensburg" 1895 sagt: „Die preußischen Schulen
und das Militärwesen verschlucken unsre Jugend und geben sie nicht unbeschädigt
zurück," die Kampfgenossen- und Kriegervereine, die deutsche Presse, der ganze
nach Süden gehende Zug im gewerblichen Leben — all diese Einflüsse machten
eS den Dünen klar: man nimmt uns allmählich das Heft aus der Hand, wir
müssen uns kräftig wehren, müssen uns „organisiren"! Also nicht die Behörde
war schuld durch ihren „unleidlichen Zwang," nicht einzelne Vereine, die etwa
angriffsweise gegen die politischen Gegner vorgegangen waren; als die dänischen
Vereine gegründet wurden, bestand der so sehr nugefochteue „Deutsche Verein
für das nördliche Schleswig" noch gar nicht. Der Fortschritt der deutschen
Sprache, des deutschen Wesens und der ganzen deutschen Kultur nach Norden
drohte dem Dünentum den Boden unter den Füßen zu entziehen. Und doch
ist dieser Fortschritt der deutschen Sprache auf die Dauer wohl nicht aufzuhalten.

Um den häufigsten Beschwerden der angeblich vergewaltigten Dänen ent-
gegenzutreten, will ich uun auf einige etwas näher eingehen. Wie steht es
in Schule und Kirche?

Die Instruktion der Königlichen Regierung zu Schleswig vom 17. Angust
1871 für die Erteilung des Unterrichts im Deutschen in den dänischen Schulen
Nordschleswigs bestimmte, daß im ersten und zweiten Schuljahre kein Unter¬
richt im Deutschen, vom dritten Jahre an 6 Stunden Deutsch gegeben werden
sollten. Der Religionsunterricht blieb dänisch. Am 9. März 1878 fand durch
Instruktion der Regierung eine Neuordnung statt, und zwar in folgender Weise:


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[0443] Zum deutsch-dänischen Streit oder auch nur müßig zusehen würde, wie das Deutschtum allmählich an Boden gewinne. Es soll nur damit bewiesen werden, daß die weitergehende Sprachverfügung des Oberpräsidenten vom 18. Dezember 1888 an dem An¬ schwellen der Agitation nicht schuld gewesen sein kann. Als sie erschien, war die Organisation schon da. Früher oder später mußte es zu einem heftigen Kampfe kommen. Die deutsche Sprache, vierzehn bis zwanzig Jahre lang mit Gewalt niedergehalten, hatte „Bahn frei" bekommen und rückte wieder langsam gegen Norden vor. Nach 1864 waren viele Beamte, Staats¬ beamte wie Gemeindebeamte, aus dem Süden Schleswigs, aus Holstein oder ausandern Provinzen ins Land gekommen. Es siedelten sich deutsche Landleute und Gewerbetreibende an. Die vorher ziemlich alleinstehenden Deutschen fingen an, aus ihrer Passivität herauszutreten, und unterstützten einer den andern. Sie traten mit an die Wahlurne. Als dann gar einzelne Gemeinden, besonders in den Kreisen Apenrade und Tondern um die Entführung der deutschen Schul¬ sprache baten, und die Regierung den Gesuchen entsprach, weil sie von der Mehrheit unterzeichnet waren, da merkte man im Lager der Dänen, daß ihnen das Gebiet, das bisher ihre Domäne gewesen war, langsam entrissen und ihrer Macht entrückt wurde. Dazu hatten noch andre Umstände Einfluß gewonnen: die Militärdienstzeit, von der Flensborg Avis in einer Betrachtung über deu „Sedantag in Flensburg" 1895 sagt: „Die preußischen Schulen und das Militärwesen verschlucken unsre Jugend und geben sie nicht unbeschädigt zurück," die Kampfgenossen- und Kriegervereine, die deutsche Presse, der ganze nach Süden gehende Zug im gewerblichen Leben — all diese Einflüsse machten eS den Dünen klar: man nimmt uns allmählich das Heft aus der Hand, wir müssen uns kräftig wehren, müssen uns „organisiren"! Also nicht die Behörde war schuld durch ihren „unleidlichen Zwang," nicht einzelne Vereine, die etwa angriffsweise gegen die politischen Gegner vorgegangen waren; als die dänischen Vereine gegründet wurden, bestand der so sehr nugefochteue „Deutsche Verein für das nördliche Schleswig" noch gar nicht. Der Fortschritt der deutschen Sprache, des deutschen Wesens und der ganzen deutschen Kultur nach Norden drohte dem Dünentum den Boden unter den Füßen zu entziehen. Und doch ist dieser Fortschritt der deutschen Sprache auf die Dauer wohl nicht aufzuhalten. Um den häufigsten Beschwerden der angeblich vergewaltigten Dänen ent- gegenzutreten, will ich uun auf einige etwas näher eingehen. Wie steht es in Schule und Kirche? Die Instruktion der Königlichen Regierung zu Schleswig vom 17. Angust 1871 für die Erteilung des Unterrichts im Deutschen in den dänischen Schulen Nordschleswigs bestimmte, daß im ersten und zweiten Schuljahre kein Unter¬ richt im Deutschen, vom dritten Jahre an 6 Stunden Deutsch gegeben werden sollten. Der Religionsunterricht blieb dänisch. Am 9. März 1878 fand durch Instruktion der Regierung eine Neuordnung statt, und zwar in folgender Weise:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/443>, abgerufen am 01.09.2024.