Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.erkannt worden; nur wird in der Praxis zu wenig darnach verfahren, und die Die Politik ist nicht eine Sache, die sich einseitig von oben herab leiten Daß es hieran fehlt, hat ja bestündig Anlaß zu Klagen gegeben. Gerade die Gewiß, es hat bei uns eine Zeit gegeben, wo die Regiernngsantorität erkannt worden; nur wird in der Praxis zu wenig darnach verfahren, und die Die Politik ist nicht eine Sache, die sich einseitig von oben herab leiten Daß es hieran fehlt, hat ja bestündig Anlaß zu Klagen gegeben. Gerade die Gewiß, es hat bei uns eine Zeit gegeben, wo die Regiernngsantorität <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223336"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1125" prev="#ID_1124"> erkannt worden; nur wird in der Praxis zu wenig darnach verfahren, und die<lb/> Folge ist dann Mißbehagen und Unzufriedenheit. Politiker, die keineswegs<lb/> für den Konstitutionalismus schwärmen, haben doch die Forderung gestellt, daß<lb/> die Negierung nach der Bildung einer starken zuverlässige» Mehrheit streben<lb/> und bestimmte politische Grundsätze befolgen müsse. Mit andern Worte», die<lb/> Regierung soll ihre Stütze i» der Zustimmung der Mehrheit des Volkes suche».<lb/> Dazu ist aber erforderlich, daß volle Klarheit über die von der Regierung<lb/> vertretnen politischen Grundsätze herrsche, damit man nach wohlerwogner eigner<lb/> Überzeugung für oder wider Stellung nehmen könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1126"> Die Politik ist nicht eine Sache, die sich einseitig von oben herab leiten<lb/> und bestimmen ließe, und wobei das Volk nur den unbeteiligten Zuschauer zu<lb/> spielen hätte. Auf diese Art kann keine Zufriedenheit erreicht werden. Wollten<lb/> wir aber einem offiziösen Blatte glauben, so müßten wir einen solchen Zustand<lb/> als den glücklichsten ansehen, nur daß sich dieses Ideal gegenwärtig doch wohl<lb/> schwer verwirklichen läßt. Daß die Autorität zu wenig geachtet werde, dar¬<lb/> über wird stündig geklagt; daß die Autorität der Felsen sei, auf dem der Staat<lb/> am sichersten ruhe, wird immer wieder behauptet. Wäre das richtig, dann<lb/> müßte man doch um so mehr im Volke wissen, was die Negierung, in deren<lb/> Namen die Lehre vom beschränkten Unterthaneuverstande gepredigt wird, eigent¬<lb/> lich will. Wenn die Autorität ein „unbeschriebnes Blatt" ist, wenn nnr ganz<lb/> allgemein darauf hingewiesen wird, daß das, was die Regierung wolle, das<lb/> Beste und Richtigste sein müsse, wenn man auch ihre Absichten nicht genau<lb/> kenne, so kann das doch nimmermehr zur Beruhigung dienen. Je entschiedner<lb/> die Forderung gestellt wird, daß die Anschauungen der Regierung für die Be¬<lb/> strebungen der Parteien maßgebend seien, desto berechtigter ist die von der<lb/> andern Seite gestellte Forderung, die Regierung solle ein bestimmtes Programm<lb/> aufstellen, nach dem man sich richten könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1127"> Daß es hieran fehlt, hat ja bestündig Anlaß zu Klagen gegeben. Gerade die<lb/> Parteien, die am ehesten geneigt sind, ans die Anschauung von der verpflichtenden<lb/> Autorität der Regierung einzugehen, haben die Fähigkeit zur Führung bei<lb/> der Regierung schmerzlich vermißt. Zwischen den Blättern dieser Parteien<lb/> und den offiziösen hat sich zeitweilig ein Federkrieg abgespielt, der ganz<lb/> ergötzlich sein könnte, wenn nicht die Sache zu ernst wäre. „Ihr wißt nicht,<lb/> was ihr wollt," hieß es auf der eine» Seite, und auf der ander»: „Ihr könnt<lb/> nur kritteln und malet», aber keine verständigen Vorschläge zur Besserung<lb/> machen." Bei diesem gegenseitigen Ausscheiden, bei diesem Bestreben, die Schuld<lb/> an der Unsicherheit der politischen Lage einander zuzuschieben, ist man nicht<lb/> von der Stelle gekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1128" next="#ID_1129"> Gewiß, es hat bei uns eine Zeit gegeben, wo die Regiernngsantorität<lb/> eine große Rolle spielte. Aber es sollte doch endlich eingesehen werden, daß<lb/> das Verhältnis, das sich zwischen dem Fürsten Bismarck und dein Volke, oder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
erkannt worden; nur wird in der Praxis zu wenig darnach verfahren, und die
Folge ist dann Mißbehagen und Unzufriedenheit. Politiker, die keineswegs
für den Konstitutionalismus schwärmen, haben doch die Forderung gestellt, daß
die Negierung nach der Bildung einer starken zuverlässige» Mehrheit streben
und bestimmte politische Grundsätze befolgen müsse. Mit andern Worte», die
Regierung soll ihre Stütze i» der Zustimmung der Mehrheit des Volkes suche».
Dazu ist aber erforderlich, daß volle Klarheit über die von der Regierung
vertretnen politischen Grundsätze herrsche, damit man nach wohlerwogner eigner
Überzeugung für oder wider Stellung nehmen könne.
Die Politik ist nicht eine Sache, die sich einseitig von oben herab leiten
und bestimmen ließe, und wobei das Volk nur den unbeteiligten Zuschauer zu
spielen hätte. Auf diese Art kann keine Zufriedenheit erreicht werden. Wollten
wir aber einem offiziösen Blatte glauben, so müßten wir einen solchen Zustand
als den glücklichsten ansehen, nur daß sich dieses Ideal gegenwärtig doch wohl
schwer verwirklichen läßt. Daß die Autorität zu wenig geachtet werde, dar¬
über wird stündig geklagt; daß die Autorität der Felsen sei, auf dem der Staat
am sichersten ruhe, wird immer wieder behauptet. Wäre das richtig, dann
müßte man doch um so mehr im Volke wissen, was die Negierung, in deren
Namen die Lehre vom beschränkten Unterthaneuverstande gepredigt wird, eigent¬
lich will. Wenn die Autorität ein „unbeschriebnes Blatt" ist, wenn nnr ganz
allgemein darauf hingewiesen wird, daß das, was die Regierung wolle, das
Beste und Richtigste sein müsse, wenn man auch ihre Absichten nicht genau
kenne, so kann das doch nimmermehr zur Beruhigung dienen. Je entschiedner
die Forderung gestellt wird, daß die Anschauungen der Regierung für die Be¬
strebungen der Parteien maßgebend seien, desto berechtigter ist die von der
andern Seite gestellte Forderung, die Regierung solle ein bestimmtes Programm
aufstellen, nach dem man sich richten könne.
Daß es hieran fehlt, hat ja bestündig Anlaß zu Klagen gegeben. Gerade die
Parteien, die am ehesten geneigt sind, ans die Anschauung von der verpflichtenden
Autorität der Regierung einzugehen, haben die Fähigkeit zur Führung bei
der Regierung schmerzlich vermißt. Zwischen den Blättern dieser Parteien
und den offiziösen hat sich zeitweilig ein Federkrieg abgespielt, der ganz
ergötzlich sein könnte, wenn nicht die Sache zu ernst wäre. „Ihr wißt nicht,
was ihr wollt," hieß es auf der eine» Seite, und auf der ander»: „Ihr könnt
nur kritteln und malet», aber keine verständigen Vorschläge zur Besserung
machen." Bei diesem gegenseitigen Ausscheiden, bei diesem Bestreben, die Schuld
an der Unsicherheit der politischen Lage einander zuzuschieben, ist man nicht
von der Stelle gekommen.
Gewiß, es hat bei uns eine Zeit gegeben, wo die Regiernngsantorität
eine große Rolle spielte. Aber es sollte doch endlich eingesehen werden, daß
das Verhältnis, das sich zwischen dem Fürsten Bismarck und dein Volke, oder
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