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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

und ihre Beziehung zur Wirtschaft des Menschen. Eine geographische
Studie von Eduard Hahn. Mit einer chromolith. Karte: Die Wirtschafts¬
formen der Erde. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1896.)

Haustiere sind nach Hahns Definition Tiere, die der Mensch in seine
Pflege genommen hat, die sich hier regelmäßig fortpflanzen und dabei eine
Reihe crworlmer Eigenschaften auf ihre Nachkommen übertragen. Der Elefant
ist kein Haustier, denn er pflanzt sich in der Gefangenschaft nicht fort, alle
gezähmten Elefanten sind eingefangne Wildlinge. Die Biene ist es bis auf
Dzierzon nicht gewesen, denn der Mensch that bis dahin weiter nichts, als daß
er ihr Obdach gewährte und sich einen Teil ihrer Produkte aneignete; erst
jetzt greift er durch eigentümliche Einrichtung ihrer Wohnung in ihren leiblichen
Organismus ein. Hahn bespricht nun in den ersten Kapiteln seines Buches
die Veränderungen, die mit den Tieren vorzugehen Pflegen, nachdem sie Haus¬
tiere geworden sind, die Bedingungen und Wirkungen der Kreuzung, das Ver¬
wittern, die verschiednen Venutzungsarten. Hierauf werden 36 Arten von
Haustieren in eben so vielen Kapiteln dargestellt, sodann folgende sechs Wirt¬
schaftsformen: Jagd und Fischfang, Hackbau, Plantagenbau, Gartenbau,
Viehwirtschaft, Ackerbau; ihre Verbreitung auf der Erde wird durch eine Karte
veranschaulicht. Zuletzt werdeu die Wirtschaftsverhültuisse der verschiednen
Länder und Kulturgebiete der Erde beschrieben. Das Eigentümliche des Buches
ist, daß es das Wirtschaftsleben von dem Gesichtspunkte der Haustierzucht be¬
trachtet. Versuchen wir, den Kern dieses Gedankengewebes, das auf Neuheit
Anspruch machen kann, herauszuschälen; die Kritik überlassen wir den Zoologen,
Geographen, Ethnologen und Mythologen von Fach.

Daß sich wildlebende Tiere in der Gefangenschaft nicht fortpflanzen
-- aus Ursachen, über die Hahn Vermutungen anstellt --, hat ursprünglich
auch für unsre jetzigen Haustiere gegolten. Es haben sehr lange Zeitraume
dazu gehört, die Schwierigkeiten zu überwinden, die der Fortpflanzung in der
Gefangenschaft im Wege stehn; Jäger Hütten dazu niemals die Geduld gehabt,
auch fehlten bei ihrem unruhigen, Herurnschweifenden Leben die physischen
Bedingungen der Viehzucht. Wenn der Jäger Tiere einfängt, so geschieht es aus
dem Grunde, der auch anderwärts wirkt, und der jedenfalls der erste Beweg¬
grund zur Tierhaltung gewesen ist, daß er Gefährten haben will, Wesen, an
denen er abwechselnd seine Zärtlichkeit und seine Grausamkeit auslassen kann.
Außerdem war in der ersten Zeit, wo die Stammeltern unsrer heutigen Haus¬
tiere eingefangen wurden, an andre Nutzung als etwa die ihres Fleisches
und ihres Fells nicht zu denken; die Schafe trugen noch keine Wolle, und
die Milchtiere gaben zur Not so viel Milch, als zur Ernährung ihrer Jungen
nötig war, nicht einen Tropfen mehr; die Wolle, der Milchüberschuß der
Milchtiere und der Eierübcrschnß unsrer gefiederten Eierlieferanten sind Kunst¬
erzeugnisse einer Zucht, die Jahrhunderte erfordert hat. Diese Zucht kann


Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

und ihre Beziehung zur Wirtschaft des Menschen. Eine geographische
Studie von Eduard Hahn. Mit einer chromolith. Karte: Die Wirtschafts¬
formen der Erde. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1896.)

Haustiere sind nach Hahns Definition Tiere, die der Mensch in seine
Pflege genommen hat, die sich hier regelmäßig fortpflanzen und dabei eine
Reihe crworlmer Eigenschaften auf ihre Nachkommen übertragen. Der Elefant
ist kein Haustier, denn er pflanzt sich in der Gefangenschaft nicht fort, alle
gezähmten Elefanten sind eingefangne Wildlinge. Die Biene ist es bis auf
Dzierzon nicht gewesen, denn der Mensch that bis dahin weiter nichts, als daß
er ihr Obdach gewährte und sich einen Teil ihrer Produkte aneignete; erst
jetzt greift er durch eigentümliche Einrichtung ihrer Wohnung in ihren leiblichen
Organismus ein. Hahn bespricht nun in den ersten Kapiteln seines Buches
die Veränderungen, die mit den Tieren vorzugehen Pflegen, nachdem sie Haus¬
tiere geworden sind, die Bedingungen und Wirkungen der Kreuzung, das Ver¬
wittern, die verschiednen Venutzungsarten. Hierauf werden 36 Arten von
Haustieren in eben so vielen Kapiteln dargestellt, sodann folgende sechs Wirt¬
schaftsformen: Jagd und Fischfang, Hackbau, Plantagenbau, Gartenbau,
Viehwirtschaft, Ackerbau; ihre Verbreitung auf der Erde wird durch eine Karte
veranschaulicht. Zuletzt werdeu die Wirtschaftsverhültuisse der verschiednen
Länder und Kulturgebiete der Erde beschrieben. Das Eigentümliche des Buches
ist, daß es das Wirtschaftsleben von dem Gesichtspunkte der Haustierzucht be¬
trachtet. Versuchen wir, den Kern dieses Gedankengewebes, das auf Neuheit
Anspruch machen kann, herauszuschälen; die Kritik überlassen wir den Zoologen,
Geographen, Ethnologen und Mythologen von Fach.

Daß sich wildlebende Tiere in der Gefangenschaft nicht fortpflanzen
— aus Ursachen, über die Hahn Vermutungen anstellt —, hat ursprünglich
auch für unsre jetzigen Haustiere gegolten. Es haben sehr lange Zeitraume
dazu gehört, die Schwierigkeiten zu überwinden, die der Fortpflanzung in der
Gefangenschaft im Wege stehn; Jäger Hütten dazu niemals die Geduld gehabt,
auch fehlten bei ihrem unruhigen, Herurnschweifenden Leben die physischen
Bedingungen der Viehzucht. Wenn der Jäger Tiere einfängt, so geschieht es aus
dem Grunde, der auch anderwärts wirkt, und der jedenfalls der erste Beweg¬
grund zur Tierhaltung gewesen ist, daß er Gefährten haben will, Wesen, an
denen er abwechselnd seine Zärtlichkeit und seine Grausamkeit auslassen kann.
Außerdem war in der ersten Zeit, wo die Stammeltern unsrer heutigen Haus¬
tiere eingefangen wurden, an andre Nutzung als etwa die ihres Fleisches
und ihres Fells nicht zu denken; die Schafe trugen noch keine Wolle, und
die Milchtiere gaben zur Not so viel Milch, als zur Ernährung ihrer Jungen
nötig war, nicht einen Tropfen mehr; die Wolle, der Milchüberschuß der
Milchtiere und der Eierübcrschnß unsrer gefiederten Eierlieferanten sind Kunst¬
erzeugnisse einer Zucht, die Jahrhunderte erfordert hat. Diese Zucht kann


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[0406] Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker und ihre Beziehung zur Wirtschaft des Menschen. Eine geographische Studie von Eduard Hahn. Mit einer chromolith. Karte: Die Wirtschafts¬ formen der Erde. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1896.) Haustiere sind nach Hahns Definition Tiere, die der Mensch in seine Pflege genommen hat, die sich hier regelmäßig fortpflanzen und dabei eine Reihe crworlmer Eigenschaften auf ihre Nachkommen übertragen. Der Elefant ist kein Haustier, denn er pflanzt sich in der Gefangenschaft nicht fort, alle gezähmten Elefanten sind eingefangne Wildlinge. Die Biene ist es bis auf Dzierzon nicht gewesen, denn der Mensch that bis dahin weiter nichts, als daß er ihr Obdach gewährte und sich einen Teil ihrer Produkte aneignete; erst jetzt greift er durch eigentümliche Einrichtung ihrer Wohnung in ihren leiblichen Organismus ein. Hahn bespricht nun in den ersten Kapiteln seines Buches die Veränderungen, die mit den Tieren vorzugehen Pflegen, nachdem sie Haus¬ tiere geworden sind, die Bedingungen und Wirkungen der Kreuzung, das Ver¬ wittern, die verschiednen Venutzungsarten. Hierauf werden 36 Arten von Haustieren in eben so vielen Kapiteln dargestellt, sodann folgende sechs Wirt¬ schaftsformen: Jagd und Fischfang, Hackbau, Plantagenbau, Gartenbau, Viehwirtschaft, Ackerbau; ihre Verbreitung auf der Erde wird durch eine Karte veranschaulicht. Zuletzt werdeu die Wirtschaftsverhültuisse der verschiednen Länder und Kulturgebiete der Erde beschrieben. Das Eigentümliche des Buches ist, daß es das Wirtschaftsleben von dem Gesichtspunkte der Haustierzucht be¬ trachtet. Versuchen wir, den Kern dieses Gedankengewebes, das auf Neuheit Anspruch machen kann, herauszuschälen; die Kritik überlassen wir den Zoologen, Geographen, Ethnologen und Mythologen von Fach. Daß sich wildlebende Tiere in der Gefangenschaft nicht fortpflanzen — aus Ursachen, über die Hahn Vermutungen anstellt —, hat ursprünglich auch für unsre jetzigen Haustiere gegolten. Es haben sehr lange Zeitraume dazu gehört, die Schwierigkeiten zu überwinden, die der Fortpflanzung in der Gefangenschaft im Wege stehn; Jäger Hütten dazu niemals die Geduld gehabt, auch fehlten bei ihrem unruhigen, Herurnschweifenden Leben die physischen Bedingungen der Viehzucht. Wenn der Jäger Tiere einfängt, so geschieht es aus dem Grunde, der auch anderwärts wirkt, und der jedenfalls der erste Beweg¬ grund zur Tierhaltung gewesen ist, daß er Gefährten haben will, Wesen, an denen er abwechselnd seine Zärtlichkeit und seine Grausamkeit auslassen kann. Außerdem war in der ersten Zeit, wo die Stammeltern unsrer heutigen Haus¬ tiere eingefangen wurden, an andre Nutzung als etwa die ihres Fleisches und ihres Fells nicht zu denken; die Schafe trugen noch keine Wolle, und die Milchtiere gaben zur Not so viel Milch, als zur Ernährung ihrer Jungen nötig war, nicht einen Tropfen mehr; die Wolle, der Milchüberschuß der Milchtiere und der Eierübcrschnß unsrer gefiederten Eierlieferanten sind Kunst¬ erzeugnisse einer Zucht, die Jahrhunderte erfordert hat. Diese Zucht kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/406>, abgerufen am 01.09.2024.