Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

auch nicht das Werk von Nomaden gewesen sein; gerade das Rind, das wichtigste
unsrer Haustiere, ist kein Nomadcntier; die Hirtenvölker hatten Schafe, Kamele,
Esel und Pferde, aber keine Rinder. Das Rind steht in innigster Verbindung
mit dem Ackerbau, ist mit dessen Entstehung Haustier geworden, und erst nach
ihm sind von denselben Ackerbauern auch die übrigen Haustiere gewonnen
worden. Nicht in Ägypten, sondern in Vorderasien, zuerst in der Euphrat-
uiederung ist dieser ungeheure Kulturfortschritt gemacht worden, und zwar
unter den Antrieben der Religion.

In ganz Vorderasien ward unter verschiednen Namen, als Mylitta,
Astarte, Kybele, große Mutter, der Mond verehrt, dessen Name bekanntlich
in allen Sprachen außer der deutschen weiblichen Geschlechts ist. Der Mond
war der erste Zeitmesser. Die Sonne mißt nur die Tage; um an ihr die
größern Zeitabschnitte messen zu können, dazu sind die Unterschiede ihrer Auf-
und Untergangs-Zeiten und Orte im Süden zu unbedeutend für die Ve-
obachtungsfühigkeit von Naturvölkern. Die Mondphasen hingegen folgen rasch
ans einander und sind noch dazu an dem Wechsel der Mondgestalt deutlich
zu erkennen; ihm also verdankte man die Einteilung der Zeit in Monate, in
Wochen, in Jahre. Nun konnte man nicht umhin, auch die Menstruation mit
dem Mondwechsel in Verbindung zu bringen, und da das Ausbleiben der
Menstruation den Beginn der Schwangerschaft anzeigt, so erschien die Mond-
göttin als die Göttin der Fruchtbarkeit, die sie ja bis auf den heutigen Tag
geblieben ist, da "ach dem Volksaberglauben das Säen, Haarabschneiden und
andre dergleichen Verrichtungen bei zunehmendem Monde vorgenommen werden
müssen, wenn sie gut ausschlagen sollen. Da die Mondsichel einem Kuh¬
gehörn gleicht, so war die Kuh ihr heiliges Tier, und ihre mancherlei Gestalten,
von denen Jo die bekannteste ist, wurden gehörnt vorgestellt. Natürlich
mußten ihr nun Kühe geopfert werden, und weil oft ganz plötzlich Opfer
notwendig wurden, bei Mondfinsternissen, um -- je nachdem man sich die
Sache dachte -- der von einem Ungeheuer bedrohten Göttin zu Hilfe zu komme",
oder um die sich im Zorn verbergende zu versöhnen, so mußten stets Kühe,
daher natürlich auch Stiere, vorrätig und bei der Hand sein. Man legte
daher Hürden an, und in dieser zwischen Freiheit und Gefangenschaft milde"
nine stehenden Lage haben sich die Tiere nach längerer Zeit der Unfrucht¬
barkeit zuletzt zur Fortpflanzung bequemt.") An den gefangnen Tieren wurden



Wir erhalten nachträglich Kenntnis von einer Abhandlung des Archivrats Beuer in
Schwerin über die mecklenburgischen Schwerine. Das wendische Wort Zuarin bedeutet Tier¬
garten i geweint sind aber nicht Wildparke sür Jngdvergnügen der Edeln, sondern heilige Haine,
in denen das dem slawischen Kriegsgott Swnntewit geheiligte Tier, das Roß, gezüchtet wurde.
Diese Pferdezucht im Freien war auch in Deutschland üblich und blieb in der christlichen Zeit
syr die profanen Zwecke in Brauch; Stuttgart, Stutengarten, hat seinen Namen von dem
Gestüt, das Lwtolf, Kaiser Ottos I. Sohn, U4!> in den dortigen Waldungen anlegte.
Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

auch nicht das Werk von Nomaden gewesen sein; gerade das Rind, das wichtigste
unsrer Haustiere, ist kein Nomadcntier; die Hirtenvölker hatten Schafe, Kamele,
Esel und Pferde, aber keine Rinder. Das Rind steht in innigster Verbindung
mit dem Ackerbau, ist mit dessen Entstehung Haustier geworden, und erst nach
ihm sind von denselben Ackerbauern auch die übrigen Haustiere gewonnen
worden. Nicht in Ägypten, sondern in Vorderasien, zuerst in der Euphrat-
uiederung ist dieser ungeheure Kulturfortschritt gemacht worden, und zwar
unter den Antrieben der Religion.

In ganz Vorderasien ward unter verschiednen Namen, als Mylitta,
Astarte, Kybele, große Mutter, der Mond verehrt, dessen Name bekanntlich
in allen Sprachen außer der deutschen weiblichen Geschlechts ist. Der Mond
war der erste Zeitmesser. Die Sonne mißt nur die Tage; um an ihr die
größern Zeitabschnitte messen zu können, dazu sind die Unterschiede ihrer Auf-
und Untergangs-Zeiten und Orte im Süden zu unbedeutend für die Ve-
obachtungsfühigkeit von Naturvölkern. Die Mondphasen hingegen folgen rasch
ans einander und sind noch dazu an dem Wechsel der Mondgestalt deutlich
zu erkennen; ihm also verdankte man die Einteilung der Zeit in Monate, in
Wochen, in Jahre. Nun konnte man nicht umhin, auch die Menstruation mit
dem Mondwechsel in Verbindung zu bringen, und da das Ausbleiben der
Menstruation den Beginn der Schwangerschaft anzeigt, so erschien die Mond-
göttin als die Göttin der Fruchtbarkeit, die sie ja bis auf den heutigen Tag
geblieben ist, da »ach dem Volksaberglauben das Säen, Haarabschneiden und
andre dergleichen Verrichtungen bei zunehmendem Monde vorgenommen werden
müssen, wenn sie gut ausschlagen sollen. Da die Mondsichel einem Kuh¬
gehörn gleicht, so war die Kuh ihr heiliges Tier, und ihre mancherlei Gestalten,
von denen Jo die bekannteste ist, wurden gehörnt vorgestellt. Natürlich
mußten ihr nun Kühe geopfert werden, und weil oft ganz plötzlich Opfer
notwendig wurden, bei Mondfinsternissen, um — je nachdem man sich die
Sache dachte — der von einem Ungeheuer bedrohten Göttin zu Hilfe zu komme»,
oder um die sich im Zorn verbergende zu versöhnen, so mußten stets Kühe,
daher natürlich auch Stiere, vorrätig und bei der Hand sein. Man legte
daher Hürden an, und in dieser zwischen Freiheit und Gefangenschaft milde»
nine stehenden Lage haben sich die Tiere nach längerer Zeit der Unfrucht¬
barkeit zuletzt zur Fortpflanzung bequemt.") An den gefangnen Tieren wurden



Wir erhalten nachträglich Kenntnis von einer Abhandlung des Archivrats Beuer in
Schwerin über die mecklenburgischen Schwerine. Das wendische Wort Zuarin bedeutet Tier¬
garten i geweint sind aber nicht Wildparke sür Jngdvergnügen der Edeln, sondern heilige Haine,
in denen das dem slawischen Kriegsgott Swnntewit geheiligte Tier, das Roß, gezüchtet wurde.
Diese Pferdezucht im Freien war auch in Deutschland üblich und blieb in der christlichen Zeit
syr die profanen Zwecke in Brauch; Stuttgart, Stutengarten, hat seinen Namen von dem
Gestüt, das Lwtolf, Kaiser Ottos I. Sohn, U4!> in den dortigen Waldungen anlegte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223349"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1165" prev="#ID_1164"> auch nicht das Werk von Nomaden gewesen sein; gerade das Rind, das wichtigste<lb/>
unsrer Haustiere, ist kein Nomadcntier; die Hirtenvölker hatten Schafe, Kamele,<lb/>
Esel und Pferde, aber keine Rinder. Das Rind steht in innigster Verbindung<lb/>
mit dem Ackerbau, ist mit dessen Entstehung Haustier geworden, und erst nach<lb/>
ihm sind von denselben Ackerbauern auch die übrigen Haustiere gewonnen<lb/>
worden. Nicht in Ägypten, sondern in Vorderasien, zuerst in der Euphrat-<lb/>
uiederung ist dieser ungeheure Kulturfortschritt gemacht worden, und zwar<lb/>
unter den Antrieben der Religion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1166" next="#ID_1167"> In ganz Vorderasien ward unter verschiednen Namen, als Mylitta,<lb/>
Astarte, Kybele, große Mutter, der Mond verehrt, dessen Name bekanntlich<lb/>
in allen Sprachen außer der deutschen weiblichen Geschlechts ist. Der Mond<lb/>
war der erste Zeitmesser. Die Sonne mißt nur die Tage; um an ihr die<lb/>
größern Zeitabschnitte messen zu können, dazu sind die Unterschiede ihrer Auf-<lb/>
und Untergangs-Zeiten und Orte im Süden zu unbedeutend für die Ve-<lb/>
obachtungsfühigkeit von Naturvölkern. Die Mondphasen hingegen folgen rasch<lb/>
ans einander und sind noch dazu an dem Wechsel der Mondgestalt deutlich<lb/>
zu erkennen; ihm also verdankte man die Einteilung der Zeit in Monate, in<lb/>
Wochen, in Jahre. Nun konnte man nicht umhin, auch die Menstruation mit<lb/>
dem Mondwechsel in Verbindung zu bringen, und da das Ausbleiben der<lb/>
Menstruation den Beginn der Schwangerschaft anzeigt, so erschien die Mond-<lb/>
göttin als die Göttin der Fruchtbarkeit, die sie ja bis auf den heutigen Tag<lb/>
geblieben ist, da »ach dem Volksaberglauben das Säen, Haarabschneiden und<lb/>
andre dergleichen Verrichtungen bei zunehmendem Monde vorgenommen werden<lb/>
müssen, wenn sie gut ausschlagen sollen. Da die Mondsichel einem Kuh¬<lb/>
gehörn gleicht, so war die Kuh ihr heiliges Tier, und ihre mancherlei Gestalten,<lb/>
von denen Jo die bekannteste ist, wurden gehörnt vorgestellt. Natürlich<lb/>
mußten ihr nun Kühe geopfert werden, und weil oft ganz plötzlich Opfer<lb/>
notwendig wurden, bei Mondfinsternissen, um &#x2014; je nachdem man sich die<lb/>
Sache dachte &#x2014; der von einem Ungeheuer bedrohten Göttin zu Hilfe zu komme»,<lb/>
oder um die sich im Zorn verbergende zu versöhnen, so mußten stets Kühe,<lb/>
daher natürlich auch Stiere, vorrätig und bei der Hand sein. Man legte<lb/>
daher Hürden an, und in dieser zwischen Freiheit und Gefangenschaft milde»<lb/>
nine stehenden Lage haben sich die Tiere nach längerer Zeit der Unfrucht¬<lb/>
barkeit zuletzt zur Fortpflanzung bequemt.") An den gefangnen Tieren wurden</p><lb/>
          <note xml:id="FID_31" place="foot"> Wir erhalten nachträglich Kenntnis von einer Abhandlung des Archivrats Beuer in<lb/>
Schwerin über die mecklenburgischen Schwerine. Das wendische Wort Zuarin bedeutet Tier¬<lb/>
garten i geweint sind aber nicht Wildparke sür Jngdvergnügen der Edeln, sondern heilige Haine,<lb/>
in denen das dem slawischen Kriegsgott Swnntewit geheiligte Tier, das Roß, gezüchtet wurde.<lb/>
Diese Pferdezucht im Freien war auch in Deutschland üblich und blieb in der christlichen Zeit<lb/>
syr die profanen Zwecke in Brauch; Stuttgart, Stutengarten, hat seinen Namen von dem<lb/>
Gestüt, das Lwtolf, Kaiser Ottos I. Sohn, U4!&gt; in den dortigen Waldungen anlegte.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker auch nicht das Werk von Nomaden gewesen sein; gerade das Rind, das wichtigste unsrer Haustiere, ist kein Nomadcntier; die Hirtenvölker hatten Schafe, Kamele, Esel und Pferde, aber keine Rinder. Das Rind steht in innigster Verbindung mit dem Ackerbau, ist mit dessen Entstehung Haustier geworden, und erst nach ihm sind von denselben Ackerbauern auch die übrigen Haustiere gewonnen worden. Nicht in Ägypten, sondern in Vorderasien, zuerst in der Euphrat- uiederung ist dieser ungeheure Kulturfortschritt gemacht worden, und zwar unter den Antrieben der Religion. In ganz Vorderasien ward unter verschiednen Namen, als Mylitta, Astarte, Kybele, große Mutter, der Mond verehrt, dessen Name bekanntlich in allen Sprachen außer der deutschen weiblichen Geschlechts ist. Der Mond war der erste Zeitmesser. Die Sonne mißt nur die Tage; um an ihr die größern Zeitabschnitte messen zu können, dazu sind die Unterschiede ihrer Auf- und Untergangs-Zeiten und Orte im Süden zu unbedeutend für die Ve- obachtungsfühigkeit von Naturvölkern. Die Mondphasen hingegen folgen rasch ans einander und sind noch dazu an dem Wechsel der Mondgestalt deutlich zu erkennen; ihm also verdankte man die Einteilung der Zeit in Monate, in Wochen, in Jahre. Nun konnte man nicht umhin, auch die Menstruation mit dem Mondwechsel in Verbindung zu bringen, und da das Ausbleiben der Menstruation den Beginn der Schwangerschaft anzeigt, so erschien die Mond- göttin als die Göttin der Fruchtbarkeit, die sie ja bis auf den heutigen Tag geblieben ist, da »ach dem Volksaberglauben das Säen, Haarabschneiden und andre dergleichen Verrichtungen bei zunehmendem Monde vorgenommen werden müssen, wenn sie gut ausschlagen sollen. Da die Mondsichel einem Kuh¬ gehörn gleicht, so war die Kuh ihr heiliges Tier, und ihre mancherlei Gestalten, von denen Jo die bekannteste ist, wurden gehörnt vorgestellt. Natürlich mußten ihr nun Kühe geopfert werden, und weil oft ganz plötzlich Opfer notwendig wurden, bei Mondfinsternissen, um — je nachdem man sich die Sache dachte — der von einem Ungeheuer bedrohten Göttin zu Hilfe zu komme», oder um die sich im Zorn verbergende zu versöhnen, so mußten stets Kühe, daher natürlich auch Stiere, vorrätig und bei der Hand sein. Man legte daher Hürden an, und in dieser zwischen Freiheit und Gefangenschaft milde» nine stehenden Lage haben sich die Tiere nach längerer Zeit der Unfrucht¬ barkeit zuletzt zur Fortpflanzung bequemt.") An den gefangnen Tieren wurden Wir erhalten nachträglich Kenntnis von einer Abhandlung des Archivrats Beuer in Schwerin über die mecklenburgischen Schwerine. Das wendische Wort Zuarin bedeutet Tier¬ garten i geweint sind aber nicht Wildparke sür Jngdvergnügen der Edeln, sondern heilige Haine, in denen das dem slawischen Kriegsgott Swnntewit geheiligte Tier, das Roß, gezüchtet wurde. Diese Pferdezucht im Freien war auch in Deutschland üblich und blieb in der christlichen Zeit syr die profanen Zwecke in Brauch; Stuttgart, Stutengarten, hat seinen Namen von dem Gestüt, das Lwtolf, Kaiser Ottos I. Sohn, U4!> in den dortigen Waldungen anlegte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/407>, abgerufen am 01.09.2024.