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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volkstrachten

Kleider tragen wie in Niederbaiern. Es ist schön, daß es in Tirol noch Sitte
ist, dem Dienstboten, den man gern hat, einen Feiertagshut zu schenken, der
ihm ein Besitz fürs Leben ist. Der Bauer, der sich in der Stadt einen far¬
tigen Anzug kauft, den er nach der Ernte nicht mehr anständig tragen kann,
ist unter seinen Knecht gesunken, der sich die Tracht bewahrt hat. Nächstens
wird er beim Abzahlungsgeschäft angelangt sein oder beim Kleidertrödler.

Wenn der Bauersmann im schäbigen Rock und in der Tuchmütze wüßte,
welchen Stempel der Unselbständigkeit und Unfreiheit ihm dieses charakterlose
entlehnte Gewand aufprägt, er hätte es sicherlich nie angelegt. Man kann es
überall verfolgen, daß die Bauern die Tracht ablegen, die durch die Berüh¬
rung mit den Städtern ihr Selbstgefühl für die thörichte Eitelkeit ausgetauscht
haben, es den Städtern gleichthun zu wollen. Die "bessern" Bauern, be¬
sonders Bürgermeister und Ratsschreiber gehen voran, mit ihnen auf einer Linie
die von ihnen über die Achsel angesehenen Handwerker, die auf der Wander¬
schaft Stadtluft geschmeckt haben, die Buben, die zu schwach zur bäuerlichen
Arbeit waren und deshalb in Schreibstuben und Kramläden gesteckt wurden,
die heimgekehrten Soldaten und nicht zuletzt die Mädchen, die in der Stadt
gedient haben.

Der beste in der Hansjakobschen Schrift ist der vierte Abschnitt: "Warum
haben die Volkstrachten abgenommen?" Es ist eine kleine, aber höchst inhalt¬
reiche Studie aus dem heutigen Volksleben des Schwarzwaldes, die sehr viel
zu denken giebt und die größte Verbreitung und Beherzigung verdient. Der
Kinzigthäler spricht da ganz aus eigner Erfahrung und, wie immer, ohne ein
Blatt vor den Mund zu nehmen. In dem verkehrsreichen Rheinthal hatte
die Tracht schon seit der Gleichmacherei der Revolution stark abgenommen, und
wer hente von Basel bis Köln wandert, sieht nur noch bei solchen Tracht, die
zufällig aus dem Gebirge in die belebte, fruchtbare Ebne heraufgewandert
sind. In wenig Jahren werden auch sie die Kleider abgelegt haben, die sie
ungleich machen. Meines Wissens macht immer noch eine Ausnahme auf der
badischen Seite das Hanauer Lcindle gegenüber Straßburg, wo eine wohl¬
habende Bauernschaft durch die geschichtliche Vergangenheit ihres Lündchens
und weil sie inmitten von Katholiken protestantisch ist, eine Gemeinschaft von
starkem Selbstgefühl bildet. Drüben im Elsaß ist mindestens in dem Vogesen-
vorlande noch mehr von Tracht erhalten geblieben, wie ja überhaupt unter
der Fremdherrschaft, die sich ums Volk wenig kümmerte, mehr altertümliches
am Leben blieb, als in dem gründlich "durchregierten," mit einer höchst eifrigen
Vüreaukratie gesegneten Baden. Wandert man vom Rheinthal in den Schwarz¬
wald, so sieht man in den größern außenliegenden Orten nur uoch Spuren
von Tracht, und erst in den abgelegnen Gebirgsdörfchen gewinnt man den
Eindruck, daß sie noch herrscht. Nur dort, wo Alt Und Jung in Tracht geht,
lebt sie noch. Deswegen betrachten wir als eine der hoffnungsvollsten Mit-


Grenzboten III 1896 46
Unsre Volkstrachten

Kleider tragen wie in Niederbaiern. Es ist schön, daß es in Tirol noch Sitte
ist, dem Dienstboten, den man gern hat, einen Feiertagshut zu schenken, der
ihm ein Besitz fürs Leben ist. Der Bauer, der sich in der Stadt einen far¬
tigen Anzug kauft, den er nach der Ernte nicht mehr anständig tragen kann,
ist unter seinen Knecht gesunken, der sich die Tracht bewahrt hat. Nächstens
wird er beim Abzahlungsgeschäft angelangt sein oder beim Kleidertrödler.

Wenn der Bauersmann im schäbigen Rock und in der Tuchmütze wüßte,
welchen Stempel der Unselbständigkeit und Unfreiheit ihm dieses charakterlose
entlehnte Gewand aufprägt, er hätte es sicherlich nie angelegt. Man kann es
überall verfolgen, daß die Bauern die Tracht ablegen, die durch die Berüh¬
rung mit den Städtern ihr Selbstgefühl für die thörichte Eitelkeit ausgetauscht
haben, es den Städtern gleichthun zu wollen. Die „bessern" Bauern, be¬
sonders Bürgermeister und Ratsschreiber gehen voran, mit ihnen auf einer Linie
die von ihnen über die Achsel angesehenen Handwerker, die auf der Wander¬
schaft Stadtluft geschmeckt haben, die Buben, die zu schwach zur bäuerlichen
Arbeit waren und deshalb in Schreibstuben und Kramläden gesteckt wurden,
die heimgekehrten Soldaten und nicht zuletzt die Mädchen, die in der Stadt
gedient haben.

Der beste in der Hansjakobschen Schrift ist der vierte Abschnitt: „Warum
haben die Volkstrachten abgenommen?" Es ist eine kleine, aber höchst inhalt¬
reiche Studie aus dem heutigen Volksleben des Schwarzwaldes, die sehr viel
zu denken giebt und die größte Verbreitung und Beherzigung verdient. Der
Kinzigthäler spricht da ganz aus eigner Erfahrung und, wie immer, ohne ein
Blatt vor den Mund zu nehmen. In dem verkehrsreichen Rheinthal hatte
die Tracht schon seit der Gleichmacherei der Revolution stark abgenommen, und
wer hente von Basel bis Köln wandert, sieht nur noch bei solchen Tracht, die
zufällig aus dem Gebirge in die belebte, fruchtbare Ebne heraufgewandert
sind. In wenig Jahren werden auch sie die Kleider abgelegt haben, die sie
ungleich machen. Meines Wissens macht immer noch eine Ausnahme auf der
badischen Seite das Hanauer Lcindle gegenüber Straßburg, wo eine wohl¬
habende Bauernschaft durch die geschichtliche Vergangenheit ihres Lündchens
und weil sie inmitten von Katholiken protestantisch ist, eine Gemeinschaft von
starkem Selbstgefühl bildet. Drüben im Elsaß ist mindestens in dem Vogesen-
vorlande noch mehr von Tracht erhalten geblieben, wie ja überhaupt unter
der Fremdherrschaft, die sich ums Volk wenig kümmerte, mehr altertümliches
am Leben blieb, als in dem gründlich „durchregierten," mit einer höchst eifrigen
Vüreaukratie gesegneten Baden. Wandert man vom Rheinthal in den Schwarz¬
wald, so sieht man in den größern außenliegenden Orten nur uoch Spuren
von Tracht, und erst in den abgelegnen Gebirgsdörfchen gewinnt man den
Eindruck, daß sie noch herrscht. Nur dort, wo Alt Und Jung in Tracht geht,
lebt sie noch. Deswegen betrachten wir als eine der hoffnungsvollsten Mit-


Grenzboten III 1896 46
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[0369] Unsre Volkstrachten Kleider tragen wie in Niederbaiern. Es ist schön, daß es in Tirol noch Sitte ist, dem Dienstboten, den man gern hat, einen Feiertagshut zu schenken, der ihm ein Besitz fürs Leben ist. Der Bauer, der sich in der Stadt einen far¬ tigen Anzug kauft, den er nach der Ernte nicht mehr anständig tragen kann, ist unter seinen Knecht gesunken, der sich die Tracht bewahrt hat. Nächstens wird er beim Abzahlungsgeschäft angelangt sein oder beim Kleidertrödler. Wenn der Bauersmann im schäbigen Rock und in der Tuchmütze wüßte, welchen Stempel der Unselbständigkeit und Unfreiheit ihm dieses charakterlose entlehnte Gewand aufprägt, er hätte es sicherlich nie angelegt. Man kann es überall verfolgen, daß die Bauern die Tracht ablegen, die durch die Berüh¬ rung mit den Städtern ihr Selbstgefühl für die thörichte Eitelkeit ausgetauscht haben, es den Städtern gleichthun zu wollen. Die „bessern" Bauern, be¬ sonders Bürgermeister und Ratsschreiber gehen voran, mit ihnen auf einer Linie die von ihnen über die Achsel angesehenen Handwerker, die auf der Wander¬ schaft Stadtluft geschmeckt haben, die Buben, die zu schwach zur bäuerlichen Arbeit waren und deshalb in Schreibstuben und Kramläden gesteckt wurden, die heimgekehrten Soldaten und nicht zuletzt die Mädchen, die in der Stadt gedient haben. Der beste in der Hansjakobschen Schrift ist der vierte Abschnitt: „Warum haben die Volkstrachten abgenommen?" Es ist eine kleine, aber höchst inhalt¬ reiche Studie aus dem heutigen Volksleben des Schwarzwaldes, die sehr viel zu denken giebt und die größte Verbreitung und Beherzigung verdient. Der Kinzigthäler spricht da ganz aus eigner Erfahrung und, wie immer, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. In dem verkehrsreichen Rheinthal hatte die Tracht schon seit der Gleichmacherei der Revolution stark abgenommen, und wer hente von Basel bis Köln wandert, sieht nur noch bei solchen Tracht, die zufällig aus dem Gebirge in die belebte, fruchtbare Ebne heraufgewandert sind. In wenig Jahren werden auch sie die Kleider abgelegt haben, die sie ungleich machen. Meines Wissens macht immer noch eine Ausnahme auf der badischen Seite das Hanauer Lcindle gegenüber Straßburg, wo eine wohl¬ habende Bauernschaft durch die geschichtliche Vergangenheit ihres Lündchens und weil sie inmitten von Katholiken protestantisch ist, eine Gemeinschaft von starkem Selbstgefühl bildet. Drüben im Elsaß ist mindestens in dem Vogesen- vorlande noch mehr von Tracht erhalten geblieben, wie ja überhaupt unter der Fremdherrschaft, die sich ums Volk wenig kümmerte, mehr altertümliches am Leben blieb, als in dem gründlich „durchregierten," mit einer höchst eifrigen Vüreaukratie gesegneten Baden. Wandert man vom Rheinthal in den Schwarz¬ wald, so sieht man in den größern außenliegenden Orten nur uoch Spuren von Tracht, und erst in den abgelegnen Gebirgsdörfchen gewinnt man den Eindruck, daß sie noch herrscht. Nur dort, wo Alt Und Jung in Tracht geht, lebt sie noch. Deswegen betrachten wir als eine der hoffnungsvollsten Mit- Grenzboten III 1896 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/369>, abgerufen am 01.09.2024.